An der Belastungsgrenze – und darüber hinaus

Aus dem Alltag einer Lehrkraft für besondere Aufgaben

Über die problematischen Beschäftigungsbedingungen der Lehrkräfte für besondere Aufgaben (LfbA) wird derzeit viel diskutiert. Tina Baumann* arbeitet als LfbA im Fachbereich Anglistik an einer Universität in NRW – und der Einblick in ihren Arbeitsalltag zeigt, wie die Realität für sie an der Hochschule aussieht.

Montags um 9.00 Uhr ist Tina Baumann in ihrem Büro an der Uni, das sie sich mit einer anderen Lektorin – so werden LfbA im Universitätsalltag im Bereich der Fremdsprachen meist genannt – teilt. Schnell kümmert sie sich um die dringendsten Anliegen von KollegInnen und Studierenden und um die Materialien für die 30 TeilnehmerInnen ihrer ersten Lehrveranstaltung, die um 10.00 Uhr beginnt: British Culture and Society. Um 11.55 Uhr eilt sie aus dem Seminarraum, drei Studierende hatten noch Fragen zur bevorstehenden Prüfung. Pünktlich um 12.00 Uhr ist sie wieder im Büro und öffnet die Tür für die Sprechstunde. Von hier aus geht es um 13.00 Uhr in die Besprechung mit den anderen LektorInnen über das Curriculum für das nächste Semester. Die abschließende Diskussion mit den KollegInnen muss jedoch auf die nächste Mittagspause verschoben werden – das Brötchen wird dann nebenbei gegessen –, denn um 14.00 Uhr steht schon die nächste Lehrveranstaltung an: Rhetorical Skills. Mit Glück bleibt danach Zeit für einen schnellen Kaffee, bevor um16.00 Uhr die letzte Lehrveranstaltung des Tages beginnt. Es ist 18.00 Uhr, als Tina Baumann nach Hause geht, doch Feierabend hat sie nicht. Von zu Hause aus beantwortet die 42-Jährige E-Mails und bereitet am heimischen Schreibtisch die Veranstaltungen für den nächsten Tag vor. 

Arbeitsvertrag versus Realität

Der kleine Ausschnitt eines Tages von Tina Baumann, die seit fast zehn Jahren als LfbA arbeitet, zeigt nur im Ansatz, wie vollgepackt der Arbeitsalltag der LfbA an deutschen Universitäten ist. LfbA sind im Gegensatz zu ProfessorInnen oder wissenschaftlichen MitarbeiterInnen ausschließlich für die Lehre angestellt. Laut Arbeitsvertrag hat Tina Baumann, die englische Sprachpraxis unterrichtet, derzeit eine Lehrverpflichtung von 17 Semesterwochenstunden bei einer vollen Stelle. In Seminare übersetzt heißt das: im Sommersemester acht, im Wintersemester neun Veranstaltungen mit jeweils etwa 30 Studierenden. Hinzu kommt die Zeit für Vor- und Nachbereitung, Beratung, Betreuung von hunderten Studierenden und Prüfungstätigkeiten. „Das Arbeitsaufkommen allein für die Lehre ist riesig. Laut Vertrag soll bei 17 Semesterwochenstunden die Lehre inklusive der Betreuung der Studierenden 70 Prozent der Arbeitszeit ausmachen. Das wären pro Lehrveranstaltung nicht mal eine Stunde Vor- und Nachbereitung – in der Realität kann das nicht funktionieren“, kritisiert Tina Baumann.
Die übrigen 30 Prozent sind für die sogenannte Selbstverwaltung gedacht. „Damit ist unter anderem die Mitarbeit in Universitätsgremien gemeint. „Aber diese Zeit muss für die unzähligen organisatorischen und inhaltlichen Aufgaben genutzt werden – beispielsweise Curriculum absprechen, Prüfungen aufstellen, die Koordination der Lehrbeauftragten, eben alles, was an organisatorischen Dingen anfällt. Da wir uns in diesen Punkten eng absprechen müssen, brauchen wir dafür natürlich viel mehr Zeit als die vertraglich festgeschriebenen 30 Prozent“, sagt Tina Baumann. Eine unterstützende Verwaltungskraft gibt es nicht, nur eine studentische Hilfskraft, die die LektorInnen wöchentlich für acht Stunden unterstützt.

