Anreize statt Zwangsmaßnahmen
Was tun gegen Lehrkräftemangel?
Derzeit fehlen in NRW über alle Schulformen hinweg über 2.100 Lehrer*innen. Ein akutes Problem, das sich aktuellen Studien zufolge jedoch hartnäckig halten und verstärken dürfte. Wie kann es gelingen, den Lehrer*innenberuf auch für die Zukunft attraktiv zu machen und dem Mangel entgegenzuwirken? Langfristige Probleme brauchen langfristige Lösungen.
Wer meint, der derzeitige Lehrkräftemangel sei ein kurzfristiges, temporäres Problem, muss spätestens mit Veröffentlichung der Studie „Demographische Rendite adé“ umdenken: Angesichts eines bevorstehenden Schüler*innen-Booms werden nach Berechnungen der Bildungsforscher Prof. Dr. Klaus Klemm und Dr. Dirk Zorn im Jahr 2030 bundesweit etwa 28.100 zusätzliche Klassen und etwa 42.800 zusätzliche Vollzeitlehrkräfte benötigt. Schon im Jahr 2025 wird es bundesweit 14.500 zusätzliche Klassen geben und es werden etwa 18.200 zusätzliche Lehrkräfte gebraucht werden – regional uneinheitlich und auch schulstufenspezifisch unterschiedlich. Auch wenn in der Studie der Bertelsmann Stiftung konkrete Zahlen zu NRW fehlen, gehört das größte Bundesland zu denjenigen, die besonders betroffen sind. Der Bedarf an Lehrkräften – so weiß die GEW NRW von Schulleitungen und Personalräten – ist nicht neu, nachhaltige Lösungen sind nicht in Sicht.
Die Attraktivität des Berufs steigern
Die GEW NRW hat längst schnelles Handeln von der Politik gefordert. Lehrer*innenmangel verschlechtert Bildungschancen und Arbeitsbedingungen. Schon lange fehlt es dem Lehrer*innenberuf an Attraktivität. Sie wird weiter sinken, wenn nichts geschieht und die Mangelsituation anhält und die Probleme in Schule und Unterricht sich verschärfen. „Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung zur Sicherung des Lehrkräftenachwuchses. Die Landesregierung muss ihre Verantwortung konsequent wahrnehmen und frühzeitig Maßnahmen zur Deckung des Lehrkräftebedarfs ergreifen“, appelliert GEW-Landesvorsitzende Dorothea Schäfer. „Der Lehrer*innenberuf muss wieder attraktiver werden. Dazu brauchen wir eine gleich gute Bezahlung aller Lehrkräfte und bessere Rahmenbedingungen für Schule und Unterricht.“ Die GEW NRW fordert eine Bezahlung nach A 13 Z für alle Lehrkräfte – unabhängig von der Schulform. „Derzeit verdienen Lehrkräfte an Grundschulen und in den Schulformen der Sekundarstufe I 400,- Euro bis 600,- Euro weniger als ihre Kolleg*innen in der Sekundarstufe II“, erklärt Dorothea Schäfer. „Dieser Zustand ist untragbar. Die neue Landesregierung darf dieses Thema nicht auf die lange Bank schieben.“
Zwangsmaßnahmen bringen nichts
Zumal die Konkurrenz nicht schläft: In Thüringen wird die Besoldung der Regelschullehrkräfte nach A13 beziehungsweise EG 13 in Aussicht gestellt. Berlin hat als Bundesland kürzlich die Besoldung der Grundschullehrkräfte nach EG 13 angehoben und sendet dieses attraktive Signal – trotz des vereinbarten Abwerbeverbots – auch über die Landesgrenzen hinweg Richtung NRW (mehr dazu auf den Seiten 18 f.).
Wie man es nicht machen sollte, zeigt uns derweil das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg. Auch hier grassiert der Lehrkräftemangel. Der GEW-Landesverband kritisiert, dass die Landesregierung den Pflichtunterricht zum Beginn des neuen Schuljahres nicht sicherstellen könne, und spricht von „enttäuschenden Notlösungen“ sowie einer Sparpolitik auf dem Rücken der Lehrkräfte und Schüler*innen. „Wir haben kein Ressourcenproblem, wir haben ein Bewerber*innenproblem“, konstatiert die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann und droht: „Es wird unangenehme Gesprächen geben.“ Susanne Eisenmann, die auch amtierende Präsidentin der Kultusministerkonferenz ist, will eine bessere Steuerung der Ressourcen und meint damit: die Einschränkung der Teilzeitbeschäftigung, Zwangsversetzungen und Abordnungen – das übliche Dienststellen-Repertoire bei sogenannten „personellen Maßnahmen in Mangelsituationen“.
Das kennen wir auch in NRW: Bevor Kolleg*innen etwa ihre Planstelle an der Grundschule in Münster antreten, werden sie erst einmal für ein bis zwei Jahre nach Gelsenkirchen verschickt. Und auch darüber hinaus beweist der Dienstherr fragwürdige Kreativität, stellt Gymnasialabsolvent*innen an Grundschulen ein und reaktiviert Pensionär*innen – hier sind die Erfahrungen in Baden-Württemberg und NRW ebenfalls vergleichbar. Der Effekt solcher (Zwangs-)Maßnahmen ist begrenzt, die Zahlen bleiben überschaubar. Fazit: Sie bringen nichts.
