Lernen, wohnen, pendeln, arbeiten: Studis am Limit
Immer öfter wird die wirtschaftliche und soziale Lage für Studierende zum Problem: Mangel an bezahlbarem Wohnraum, unzureichende finanzielle Unterstützung und zu viel Zeit, die in Nebenerwerb investiert werden muss. Mit dem DGB-Projekt „Gutes Studium“ machen Gewerkschaften auf die teils schwierigen Bedingungen studentischen Lebens in NRW aufmerksam.
In Nordrhein-Westfalen müssen die rund 684.000 Studierenden im Durchschnitt 333,- Euro für die Miete aufbringen. Damit ist das der größte Posten, der monatlich finanziert werden will. Auch für Ernährung entstehen mit durchschnittlich 165,- Euro pro Monat vergleichsweise hohe Kosten. Insgesamt steigen die Lebenshaltungskosten für Studierende immer weiter an, stellte die 21. Sozialerhebung des Deutschen Studierendenwerks (DSW) in ihrer regionalen Auswertung fest.
Mit dem DGB-Projekt: Aktionswoche „Gutes Studium“ wollen der DGB NRW, die DGB Jugend NRW, die IG Metall Jugend NRW, die IG BCE Jugend Nordrhein und die junge GEW NRW auf die soziale und wirtschaftliche Lage Studierender aufmerksam machen. Julia Löhr, Jugendbildungsreferentin der GEW NRW erklärt: „Das Projekt verfolgt zwei Ziele: Übergeordnet wollen wir die Gewerkschaften an den Universitäten präsenter machen. Darüber hinaus haben wir uns mit unseren Partner*innengewerkschaften auf das Thema ‚Gutes Studium‘ verständigt, weil das Studierende aller Fächer gleichermaßen betrifft.“
Gewerkschaften machen sich stark
Mit einer Aktionswoche, die im Dezember 2018 stattfinden soll, machen die Gewerkschaften das Projekt an 17 Hochschulstandorten öffentlich. Sie zeigen gemeinsam mit 100 ehrenamtlichen Studierenden auf, wo Probleme liegen und wie sie gemeinsam angegangen werden können. Bezirksjugendsekretär Eric Schley von der DGB Jugend NRW betont: „Wir wollen den Studierenden zeigen, dass Gewerkschaften schon während des Studiums Interessenvertretung für sie sein können.“ Das betrifft auch das Thema Wohnen.
Im Positionspapier„Studentisches Wohnen“ der Arbeitsgemeinschaft Studierendenwerke NRW heißt es dazu: „An einigen Hochschulstandorten ist der Wohnungsmarkt für Studierende, [...], äußerst angespannt. Hierzu zählen [...] Aachen, Köln, Münster, Siegen und Paderborn.“ Deshalb muss massiv in den sozialen Wohnungsbau investiert werden, damit auch Personen aus einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen ein Hochschulstudium realisieren können. Mit günstigen Wohnungsangeboten leisten Studierendenwerke dafür einen wesentlichen bildungspolitischen Beitrag. „Uns geht es darum, offenzulegen, wie unterschiedlich die Bedingungen an den einzelnen Universitäten sind und daraus gewerkschaftliche Forderungen abzuleiten“, fährt Julia Löhr fort.
Mit der Wohnungsnot in Siegen wird auch Josef Kraft vom dortigen Hochschulinformationsbüro der GEW NRW oft konfrontiert: „Das größte Problem der Studierenden ist der Mangel an bezahlbarem Wohnraum.“ In Siegen gibt es viel zu wenige Studierendenwohnheime, die Deckungsrate ist eine der niedrigsten in ganz Deutschland. Private Wohnungen sind kaum erschwinglich. Um auf das Umland ausweichen zu können, müsste der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) ausgebaut werden. „Sogar innerstädtisch ist die Anfahrt zur Universität schwierig. Nur von zwei oder drei Stadtgebieten aus ist Pendeln möglich“, macht er klar.
Um der akuten Wohnungsnot Abhilfe zu schaffen, sind bundesweit etwa 20 Studierendenwerke an dem Modell
„Wohnen für Hilfe“ beteiligt. Das Projekt vermittelt Wohnpartner*innenschaften: Studierende bekommen ein günstiges Zimmer und zum Beispiel Senior*innen als Gegenleistung Hilfe im Alltag.
Nebenjob kollidiert mit dem Studium
„Studierenden [...] stehen durchschnittlich 944,- Euro pro Monat durch Elternleistungen, eigenen Verdienst, BAföG, Hilfestellungen von Verwandten oder Bekannten, Erspar-
nisse sowie Stipendien oder (Studien- oder Bildungs-)Kredite zur Verfügung“, erhob der DSW-Sozialreport. Damit sind die Einnahmen zwar etwas höher als die des deutschen Durchschnitts von 918,- Euro, allerdings müssen 72 Prozent der Studierenden für die Erwirtschaftung dieses Betrags im Schnitt neun Stunden pro Woche arbeiten, was mit dem durchschnittlichen Zeitaufwand für ein Studium mit 32 Wochenstunden kollidiert. „Die Landesregierung plant, das Verbot von Anwesenheitspflichten für Studierende abzuschaffen“, kritisiert Julia Löhr. „Dadurch wird die Vereinbarkeit von Studium und Nebenjob erneut torpediert, denn die Lebenshaltungskosten steigen kontinuierlich.“ Mit diesem Problem seien vor allem Lehramtsstudierende in der Praxisphase befasst, weiß Josef Kraft aus seiner Beratungstätigkeit, weil große Unsicherheit herrsche, an Schulen außerhalb des Studienstandorts eingesetzt zu werden. Durch lange Fahrzeiten müssen Studierende teilweise Nebenjobs aufgeben beziehungsweise in den Ferien oder am Wochenende arbeiten.