Verschärfung der Arbeitsbedingungen durch Bachelor und Master

Mit der Einführung von Bachelor und Master hat sich die Situation der LfbA noch weiter verschärft: Durch die Modularisierung mit überprüfbaren Standards und Leistungspunkten sowie die zunehmende Internationalisierung sind zahlreiche weitere Vorgänge hinzugekommen. Tina Baumann erklärt: „So ist ein Auslandssemester für unsere StudentInnen Pflicht. Für uns heißt das: Ist ein Studierender im kommenden Sommersemester weg, muss er im Wintersemester davor mehr Lehrveranstaltungen besuchen und wir müssen ihm die Plätze organisieren. Ein anderes Beispiel sind die vielen Erasmus-Studierenden: Da sie nur für ein Semester da sind, sind sie natürlich bei der Platzvergabe zu priorisieren.“
Da die Entwicklung der Bachelor- und Mas-terstudiengänge noch nicht abgeschlossen ist, gibt es laufend neue oder geänderte Verfahrensweisen. Gleichzeitig steigen die Studierendenzahlen immer weiter, was wiederum einen höheren Betreuungsaufwand mit sich bringt. „Niemand überprüft aber im Zuge dieser zusätzlichen Aufgaben die Lehrverpflichtung. Das größte Problem hierbei ist sicher die fehlende Unterstützung hier an der Universität“, bringt es Tina Baumann auf den Punkt. „Unser Bereich ist keiner Professur zugeordnet und es gibt niemanden, der für unsere Belange einsteht und als Sprachrohr fungiert.“

Befristet, entfristet – Schuldgefühle

An diesem Punkt stellt sich zwangsläufig die Frage, warum LfbA nicht selbst versuchen, die Situation zu ändern. Ein Grund ist sicherlich, dass ein Großteil von ihnen an deutschen Universitäten nur einen befristeten Vertrag hat. So war es auch an der Universität von Tina Baumann – bis ein Kollege von ihr den Mut hatte, gegen die Hochschule zu klagen. Mit Erfolg: Sein Vertrag wurde entfristet und – aus Angst vor weiteren Klagen – die Verträge der meisten anderen LektorInnen gleich mit.
Aus diesen unbefristeten Verträgen ergeben sich viele Vorteile wie eine feste Anstellung im öffentlichen Dienst oder ein Gehalt nach TV-L-Entgeltgruppe 13 – an den übrigen Beschäftigungsbedingungen der LektorInnen hat sich jedoch nichts geändert: „Seit der Entfristungswelle hat sich die Personalsituation in unserem Fachbereich sogar noch zugespitzt. Mit dem Argument, dass nun mehr feste Gehälter gezahlt werden müssen, wurden den ProfessorInnen Stellen für wissenschaftliche MitarbeiterInnen gestrichen“, erzählt Tina Baumann. „Konflikte sind da vorprogrammiert – auch wenn sie nicht offen ausgesprochen werden. Wir LektorInnen fühlen uns schuldig und deshalb trauen sich viele auch weiterhin nicht, den Mund aufzumachen und die Missstände offen anzuklagen.“ 

Hohe Arbeitsbelastung mit Folgen

Also ackern die LektorInnen weiter, viele bis an die Belastungsgrenze und darüber hinaus.„Ohne ständige Überstunden ist unser Pensum einfach nicht zu schaffen. Ich arbeite schon fast regelmäßig sieben Tage die Woche“, berichtet Tina Baumann. „Diese Überstunden werden nicht erfasst. Ursprünglich ist es so vorgesehen, dass man in Zeiten, in denen nicht so viel zu tun ist, dann etwas weniger arbeitet – diese Zeiten kommen nur nie.“
Dass diese permanente Überlastung für Probleme sorgt, liegt auf der Hand: „Gerade zu Stoßzeiten wie Semesteranfang oder Prüfungsphase, wenn es viel zu organisieren gibt, sind alle KollegInnen gestresst und ungeduldig.“ Zudem stehen Tina Baumann und ihre KollegInnen vor der Herausforderung, parallel zeitgemäße Systeme aufzubauen und zu installieren, um die Arbeit bewältigen zu können. „Aber für Verbesserungen braucht man Zeit – und die haben wir nicht.“
Auch privat bleiben die Folgen nicht aus: „Die ständigen Überstunden lassen sich kaum mit einem Familien- und Sozialleben vereinbaren. Ich selbst habe einige Jahre versucht, eine Vollzeitstelle mit der Erziehung meiner schulpflichtigen Tochter zu vereinbaren“, erzählt Tina Baumann. „Der Vorteil ist zwar, dass man sich die Arbeitszeit zu großen Teilen selbst einteilen kann – auf Dauer konnte ich die ständige Abend- und Nachtarbeit aber nicht durchhalten und musste deshalb für lange Zeit auf eine halbe Stelle reduzieren. Zudem sind zahlreiche Freundschaften zerbrochen, weil wenige Verständnis dafür hatten, dass man im öffentlichen Dienst ständig Überstunden machen muss – und das ohne, dass diese ausgeglichen werden konnten.“

