Neuanfang nach KiBiz?

Forderungen der GEW NRW für ein neues Kita-Gesetz

Acht Jahre nach dem Inkrafttreten des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) plant die nordrhein-westfälische Landesregierung ein neues Gesetz, das die Bildung und Erziehung von Vorschulkindern regelt. Eine Chance, um Versäumtes endlich nachzuholen.

Das Inkrafttreten des KiBiz im Jahr 2008 wurde von massiven Protesten betroffener Träger, Eltern und Interessenvertretungen der Beschäftigten begleitet. Auch die GEW NRW übte 2007 in einer Stellungnahme zum geplanten Gesetz deutliche Kritik: „Die GEW sagt: Nein! Bis zur Verabschiedung eines neuen Gesetzes müssen die derzeitigen Kürzungen der Gruppenpauschalen zurückgenommen werden. Ein neues Gesetz muss unter Beteiligung der Fachleute aus der Praxis aus Gewerkschaften, Eltern- und Berufsverbänden etc. entwickelt werden, das den Absichtserklärungen wirklich gerecht werden kann. Eine Verbesserung der Bildung und Förderung unserer Kinder kostet Geld, das auszugeben lohnt sich.“

Zeit für einen kompletten Neuanfang

Jetzt – acht Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes – kommt die Politik diesen Forderungen nach und erfragt bei allen Beteiligten die Meinungen zu Eckpunkten für ein neues Gesetz. Die GEW NRW begrüßt das und beteiligt sich gerne an diesem Prozess, die notwendigen Bedingungen für eine gelingende Bildung und Erziehung aller Vorschulkinder zu formulieren.
Mit der Formulierung und Weiterentwicklung der Bildungsgrundsätze steht den Kindergärten in NRW eine gute Basis für die inhaltliche Arbeit mit den zu betreuenden Kindern zur Verfügung. Jetzt gilt es die strukturellen Voraussetzungen zu schaffen, um diese Grundsätze in den Kitas  umsetzen zu können. Nachdem es in den letzten Jahren in zwei Revisionen den Versuch gab, das KiBiz zu verbessern, soll nun also ein Schnitt erfolgen und ein ganz neues Gesetz eingebracht werden, wie es schon lange vonseiten der Landesregierung angekündigt wurde. Dass die Revisionen keinen grundlegenden Richtungswechsel erzielen konnten, lag auch daran, dass die Kommunen und der Bund sich bei den geplanten Verbesserungen nicht beteiligten und dem Land die Finanzierung größtenteils allein überließen. So ergaben sich an einigen Stellen durchaus spürbare Entlastungen, die aber das Problem der strukturellen Unterfinanzierung und personellen Unterbesetzung nicht lösen konnten.
Die GEW NRW hat sich in den letzten Monaten gemeinsam mit dem DGB NRW und ver.di NRW auf Forderungen für ein neues Kita-Gesetz verständigt. Nach mehreren Gesprächsrunden mit ExpertInnen aus den zuständigen Gremien liegt jetzt ein Eckpunktepapier vor, das allen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten PolitikerInnen und Interessierten zur Verfügung gestellt wird.

Personalschlüssel verbessern

Kernpunkt der Forderungen der GEW NRW ist ein deutlich verbesserter Personalschlüssel, denn pädagogisch notwendiges Handeln kann aufgrund des unzureichenden Personalschlüssels nicht sichergestellt werden. Hier gilt es, die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien zu berücksichtigen. Die Beschäftigten brauchen neben ausreichender Zeit für die Arbeit mit den Kindern auch Zeit für die vielfältigen weiteren Aufgaben wie Elternarbeit, Dokumentationen, Absprachen und Vernetzung. Die Vertretung abwesender KollegInnen muss jederzeit sichergestellt werden.
Eine auskömmliche Finanzierung notwendiger Verwaltungskräfte sowie hauswirtschaftlicher Tätigkeiten durch die Träger muss ebenfalls erreicht werden, damit sich pädagogische MitarbeiterInnen auf ihre eigentlichen Aufgaben konzentrieren können. Auch die Kosten der betrieblichen Interessenvertretung sind zu berücksichtigen. Zur personellen Notwendigkeit gehören außerdem eine angemessene Berücksichtigung der vielfältigen Leitungstätigkeiten und eine Fachberatung. Personalführung, Organisation der Teamarbeit und der Vernetzung mit vielen beteiligten Stellen, die Beratung von Familien und die Aufnahme der Kinder, aber auch die Instandhaltung von Gebäude und Ausstattung können nicht nebenbei erledigt werden.
Unbedingt zu berücksichtigen sind auch der Fortbildungsbedarf der Beschäftigten und die Zeit für die Begleitung und Anleitung von PraktikantInnen, die in keinem Fall auf den Personalschlüssel angerechnet werden dürfen.
Viele Kinder benötigen zusätzliche Förderangebote, die durch multiprofessionelle Teams sichergestellt werden können. Hier ist zu prüfen, wie die finanzielle Beteiligung der Gesundheitssysteme so erreicht werden kann, dass eine ganzheitliche Förderung durch Fachkräfte innerhalb der Einrichtungen erfolgen kann.

