Lehrkräftemangel bundesweit: Die Mangelverwaltung beenden!

Lehrkräftemangel bundesweit

Nordrhein-Westfalens Schulen ächzen unter dem Lehrkräftemangel – doch wie sieht es eigentlich in anderen Bundesländern aus? Die nds-Redaktion hat einen Blick über die Landesgrenzen geworfen und die Situation auf dem Lehrkräftearbeitsmarkt in Bayern, Berlin und Hessen unter die Lupe genommen.

Bayern: Lehrkräftemangel und Lehrer*innenarbeitslosigkeit

Steigende Schüler*innenzahlen, weniger Lehrkräfte, mehr Krankheitsfälle – das ist die Realität an Bayerns Schulen. Spätestens zum vergangenen Schuljahr wurde der Lehrkräftemangel deutlich sichtbar: Unterrichtsausfall, die hektische Suche nach Ersatzkräften und die Bildung von „Kombi-Klassen“ über Nacht waren die Konsequenzen. Mit massiven Beschwerden von Eltern, Personalrät*innen und Kommunalpolitiker*innen, von Niederbayern bis Unterfranken. Kurz und knapp: Es herrschen gleichzeitig hohe Lehrer*innenarbeitslosigkeit und massiver Lehrer*innenmangel. Eine Situation, die für die GEW Bayern nicht hinnehmbar ist. „Einerseits suchen rund 5.000 junge Lehrkräfte für Realschulen und Gymnasien Arbeit in den Schulen. Andererseits gehen wir davon aus, dass in den Grund- und Mittelschulen etwa 400 Stellen unbesetzt bleiben und circa 600 befristet angestellte Kolleg*innen eingesetzt werden müssen“, erklärt Bernhard Baudler, Gewerkschaftssekretär für den Bereich Schule von der GEW Bayern. „Unter anderem sollen Studierende mit und ohne Examen sowie nicht pädagogisch ausgebildetes Personal den eklatanten Lehrkräftemangel verschleiern.“
Um den Arbeitsmarkt zu regulieren, bietet Bayern zum Beispiel Zweitqualifizierungen für Gymnasial- und Realschullehrkräfte an, damit diese an Grund-, Mittel- und Förderschulen arbeiten können. „Die Rahmenbedingungen sind aber denkbar schlecht“, bemängelt Bernhard Baudler. „Derzeit wird die Grundschulpädagogik einschließlich des komplexen Erstunterrichts an fünf Nachmittagen und in zwei Basisveranstaltungen vermittelt. Es braucht eine Reduzierung der Unterrichtsverpflichtung, damit eine ordentliche Nachqualifizierung möglich wird.“ Diese Nachbesserung ist nur ein Teil des angestrebten Maßnahmenpakets der bayerischen Bildungsgewerkschaft. Weitere Forderungen sind das gleiche Eingangsgehalt für alle Lehrkräfte – nämlich A 13 beziehungsweise E 13 –, um die Arbeit an Grund- und Mittelschulen attraktiver zu machen.
Eine langfristige Lösung des Problems von Lehrkräftemangel und gleichzeitiger -arbeitslosigkeit wird über eine Reform der Lehrer*innenbildung in Richtung von Stufenlehrkräften angestrebt. Diese werden nicht mehr strikt getrennt nach Schularten ausgebildet, sondern nach Jahrgangsstufen der Schüler*innen. Zusammengefasst werden jeweils die Jahrgangsstufen 1 bis 6 sowie 5 bis 13. Das Prinzip der Fachlichkeit wird auf diese Weise beibehalten und die Pädagog*innen könnten gut in den verschiedenen Schulformen arbeiten. Als kurzfristig umsetzbare Maßnahme schlägt die GEW Bayern vor, dass der sogenannte Lotsendienst – der Einsatz von Grundschullehrkräften an Realschulen und Gymnasien – künftig von Real- und Gymnasiallehrkräften übernommen wird und die externe Evaluation ausgesetzt wird. Damit würden etwa 300 Lehrer*innen für den Unterricht an Grund- und Mittelschulen frei.