Reform des BAföG ist notwendig
An das Thema Finanzierung ist auch die generelle Diskussion um eine BAföG-Reform gekoppelt, denn die monatliche finanzielle Versorgung von Studierenden wird nicht vom aktuellen Satz gedeckt. „Die Gewerkschaften fordern eine massive Reform des BAföG-Systems. Wir brauchen nicht nur eine Erhöhung, sondern auch eine Kontinuität in den Erhöhungen“, sagt Eric Schley. In der DSW-Sozialerhebung heißt es: „Nur jede*r sechste Studierende ist BAföG-Empfänger*in, das heißt, 17 Prozent der Studierenden beziehen BAföG. 79 Prozent der Empfänger*innen geben an, dass sie ohne die BAföG-Förderung nicht studieren könnten.“ Das BAföG unabhängig von Eltern und Alter zu gestalten, ist eine zentrale Forderung der Gewerkschaften.
Die Belastung durch ein Studium hat deutlich zugenommen, soziale Barrieren verstärken sich immer mehr. „Personen aus einkommensschwachen Familien müssen sich entscheiden, ob sie sich ein Studium leisten können oder doch eine bezahlte Ausbildung beginnen“, sagt Eric Schley. Er plädiert unter anderem für eine BAföG-Reform, weil „unter die BAföG-Bemessungsgrenze auch die Semesterbeiträge fallen und sie so durch das BAföG ausgeglichen werden können, wenn sie ansteigen“.
Eine breitere Stipendienfinanzierung wäre die andere Möglichkeit. „Wir wünschen uns mehr Stipendien, die auf die Lebenssituation der Studierenden zugeschnitten sind und nicht nur nach dem Leistungsprinzip selektieren. Denkbar zum Beispiel für Studierende, die als erste in ihrer Familie eine Universität besuchen“, sagt Julia Löhr. Das verdeutlichen auch die Daten der 21. Sozialerhebung: In NRW stammen überdurchschnittlich viele Studierende, nämlich 52 Prozent, aus einem nichtakademischen Elternhaus.
Fehlende Mobilität und erhöhter Beratungsbedarf
An jeder Hochschule müssen vierteljährlich Semesterbeiträge entrichtet werden, die unterschiedlich hoch ausfallen können, sich aber üblicherweise wie folgt zusammensetzen: Ein Anteil geht an die verfasste Studierendenschaft (AStA, Student*innenrat), der zweitgrößte Teil wird für die Arbeit der Studierendenwerke verwendet, die sich beispielsweise um Mensen und Wohnheime kümmern. Auch hier sind die Unterschiede groß. Während Studierende in Düsseldorf und Kleve lediglich 79,- Euro an ihr Studierenden-
werk zahlen, kommen die Bochumer auf 107,50 Euro. Mehr als die Hälfte des Beitrags fließt in die Nutzung des Semestertickets. Im Gebiet des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr sind das immerhin 196,62 Euro. Der ÖPNV ist damit in ganz NRW nutzbar, denn „38 Prozent der Studierenden haben ihren Wohnsitz nicht am Ort ihrer Hochschule“, besagt der DSW-Sozialreport. „Am Studienstandort Siegen ist das Semesterticket ein großer Pluspunkt aufgrund der geografischen Lage der Stadt“, sagt Josef Kraft.
In Nordrhein-Westfalen zahlen Studierende an der Ruhr-Uni in Bochum insgesamt 326,02 Euro pro Semester, während an der Hochschule Rhein-Waal in Kleve und Kamp-Lintfort nur 285,62 Euro anfallen. „An Standorten, an denen der Betrag sehr hoch ist, brauchen wir mehr Transparenz hinsichtlich der Verwendung der Semesterbeiträge“, fordert Julia Löhr.
Anneka Hündgen vom GEW-Hochschulinformationsbüro in Köln berichtet von Informationsveranstaltungen, an denen bis zu 300 Studierende und Referendar*innen teilnehmen. Sie sind wie die meisten, denen Anneka Hündgen in ihrer täglichen Beratungsarbeit begegnet, hauptsächlich an Informationen zur sozialen und wirtschaftlichen Komponente des Studiums interessiert. Der DSW-Sozialreport stützt diese Beobachtung: „Jeweils jede*r Dritte hatte in den letzten zwölf Monaten Beratungsbedarf zu studienbezogenen oder persönlichen Themen, jede*r Fünfte zu finanzierungsbezogenen Themen.“
Im diesjährigen Referendariatsdurchgang hat der Regierungsbezirk Köln seine Seminarstandorte in der Eifel und im Bergischen Land angesiedelt. Wollen die zukünftigen Lehrer*innen weiterhin in Köln leben, wo sie meist sozial verwachsen sind, haben sie einerseits mit der hohen Be-lastung durch Mietkosten zu kämpfen. Andererseits müssen sie weit fahren, was Zeit und Geld kostet, denn sowohl die ÖPNV-Kosten als auch ein Auto müssen selbst finanziert werden. Ohne Unterstützung Dritter sind Studierende schnell am finanziellen Limit.
Roma Hering
freie Journalistin
Fotos (von oben nach unten): AllzweckJack / photocase.de; iStock.com / 14951893; eighty-four / photocase.de; CL / photocase.de; iStock.com / kcline
Kommentare (0)
Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Lassen Sie es uns wissen. Wir freuen uns auf Ihr Feedback!