Bessere Bezahlung nach TV-L
Deshalb müssen wirksame Maßnahmen her, die sich möglichst schnell umsetzen lassen. Das Besoldungs- und Tarifrecht bietet entsprechende Möglichkeiten. Der Tarifvertrag der Länder (TV-L) beinhaltet zwei gute Ansatzpunkte zur besseren Bezahlung von tarifbeschäftigten Lehrkräften, um dem Lehrkräftemangel gezielt entgegenzuwirken:
Der TV-L regelt, dass der Arbeitgeber „bei Neueinstellungen zur Deckung des Personal-bedarfs Zeiten einer vorherigen beruflichen Tätigkeit ganz oder teilweise für die Stufenzuordnung berücksichtigen (kann), wenn diese Tätigkeit für die vorgesehene Tätigkeit förderlich ist“ (§ 16 Absatz 2). Die Stufenzuordnung bestimmt maßgeblich die Bezahlung der tarifbeschäftigten Lehrkräfte, denn je nach Zuordnung kann zwischen zwei Stufen schon ein Unterschied bis zu 550,- Euro entstehen. Würden nun die sogenannten förderlichen Zeiten – zum Beispiel vorherige Erfahrungen als Nachhilfelehrkraft – großzügig anerkannt und bei der Stufenzuordnung angerechnet, würde dies über die tarifliche Regelung schnell zu einem höheren Einkommen führen.
Die zweite Möglichkeit ist die Vorweggewährung von Stufen nach § 16 Absatz 5 TV-L. Demnach kann Tarifbeschäftigten „zur regionalen Differenzierung, zur Deckung des Personalbedarfs, zur Bindung von qualifizierten Fachkräften oder zum Ausgleich höherer Lebenshaltungskosten (…) abweichend von der tarifvertraglichen Einstufung ein bis zu zwei Stufen höheres Entgelt ganz oder teilweise vorweg gewährt werden.“ Erfahrungsstufen würden somit vorweg gewährt und damit auch früher ausgezahlt, sodass sich ein positiver finanzieller Effekt ergäbe.
Beide Möglichkeiten der besseren Bezahlung lassen sich kurzfristig umsetzen und erfordern keine neuen tariflichen Regelungen, die zunächst in meist langwierigen Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebern ausgehandelt werden müssen. Bereits vorhandene Regelungen des TV-L müssten lediglich angewendet werden.
Gerechte Besoldung für Beamt*innen
Thüringen verbeamtet mittlerweile Lehrkräfte im Alter von bis zu 47 Jahren und will neuen Lehrkräften, die aus anderen Bundesländern kommen, sogar billiges Bauland anbieten. Auch sollen Regelschullehrkräfte künftig in zwei Stufen mit A 13 besoldet werden und langfristig auch die Grundschullehrkräfte, so der neue Bildungsminister Helmut Holter in einem Interview mit dem MDR. In NRW gilt für die Verbeamtung nach vielen Jahren der Klagen bis vor das Bundesverfassungsgericht nun eine Höchstaltersgrenze von 42 Jahren, plus maximal sechs Jahre, wenn die Beschäftigten Kinder haben. Schwerbehinderte Lehrer*innen werden bis zum 45. Lebensjahr verbeamtet. Verglichen mit anderen Bundesländern ist in NRW also noch Luft nach oben.
Daneben können weitere grundsätzliche Maßnahmen dem Lehrer*innenberuf zu einer Attraktivitätssteigerung verhelfen, beispielsweise durch allgemeine Zulagen, eine Zulage für den Dienst in Brennpunktschulen, den Wegfall von Beförderungseinschränkungen, eine Mobilitätszulage sowie die Honorierung der Weiterbeschäftigung über die Regelaltersgrenze hinaus.
Eine der ersten und wichtigsten Entscheidungen wäre aber endlich die verfassungsgemäße, schulformunabhängige Eingangsbesoldung aller vollausgebildeten Lehrkräfte nach A 13 Z. Mittlerweile haben bereits elf Bundesländer die Eingruppierung in A 13 für den Sekundarstufenbereich anerkannt. Berlin legt nun auch für den Grundschulbereich A 13 fest; Thüringen verfolgt dasselbe Ziel. Auch in NRW wird es höchste Zeit, dass die Landesregierung endlich handelt: Der gegenwärtige Lehrer*innenmangel, der sich weiter fortsetzen wird, ist ein weiteres Argument für eine rasche Umsetzung der GEW-Forderung „A13 für alle“.
Joyce Abebrese
Referentin für Tarifpolitik der GEW NRW
Ute Lorenz
Referentin für Beamt*innenpolitik der GEW NRW
Berthold Paschert
Pressesprecher und Referent für Lehrer*innenbildung der GEW NRW
Fotos: time.,jockelo / photocase.de; Jenpol Sumatchaya / shutterstock.com
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