Berlin: Mit Quereinsteiger*innen gegen den gravierenden Lehrkräftemangel

Von Bayern nach Berlin – was zeigt der Blick in Deutschlands Hauptstadt? Kein besseres Bild, im Gegenteil: In Berlin und in Sachsen ist der Mangel an ausgebildeten Lehrkräften am gravierendsten. In Zahlen bedeutet das: Für das Schuljahr 2017 / 2018 wurden 2.023 Personen eingestellt, davon 1.013 für die Grundschule. Von diesen haben allerdings nur etwa 180 für das Grundschullehramt studiert. Die anderen sind Lehrkräfte für das Gymnasium, für die Integrierte Sekundarschule oder Lehrkräfte ohne volle Lehrbefähigung. 41 Prozent sind Quereinsteiger*innen, das heißt, sie haben kein Lehramt, sondern ein (Mangel-)Fach der Berliner Schulen wie Chemie oder Physik studiert. Für die GEW Berlin eine besorgniserregende Situation: „Wir sind irritiert, dass unsere Schulsenatorin Sandra Scheeres den eklatanten Mangel an ausgebildeten Lehrkräften in ihrer Pressekonferenz zum Schuljahresbeginn nicht thematisiert. Frau Scheeres scheint die Auswirkungen, die der Fachkräftemangel auf die Qualität der Berliner Schulen hat, nicht ernst genug zu nehmen“, kritisiert Tom Erdmann, Vorsitzender der GEW Berlin. „Der Bedarf ist damit scheinbar quantitativ gedeckt, aber der qualitative, pädagogische notwendige Ersatz für ausscheidende Lehrkräfte wird nicht erreicht. Trotz quantitativ ausreichender Ausstattung werden einzelne Schulen wie in jedem Jahr noch Bedarf haben.“
Was tut man in Berlin, um die angespannte Situation auf dem Lehrkräftearbeitsmarkt zu regulieren? Erfolgsversprechender Ansatz – und die Erfüllung einer bundesweiten GEW-Forderung auf Landesebene – ist, dass neu ausgebildete Grundschullehrkräfte ab diesem Schuljahr in A 13 und E 13 eingruppiert werden. Zudem zahlt die Stadt allen voll ausgebildeten Lehrkräften von Anfang an eine Zulage zur Erfahrungsstufe 5. Ab dem 1. Januar 2018 gibt es auch in den höheren Entgeltgruppen eine sechste Erfahrungsstufe. Ein guter Ansatz, auch wenn die GEW Berlin sich einen höheren Abstand zur Stufe 5 gewünscht hätte. Eine weitere Maßnahme ist die im Koalitionsvertrag des rot-rot-grünen Senats getroffene Vereinbarung, die Studienplätze für die Grundschulen von 282 auf 570 zu verdoppeln – eine Erhöhung, die allerdings noch nicht den Bedarf decken wird. In Sachen Quereinstieg erhalten Schulen für jede*n nach diesem Modell eingestellte*n Kolleg*in zwei Unterrichtsstunden für die Anleitung im berufsbegleitenden Referendariat. Leider hapert es noch an der Umsetzung: „Wir hören oft, dass diese Stunden zu selten tatsächlich in der Ausbildung ankommen“, so Tom Erdmann. Er weist zudem auf die extrem hohe Arbeitsbelastung der Quereinsteiger*innen hin, die neben dem Unterricht ihre berufsbegleitende Ausbildung zu absolvieren haben. Nach Ansicht der GEW Berlin muss vor allem die Qualität der Berliner Schulen im Fokus stehen. „Die Senatorin übt sich in Mangelverwaltung. Dabei fehlen dringend nötige Maßnahmen zur Entlastung der Pädagog*innen, zur Weiterentwicklung des Ganztags, zur Integration der geflüchteten Schüler*innen und zur Umsetzung der Inklusion“, betont der GEW-Landesvorsitzende. „Wenn es der Senatsverwaltung nicht gelingt, ausgebildete Lehrkräfte für die Berliner Schulen zu gewinnen, sind diese Mammutaufgaben nicht zu bewältigen.“

Hessen: Grundlegende Lösungen sind gefragt

Von Berlin schweift der Blick nach Hessen, wo ebenfalls ein Mangel an ausgebildeten Lehrkräften herrscht: Es fehlt an Lehrer*innen für berufliche Schule sowie seit dem vergangenen Jahr akut an Grundschul- und Förderschullehrkräften. Zum Schuljahresbeginn 2017 / 2018 waren hessenweit – insbesondere in Frankfurt am Main – 100 Stellen an den Grundschulen nicht besetzt. Beim gymnasialen Lehramt sowie beim Lehramt an den Haupt- und Realschulen gibt es einzelne Mangelfächer.
Um den Arbeitsmarkt zu regulieren, setzt das Land Hessen an verschiedenen Stellen an. Zum Beispiel bei der Ausbildung: Das Kultusministerium hat mit den hessischen Universitäten vereinbart, die Studienplätze für das Grundschullehramt sowie für das Förderschullehramt zum kommenden Wintersemester um gut 300 Plätze auszubauen. Zu diesem Schuljahr wurde Ranglistenbewerber*innen mit zweitem Staatsexamen Haupt- und Realschullehramt oder Gymnasiallehramt eine Einstellung in Verbindung mit einem Weiterbildungskurs zum Erwerb des Lehramts an Grund- oder an Förderschulen angeboten. Jedoch konnte nur ein Teil der vorgesehenen Plätze besetzt werden, insbesondere beim Grundschullehramt sind viele offengeblieben. „Wir führen das unter anderem auf die geringere Besoldung nach A 12 zurück, zudem ist die für die Weiterbildung vorgesehene Freistellung vom Unterricht aus unserer Sicht zu gering“, meint Dr. Roman George, bildungspolitischer Referent der GEW Hessen. Über Vertretungsverträge kommen inzwischen überwiegend kaum oder überhaupt nicht einschlägig qualifizierte Kräfte an die Schulen, zum Beispiel Lehramtsstudierende, die sich eigentlich noch mitten in der Ausbildung befinden. Des Weiteren gibt es schon länger das Angebot zum Quereinstieg, das jedoch nur wenig genutzt wird. Nach Meinung der GEW Hessen muss das Problem des Nachwuchsmangels grundlegend angegangen werden: Notwendig ist neben der bundesweit geforderten gleichen Besoldung nach A 13 und E 13 auch eine dauerhafte Wiederaufwertung der Arbeit der Lehrkräfte in den Schulen.


Denise Heidenreich
freie Journalistin

Fotos: xx, ja_hh, view7 / photocase.de

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