Politische Bildung: Globale Konflikte zivilgesellschaftlich lösen
Strategiespiel: Civil Powker
Bundeswehr und Schule? Das passt nicht zusammen. Ebenso wenig wie Jugendoffizier*innen mit ihrem Planspiel POL&IS einen Platz im Unterricht haben sollten. Eine zivilgesellschaftliche Alternative dazu hat Spieleentwickler Karl-Heinz Bittl mit seinem Team entworfen: Civil Powker. Wie das Spiel zur konstruktiven Konfliktbearbeitung genau funktioniert und welche Erfahrung er damit in Schulen gesammelt hat, erklärt er im Interview mit der nds.
nds: Civil Powker ist ein Strategiespiel für Schüler*innen ab 14 Jahren. Worum geht es genau?
Karl-Heinz Bittl: Bei Civil Powker durchspielen Schüler*innen ihre Handlungsmöglichkeiten in Deutschland anlässlich eines konkreten, irgendwo in der Welt ausbrechenden Konflikts. Dafür schlüpfen die jungen Menschen ab 14 Jahren in individuelle Rollen aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik, gestalten diese aus, beschäftigen sich mit ihren verschiedenen Interessen und Werten, lernen Verflechtungen kennen und erleben Einflussmöglichkeiten. Ziel des eintägig konzipierten Planspiels ist es, die existierenden Handlungsspielräume in Deutschland, vor allem im zivilgesellschaftlichen, aber auch im wirtschaftlichen und parteipolitischen Bereich, aufzuzeigen und erfahrbar zu machen. Das Spektrum und die Anzahl der Handlungsoptionen, mit denen gepokert wird, sind so breit wie hoch: Die Zivilgesellschaft kann beispielsweise Großdemonstrationen organisieren, mit der Bevölkerung im Konfliktland über das Internet Kontakt aufnehmen oder Friedensfachkräfte entsenden. Allerdings kann sie auch ihren Alltag fortsetzen oder sich für eine Verschärfung des Asylrechts einsetzen.
Wäre es auch möglich, zu einem militärischen NATO-Eingriff beizutragen?
Ja, Politiker*innen können in dem Spiel nicht nur in Friedensvermittlungen diplomatisch aktiv werden oder Waffenexporte verbieten, sondern auch einen militärischen NATO-Eingriff unterstützen. Die Gruppe der Unternehmer*innen hat sowohl die Möglichkeit, Kapitalanlagen einfrieren zu lassen, als auch Waffenlieferungen an oppositionelle Kräfte zu starten. Vieles kann nur mit Hilfe der Zustimmung beziehungsweise Unterstützung der anderen Gruppen umgesetzt werden. Deshalb diskutieren die Jugendlichen im Spiel und feilschen wahlweise um die Civil-, Policy- oder Economy-Power-Punkte der anderen.
Es gibt drei unterschiedliche Interessengruppen. Welche Rollen können die Schüler*innen einnehmen?
Das besondere an unserem Spiel sind die nicht eindeutig definierten Rollen. Wir haben für alle 30 Spieler*innen ein grobes Rollenprofil entwickelt. Die Schüler*innen bearbeiten aber diese Rollen nach ihrem eigenen Geschmack oder vielleicht auch nach ihren Vorurteilen. Es gibt zehn Rollen aus dem Bereich der Unternehmen, zehn aus dem Parlament und zehn aus der Zivilgesellschaft. Jede Rolle hat ein bestimmtes Kapital zur Verfügung und eben die grobe – noch unfertige – Rollenbeschreibung. So kann es zum Beispiel geschehen, dass die*der Rüstungsunternehmer*in gerade eine persönliche Krise hat und plötzlich den Job aufgeben will. Die*der Schüler*in kann bei der Klimabewegung Fridays for Future mitmachen oder sogar in eine rechte Gruppe wechseln. Das ist alles offen und macht auch den Reiz des Spiels aus. Wir als Entwickler*innen wissen vorher nie, wie die Rollen besetzt werden und wie sich das Spiel entwickeln wird.
Wenn auch militärische Maßnahmen möglich sind: Wie grenzt sich Civil Powker von dem Planspiel POL&IS ab, das die Jugendoffizier*innen der Bundeswehr für Schulklassen anbieten?
