Bundestagswahl 2017: Blau ist keine Farbe für Gewerkschafter*innen

Die AfD und die Bundestagswahl 2017

Die Wahlerfolge der AfD in den letzten drei Jahren waren enorm: Bundesweit zog sie in 13 Landesparlamente ein und versucht nun auch in den Bundestag zu gelangen. Das Strategiepapier „Manifest 2017“ gibt als Ziel aus, man wolle 70 bis 80 Mandate erreichen. Die aktuellen Prognosen sprechen dagegen. Momentan bewegt sich die AfD zwischen sechs und neun Prozent. Ob es für den Bundestag reicht, werden die Wähler*innen am 24. September 2017 entscheiden – auch auf Gewerkschafter*innen kommt es an.

Die Alterntive für Deutschland (AfD) entpuppte sich seit ihrer Gründung als Partei, die zuerst gegen den Euro antrat, neoliberale Positionen formulierte und sich schließlich in der Öffentlichkeit als rechte Alternative anbot, sich selbst aber ausdrücklich immer wieder im demokratischen Parteienspektrum verortete. Seit dem Ausscheiden von Bernd Lucke und 4.000 seiner Unterstützer*innen vollzog die Partei einen stetigen Wandel, der besonders die Öffentlichkeitsarbeit betraf.
Galt Bernd Lucke noch als rhetorisch gemäßigt, war nach dem Essener Parteitag im Juni 2015 eine neue AfD mit dem Spitzenduo Frauke Petry und Jörg Meuthen zu erkennen: Sie demonstrierte gegen „die da oben“, sie provozierte über die sozialen Netzwerke und sah sich als „fundamental-oppositionelle Partei“, die den „Kampf um Deutschland“ annahm. Mag dieses Auftreten für reichlich mediale Aufmerksamkeit gesorgt haben, änderte sich kaum etwas n der inhaltlichen Ausrichtung.
Das Grundsatzprogramm von Stuttgart, das zum 1. Mai 2016 beschlossen wurde, enthielt eine Weltanschauung, die sich deutlich an autoritären, elitären und neoliberalen Positionen orientierte und nationalistisch umrahmt wurde. Darüber gab und gibt es in der Partei einen breiten Konsens, den weder die jüngsten Austritte der letzten Monate kritisierten noch der gern als gemäßigt geltende Lucke-Flügel anzweifelt. Trotz dieses programmatischen Konsenses trat ab den Landtagswahlen 2016 eine Anomalie auf: Die neoliberale und elitäre Partei wurde von Arbeiter*innen überdurchschnittlich häufig gewählt. Und das bei allen Landtagswahlen.

Das neue Rot der Arbeitnehmer*innen?

Seit 2014 existiert die Interessengemeinschaft „Arbeitnehmer in der AfD“ (AidA), ein Zusammenschluss, der sich explizit dafür einsetzt, Arbeitnehmer*innen für die AfD zu gewinnen. Bis heute sind zwei weitere Initiativen entstanden, die Arbeitnehmer*innen im Fokus haben: Die „Alternative Vereinigung der Arbeitnehmer“ (AVA) aus Nordrhein-Westfalen sowie der „Alternative Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland“ (ALARM!), initiiert von Björn Höcke aus Thüringen, sind weitere Strukturen, die einkommensschwache Menschen und Arbeiter*innen im Namen der AfD ansprechen.
Alle drei Netzwerke vereint der Anspruch, ausschließlich die Interessen von Arbeit-nehmer*innen zu vertreten – vermeintlich im Gegensatz zu Gewerkschaften und Parteien. Bei der Gründung von ALARM! am 1. Mai 2017 in Erfurt betonte Jürgen Pohl – Rechtsanwalt und Direktkandidat des AfD-Landesverbands Thüringen für die Bundestagswahl –, dass ALARM! die einzig wahre Interessenvertretung sei, die entschieden gegen ein Establishment auftrete. Der oppositionelle Charakter ziele auf das Stereotype, Gewerkschaften seien opportun und verträten nicht die Interessen der Arbeitnehmer*innen. Stattdessen gehöre der DGB zu „denen da oben“ und verkaufe sozial-schwache Menschen und Arbeiter*innen einer Elite. Ansichten, die sich auch in den beiden anderen AfD-Initiativen für Arbeitnehmer*innen feststellen lassen. Besonders AidA kündigte an, Gewerkschaften schärfer zu attackieren, um unter ihren Mitgliedern mögliche Wähler*innen zu gewinnen. Und die letzten Wahlen zeigen auch, dass die AfD Arbeiter*innen und Arbeitslose besonders anzusprechen scheint. Gerade in diesen beiden Wähler*innengruppen erzielte sie überdurchschnittliche Ergebnisse.
Dass die drei Gruppen nur einen begrenzten Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung der Partei haben, ist dagegen die innerparteiliche Realität. Die neoliberalen Wurzeln der AfD, die den Sozial-staat nur unter dem Gesichtspunkt der minimalen Lebenssicherung sehen und sich durch einen starken Leistungsgedanken auszeichnen, dominieren die Partei weiterhin und blockierten in den vergangenen Debatten jeglichen programmatischen Vorschlag, der eine tatsächliche Verbesserung für einkommensschwache Gruppen vorsah. Dieses Zerrbild zwischen Wähler*innengruppen und der politischen Verortung der AfD führte daher in der Vergangenheit immer wieder zu Debatten, die jedoch nur selten von den Medien kommentiert wurden.
Die Wahl der Spitzenkandidat*innen Alice Weidel und Alexander Gauland für den Bundestag beweist, dass die Partei keineswegs ernsthaft daran interessiert ist, soziale Ungerechtigkeit zu minimieren, sondern eher einem starken Leistungsgedanken anhängt, der mit Nationalismus kombiniert wird. Alice Weidel, die ehemalige Beraterin von Wirtschaftsunternehmen, äußert immer wieder, dass soziale Sicherungssysteme überwiegend privatisiert werden müssten, um staatliche Ausgaben und somit auch gesellschaftliche Solidarität zu minimieren. Eine Meinung, die in der Partei überwiegend Konsens ist. Auch beim Thema Rente ist die AfD der Ansicht, dass nur vorhergehende Leistung – nämlich mindestens 40 Arbeitsjahre – zählt, um einen vollen Anspruch zu bekommen. Diese Art der Vorleistung vernachlässigt eklatant gehandicapte Berufskarrieren und Branchen, die durch körperlich schwere Arbeit geprägt sind. Die AfD klammert solche individuellen Betrachtungsweisen aus.