Wertschätzung? Fehlanzeige!

Die hohe Arbeitsbelastung und die fehlende Unterstützung zeigen bereits, dass die Arbeit der LektorInnen kein hohes Ansehen in der universitären Landschaft genießt. Eine Erfahrung, die auch Tina Baumann macht:
 „Für mich und meine KollegInnen ist diese fehlende Wertschätzung schwer zu ertragen – denn fragt man die Studierenden, ist die Sprachpraxis gerade für das Lehramt das allerwichtigste. Wenn wir unseren Job nicht gut erledigen, sind die Schulen im Bereich der Fremdsprachen zukünftig schlecht ausgestattet. Es wird in keiner Weise anerkannt, was wir leisten. Das sieht man auch daran, dass unsere Lehrveranstaltungen ‚Übungen‘ genannt werden, obwohl sie eher der Definition eines Seminars entsprechen.“ Während eine Übung den Stoff einübt, der in der Regel in einer Vorlesung von jemand anderem vermittelt wurde, ist ein
Seminar eine inhaltlich selbstständig konzipierte Lehrveranstaltung, die einen Stoff über das ganze Semester hinweg vermittelt.

Blick nach vorn: Was muss sich  ändern?

Auf die Frage, was sich in ihren Augen unbedingt verbessern müsste, antwortet Tina Baumann: „Erstens muss die Lehrverpflichtung von 17 Semesterwochenstunden unbedingt an die neuen Bedingungen angepasst und Aufgaben wie die Vor- und Nachbereitung der Seminare zeitlich definiert werden. Zweitens brauchen wir dringend mehr Unterstützung für die organisatorischen Dinge und die Lehrverpflichtung muss reduziert werden – nach heutigem Stand auf höchstens 13 Semesterwochenstunden. Und drittens braucht es Wertschätzung. Ein Anfang wäre, unsere Übungen in das umzubenennen, was sie wirklich sind: Seminare. Es ist ein wirklich schöner Beruf – wenn die Beschäftigten die notwendige Zeit hätten, um sich um die Inhalte, um die eigene Weiterbildung und die Belange der Studierenden angemessen zu kümmern.“  

Denise Heidenreich
freie Journalistin

Foto: Kuassimodo / fotolia.com; takoburito / shutterstock.com

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Kommentare (1)

  • Corinna Schlicht Endlich wird dieser hochproblematische Stellentyp kritisch in den Blick genommen. Ergänzend zu den in dem Artikel angesprochenen Aspekten möchte ich aber hinzufügen, dass LfbAs eben nicht nur in dem Bereich der Sprachpraxis, also in dem Tätigkeitsfeld der LektorInnen, zu finden ist, sondern schon längst und zwar bundesweit und flächendeckend in den wissenschaftlichen Lehrbereichen die akademischen Ratstellen bzw. wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen ersetzt hat. D.h. der in dem Artikel angesprochene Etikenttenschwindel, dass irgendwo 'Übung' draufsteht, wo es eigentlich 'Seminar' heißen müsste, ist in den Bereich jenseits der Sprachpraxis längst geschehen und schützt doch nicht davor, dass Lehrdeputate mit 16/17 SWS in den Dienstverträgen stehen. Man muss nur auf aktuelle Ausschreibungen schauen. Dabei sind meiner Erfahrung nach schon 13 SWS angesichts der Lehrwirklichkeit an einer Universität ohne Überstunden und auf Kosten der eigenen Gesundheit (oder der Qualität) nicht zu leisten.
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