Bei uns geht es um die zivilgesellschaftlichen Möglichkeiten. Wir spielen keine NATO-Strateg*innen, General*innen oder irgendwelche Kanzler*innen. Wir sind in Deutschland und überlegen, was von hier aus unternommen werden kann. Die Schüler*innen machen sich intensiv Gedanken über die zivilgesellschaftlichen Handlungsfelder, wenn sich in irgendeinem Land – zum Beispiel in Libyen, Kongo, Togo, Türkei, Österreich, Katalonien oder woanders – Konflikte anbahnen. Teilnehmende sind immer wieder verwundert, wie viele Möglichkeiten der Mitwirkung in Deutschland existieren. Wir werden in den nächsten zwei Jahren auch noch ein weiteres Spiel entwickeln, bei dem es um die innergesellschaftlichen Konflikte gehen wird.
Wie sind Sie denn überhaupt auf die Idee gekommen, ein Spiel zu globalen Konflikten zu entwickeln?
Die Idee und der Elan, ein derartiges Planspiel zu konzipieren, stammt von mir. Ich bin einer der beiden Gründer des sogenannten ATCC-Ansatzes zur konstruktiven Konfliktbearbeitung. ATCC kürzt die französische Bezeichnung „l‘approche et transformation constructives des conflits“ ab. Für mich war es wichtig, junge Menschen für die demokratischen und zivilen Möglichkeiten einer Konfliktbearbeitung zu gewinnen. Die Idee wurde dann schnell ein Projekt, das bis heute in der Trägerschaft des Fränkischen Bildungswerks für Friedensarbeit e. V. und des Friedenskreises Halle e. V. liegt. Das dreiköpfige Entwicklungsteam bestand aus Elli Mack und Sandra Bauske, beide Trainerinnen des ATCC-Ansatzes, und mir. Wir haben Ende 2011 mit einer Ideensammlung begonnen. Es folgte ein Jahr, in dem die Spielidee erarbeitet, geprüft, verworfen, abgewandelt, wieder aufgenommen, verfeinert und reformuliert wurde. Im Mai 2012 fand in Halle an der Saale ein erster Testlauf mit erwachsenen Friedenspädagog*innen sowie Friedensaktivist*innen statt. Darauf folgte eine zweite Überarbeitungsphase und es gab erste Durchführungen mit Schulklassen in Nürnberg und Halle an der Saale. In einer nochmals überarbeiteten Variante wurde das Spiel 2014 fertiggestellt. Mitgeholfen haben auch professionelle Spieleentwickler*innen, denn die mathematische Herausforderung, ein richtiges und spieletaugliches Verhältnis bei den Punkten zu erreichen, war nicht einfach. Damals war das Bildmaterial durch den Arabischen Frühling und die Widerstände in anderen Ländern geprägt. Das Szenario wird regelmäßig überarbeitet und an die aktuellen Konflikte angepasst.
Welche Erfahrungen haben Sie bisher in der Praxis gesammelt? Wie kommt das Spiel bei den Schüler*innen und Lehrkräften an?
Um diese Frage zu beantworten, möchte ich gerne einen Dialog zitieren, den ich in der Aushandlungsrunde einer 11. Jahrgangsstufe gehört habe: „Wir von der Zivilgesellschaft bieten euch von der Wirtschaft zwei Civil-Power-Punkte, wenn ihr unser Projekt zur Informationsbeschaffung aus dem Krisenland mit zwei Economy-Power-Punkten unterstützt.“ Die Wirtschaftsvertreter*innen antworteten: „Wozu sollten wir euch unterstützen? Wir möchten eigentlich den Menschen in den Flüchtlingslagern helfen. Dafür brauchen wir eure Civil-Power-Punkte. Doch für uns ist es gefährlich, wenn herauskommt, in was die deutsche Industrie und Regierung verflochten sind, deswegen keine Economy-Power-Punkte!“ Die Zivilgesellschaft reagierte darauf mit Empörung: „Das könnt Ihr doch nicht machen! Dann werden wir euch boykottieren. Dafür haben wir die Power.“ Daran erkennt man, dass die Teilnehmer*innen meistens tief in das Spiel eintauchen und überrascht sind, wie schnell die Zeit vergangen ist.
Unterschiedlich sind aber die Strategien, die sie wählen. Manche sind voll auf einer friedlichen und werteorientierten Linie und versuchen alles, um den Konflikt in dem Land zu deeskalieren. Das andere Extrem ist die absolute interessensorientierte Handlungsstrategie, die in der Regel zur Eskalation des Konflikts in dem Land führt. Dazwischen sind recht viele spannende Varianten.
Für die Spielleitung haben wir im Bundesgebiet und in Südtirol mehr als 100 Trainer*in-nen ausgebildet. Das Spiel können nur ausgebildete Civil-Powker-Trainer*innen durchführen.
Wie können Lehrkräfte also das Spiel in ihrem Unterricht einsetzen?