Ausgrenzung ist Programm

Nationalismus und ein ausgeprägter Leistungsgedanke sind die Grundpfeiler der AfD, die automatisch zur Ausgrenzung von Menschengruppen führen, die nicht in das Weltbild der Partei passen. Dies betrifft nicht nur Menschen, die als „Wirtschaftsflüchtlinge“ stigmatisiert werden, sondern auch Menschen, die häufig mit dem Label „68er“ oder „Gutmenschen“ angegriffen werden. Das rhetorische Niveau der AfD kennt anscheinend bei der Auseinandersetzung mit den politischen Gegner*innen keine Grenzen, was zum einen mediale Provokationsstrategie ist und zum anderen dazu dient, die eigenen Anhänger*innen direkt anzusprechen. Mögen die Spitzenpolitiker*innen noch gewisse Grenzen einhalten, herrscht parteiintern eine Sprache, die menschenverachtende Aussagen toleriert und als politisch „normal“ ansieht. In diesem Feld der Beleidigung wird häufig eher unterschwellig formuliert, welche gesellschaftlichen Vorstellungen die Partei hat.
In mehreren Politikbereichen sind die Positionen der AfD geprägt von einem elitären Gedanken, der Menschen ausgrenzt, die nicht der vermeintlichen Norm entsprechen. Dies fängt bei der Forderung an, dass deutsche Frauen mit deutschen Männern möglichst drei Kinder zeugen sollen. Weniger kommunikativ ist die Partei, wenn es um die Frage geht, warum insbesondere die Herkunft der Eltern eine so wichtige Rolle spielt. Stattdessen wird Thilo Sarrazin angeführt, der schon in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ Herkunft als eine wichtige Komponente für die potenzielle Leistungsfähigkeit eines Kindes ableitet. Eine Konstruktion, die wissenschaftlich nicht haltbar ist, und Umstände vernachlässigt, die nach der Geburt relevant für die Entwicklung eines Menschen sind.
Die Bildungspolitik ist ähnlich konstruiert und lehnt Lehrmodelle ab, die auf die individuellen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen zielen – egal welche kognitiven oder körperlichen Voraussetzungen sie mitbringen. Gerade hier zeigt sich, dass die Partei eher auf Schulpolitik besteht, die sich an einem Autoritarismus ausrichtet, der bei mangelhafter Leistungsfähigkeit mit Repressionen und Ausgrenzung droht.
Im Landeswahlprogramm der AfD in Sachsen-Anhalt von 2016 sprach die Partei von einer Rückbesinnung auf preußische Tugenden. Und in Nordrhein-Westfalen verlangt sie in ihrem Wahlprogramm von 2017 eine Abkehr vom „Genderismus“, der für die existierende „Jungen-, Männer- und Väterdiskriminierung“ verantwortlich sei, die durch einen angeblichen Mangel an Erziehern und Lehrern im vorschulischen und schulischen Bereich entstehen konnte. Die Rückkehr zu geschlechtergetrennten Projekten solle dem entgegenwirken. Dass hier Gleichberechtigung nicht mehr gefördert, sondern auf trennende Elemente gesetzt wird, zeigt, dass die AfD deutlich für eine sichtbare und eben auch gesellschaftspolitische Trennung zwischen Männern und Frauen eintritt, die die Fortschritte der Gleichberechtigung der letzten 40 Jahre wieder aufheben will.

Rechtsruck verhindern

Die AfD wird möglicherweise in den Bundestag einziehen und damit auf Bundesebene eine Rolle spielen. Wenngleich die Partei zerstritten ist und die Anzeichen auf eine erneute Spaltung immer deutlicher werden, darf die inhaltliche Auseinandersetzung mit ihr nicht vernachlässigt werden. Auch wenn die AfD aus taktischen Gründen ihre gesellschaftlichen Vorstellungen nicht in der Öffentlichkeit äußert, will sie Veränderungen in der Gesellschaft erreichen, die autoritären Vorstellungen ähneln und tief in das Leben der Menschen eingreifen.


Mark Haarfeldt

Referent beim Verein „Mach‘ meinen Kumpel nicht an!“ e. V.

Fotos: kallejipp, sör alex, onemorenametoremember / photocase.de

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