Gruppenstruktur anpassen

Die Gruppenstruktur in den Kindergärten muss sich an den tatsächlichen Bedarfen orientieren. Die im KiBiz beschriebenen Gruppenformen treten in dieser Zusammensetzung kaum auf. Benötigt wird eine Obergrenze von 20 Kindern pro Gruppe. Je nach Alter der Kinder ist ein entsprechender Faktor zugrunde zu legen, der sicherstellt, dass die Gruppengröße abnimmt, je mehr jüngere Kinder aufgenommen werden. Die GEW NRW schlägt vor, hier drei Gruppen zu bilden: das erste und zweite Lebensjahr, das dritte und vierte Lebensjahr und vom fünften Lebensjahr bis zur Einschulung. In gleicher Weise kann ein erhöhter Förderbedarf wegen einer Behinderung, Erziehungsschwierigkeiten oder fehlenden Sprachkenntnissen Einfluss auf die Gruppengröße und die personelle Ausstattung nehmen.
Zur Ausstattung der Gruppen gehört selbstverständlich auch die Festlegung erforderlicher baulicher und räumlicher Standards, weil diese die Strukturqualität mitbestimmen.

Zeiten am Kindeswohl orientieren

Die Öffnungszeiten der Kitas müssen sich vorrangig am Kindeswohl orientieren. Als Gewerkschaften unterstützen GEW, ver.di und DGB NRW den Grundsatz, dass die Wirtschaft familienfreundlich werden muss und nicht umgekehrt die Familien mit Unterstützung der Institutionen wirtschaftsfreundlich zu sein haben. Wenn Einrichtungen hier wie selbst-
verständlich auch verlässliche Betreuungsangebote sicherstellen, geschieht dies vor allem unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Kinder, aber auch der Beschäftigten.

KindheitspädagogInnen einbinden

Die GEW NRW hält es für fahrlässig, die Chancen ungenutzt zu lassen, die sich durch die in den letzten Jahren zunehmend ausgebildeten KindheitspädagogInnen bieten. Hier sind Konzepte zu entwickeln, wie diese auch in den Kitas ihrer speziellen Ausbildung und ihren Fähigkeiten gemäß eingesetzt werden können.
Durch ihren Einsatz könnten große Chancen für  eine Umstrukturierung der Familienzentren entstehen, die derzeit ohnehin viel zu bürokratisch angelegt sind. Viele ihrer Angebote gehen am eigentlichen Bedarf vor Ort vorbei, müssen aber für die Zertifizierung in irgendeiner Form nachgewiesen werden. Hier werden manche Ressourcen vergeudet. Der fachgemäße Einsatz von KindheitspädagogInnen könnte ein passgenaues und effektives Unterstützungssystem für die Familien in einem Stadtteil aufbauen. So können Familienzentren entbürokratisiert und pädagogische Kräfte von zusätzlichen Aufgaben entlastet werden. Familien stehen zusätzliche AnsprechpartnerInnen für weitergehende Anliegen zur Verfügung.

Bedarfsgerechte Finanzierung sichern

Eine auskömmliche Finanzierung der Einrichtungen ist grundlegend und dauerhaft sicherzustellen. Das für eine sinnvolle Arbeit notwendige Personal muss in vollem Umfang refinanziert werden. Das ist nach Auffassung der GEW NRW am besten durch eine Spitzabrechnung zu gewährleisten. Dabei muss die tarifliche Vergütung der Beschäftigten Bedingung sein. Das Refinanzierungssystem darf keine Anreize für Tarifdumping enthalten. Die Finanzierung der Sachkosten kann dann über ausreichende und dynamisierte Pauschalen erfolgen. Hier muss jedoch unbedingt entbürokratisiert werden. Die Fülle von unterschiedlichen Pauschalen muss dringend abgeschafft werden. Ein Teil dieser Pauschalen hat sich aus dem Rückzug der Kommunen an der Beteiligung einzelner Leistungen ergeben, die jetzt das Land allein übernimmt. Hier muss das neue Gesetz alle Erfordernisse so berücksichtigen, dass die Abrechnung der Einrichtungen nicht mehr über zahlreiche Einzelbudgets erfolgen muss.
Zwischen Ankündigungen bedarfsgerechter Angebote und der Bereitschaft, diese zu finanzieren, klafft oft eine große Lücke. Die GEW NRW wird das weitere Verfahren aufmerksam verfolgen und alle notwendigen Reformen nachdrücklich anmahnen. Hier ist die Bildungsgewerkschaft gefordert, vor Ort in den Kommunen für eine breite Unterstützung dieses Anliegens zu werben, denn ohne die finanzielle Beteiligung der Kommunen werden wir keine bedarfsgerechte Finanzierung erreichen können. Auch gegenüber dem Bund ist eine angemessene Beteiligung an den Kosten dieser elementar wichtigen gesamtgesellschaftlichen Aufgabe einzufordern.
Zu entlasten sind zugleich Eltern und Familien. Elternbeiträge gehören abgeschafft, weilBildung immer gesellschaftliche Aufgabe und somit steuerfinanzierbar sein muss. Zumindest ist bis zum Erreichen der Beitragsfreiheit eine landeseinheitliche faire Belastung der Familien zu vereinbaren.
Gespannt erwarten die Gewerkschaften nun, wie ihre Forderungen in das Eckpunktepapier der Landesregierung einfließen werden, das bis Ende 2016 vorgelegt werden soll. Im Wahlkampf zur Landtagswahl im Mai 2017 wird die GEW NRW genau beobachten, an welche Versprechungen sie nach der Wahl erinnern kann. 

Lothar Freerksema, Leitungsteam des Referats „Jugendhilfe und Sozialarbeit“ der GEW NRW

Fotos: iStock.com / Andrew Rich, Kontrec 

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