Die Lehrkräfte, die es buchen, setzen es im Bereich Demokratieentwicklung, politische Bildung oder auch im Religionsunterricht ein. Es dauert sechs Zeitstunden und muss von einem unserer ausgebildeten Trainer*innen durchgeführt werden. Die Kontakte vermitteln wir gerne, falls sie nicht schon vor Ort bekannt sind.
Neben Civil Powker habe ich noch Civil Word entwickelt. Das Brettspiel ist für Schüler*innen ab der Mittelstufe gedacht, kann aber auch bis ins hohe Alter gespielt werden. Es dauert mindestens zwei Schulstunden und kann im Anschluss mit dem Material vertieft werden. Civil World stellt eine Situation in einer Kleinstadt nach und die maximal neun Spielakteur*innen werden mit einer gesellschaftlichen Herausforderung konfrontiert, die sie mit Glück und Geschick auf lokaler Ebene angehen können. In
Klassen werden drei Spielsätze eingesetzt und die Gruppe, die als erste das Ziel einer lebendigen, demokratischen Gesellschaft erreicht hat, erhält eine kleine Broschüre zum alltäglichen zivilen Handeln.
Die Fragen stellte Jessica Küppers.
Fotos: Marie Maerz / photocase.de
Keine Minderjährigen in der Bundeswehr
Unter 18 nie!
Die Bundeswehr rekrutiert immer noch unter 18-Jährige für den Dienst. Gegen dieses Vorgehen hat sich nun eine Kampagne mit Unterstützung der GEW gegründet: „Unter 18 nie! Keine Minderjährigen in der Bundeswehr“.
Die Bundeswehr hat ihren Etat für Nachwuchswerbung in den letzten Jahren auf 35,2 Millionen Euro gesteigert. Die Jugendoffizier*innen und Karriereberater*innen erreichen im Jahr weit mehr als 200.000 junge Menschen, größtenteils an Schulen. Als Folge dieser massiven Werbung nehmen zusehends Minderjährige eine Ausbildung bei der Armee auf. Seit 2011 waren es 11.500 Auszubildende. Damit steht Deutschland im Abseits. Nur eine kleine Minderheit von UN-Staaten rekrutiert immer noch junge Menschen unter 18 Jahren.
Kampagne gegen Bundeswehrwerbung
Um diese Praxis zu beenden, hat sich eine neue Kampagne gegründet: „Unter 18 nie! Keine Minder-jährigen in der Bundeswehr“. Die bislang 13 Mitglieds-organisationen – darunter auch die GEW NRW und der Hauptvorstand der GEW – wollen den internationalen „18-Jahres-Standard“ auch in Deutschland durchsetzen und engagieren sich für ein Verbot von Bundeswehrwerbung bei Minderjährigen. Die GEW hat sich der Kampagne aus politischen, pädagogischen und kinderrechtlichen Gründen angeschlossen: Die Bundeswehr ist kein Arbeitgeber wie jeder andere. Der Soldat*innenberuf und die Ausbildung an der Waffe sind mit Gefahren verbunden. Kriegseinsätze sind gesellschaftlich umstritten. Darüber gilt es junge Menschen ausgewogen zu informieren. Das ist Teil der Berufsorientierung und politischen Bildung an Schulen, die prinzipiell in die Hände der dafür ausgebildeten Lehrkräfte gehört.
Weitreichende Konsequenzen
Schüler*innen sind größtenteils noch unter 18 Jahre alt. Die Konsequenzen, die eine Ausbildung bei der Bundeswehr für sie und ihr weiteres Leben haben wird, können sie noch gar nicht in vollem Umfang abschätzen: Wer sich einmal bei der Bundeswehr verpflichtet hat, kann nicht einfach kündigen. Soldat*innen, die nicht mehr für die Bundeswehr tätig sein möchten, müssen den Dienst an der Waffe aus Gewissensgründen verweigern und mit hohen Rückzahlungen für die bereits in Anspruch genommenen Ausbildungen rechnen. Dabei sind einige Ausbildungen in der Bundeswehr häufig nicht auf das zivile Berufsfeld übertragbar und somit kein Garant dafür, später einen Job zu finden.
Ausbildung zwingt zum Verzicht auf Rechte
Soldat*innen verzichten auf wesentliche Grundrechte wie das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit und Leben. Bürgerrechte wie die freie Meinungsäußerung und Willensbildung sind eingeschränkt. Eine Gehorsamsverweigerung wird bestraft. Die Bundeswehr gibt selbst zu, dass die Bestimmungen des Jugendschutzgesetzes bei der Ausbildung minderjähriger Soldat*innen gar nicht eingehalten werden können. Mehr unter www.unter18nie.de
Martina Schmerr
Referentin im Organisationsbereich Schule der GEW
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