Schullandschaft: Wir müssen reden!

Wie aus dem Würfelbecher – so lässt sich die derzeitige Schulstruktur in NRW zutreffend beschreiben. Mit dem Schulkonsens von 2011hat die Landespolitik die kommunalen Gestaltungsspielräume erweitert und ermöglicht Schulträgern seitdem, deutlich mehr als 20 Varianten der Sekundarstufe I vorzuhalten. So können die Kommunen individuell auf das sich wandelnde Elternwahlverhalten reagieren. Aber wie soll die Schulstruktur in NRW künftig aussehen, wenn landesweit immer mehr Schulen geschlossen werden und wenn gerade im ländlichen Raum bestimmte Schulformen gar nicht mehr existieren? Der Handlungsdruck ist hoch.

Schulkonsens reloaded?

Die meisten Bundesländer haben inzwischen ein zweigliedriges System oder befinden sich auf dem Weg dorthin. Mit dem Schulkonsens ging NRW den entgegengesetzten Weg: Die Schulstruktur wurde weiter gefächert. Diese Leitentscheidung sollte für ein Ende der Schulstrukturdebatten mindestens bis zum Jahr 2023 sorgen – so lange läuft der Konsens. Eine trügerische Hoffnung, denn schon jetzt brodelt es: Das Hauptschulsterben schreitet ungebremst voran. Die Sekundarschule steht sechs Jahre nach ihrer Erfindung vor regional extrem unterschiedlichen Entwicklungspers-pektiven. Und die Politik der vielen Möglichkeiten sorgt für Schulkämpfe vor Ort. Die Landespolitiker*innen indes sind vor allem damit beschäftigt, mit dem Finger auf die anderen zu zeigen. CDU und FDP werfen der SPD schon einmal vorsorglich einen Bruch des Schulkonsenses vor, weil sie nachdenkt: Die Sozialdemokrat*innen überlegen erneut, ob das Zwei-Säulen-Modell ein sinnvoller Schritt zu einer Schule für alle Kinder ist oder gerade der Abschied von dieser Zielvorstellung. SPD und GRÜNE hingegen kritisieren Schwarz-Gelb scharf, weil die Regierungskoalition handelt: Sie wird dauerhaft Hauptschulzweige ab Klasse 5 an Realschulen etablieren. Auch die zweizügige Fortführung von Sekundarschulen wird sie ermöglichen – und bei der Gelegenheit direkt prüfen, ob und wie gymnasiale Standards an Sekundarschulen umgesetzt werden. Bei allem Verständnis für den wohl unvermeidlichen Politikstreit: Die Parteien des Schulkonsenses und die damals im Abseits stehende FDP müssen sich dringend eingestehen, dass neu justiert werden muss. Alles andere wäre verantwortungslos.

Längeres gemeinsames Lernen und mehr Bildungsgerechtigkeit

In der Landesverfassung steht seit 2011: „Das Land gewährleistet in allen Landesteilen ein ausreichendes und vielfältiges öffentliches Bildungs- und Schulwesen, das ein gegliedertes Schulsystem, integrierte Schulformen sowie weitere andere Schulformen umfasst.“ Dieses gesicherte Nebeneinander von Schulen des gegliederten Schulwesens und integrierten Schulen muss Ausgangspunkt sein, wenn erneut über die Schulstruktur diskutiert wird. Das Ziel der einen Schule für alle Kinder ist angesichts der politischen Lage auf Jahre hinaus nicht durchsetzbar. Und es wäre politisch naiv, diesen Ausgangspunkt zu ignorieren. Die GEW NRW fordert eine breit geführte Debatte, in die sie ihre Vision für Gute Bildung einbringen wird: Mehr Längeres Gemeinsames Lernen muss in NRW möglich sein; seine Schulformen müssen gestärkt werden. Dabei gehören die Gelingensbedingungen für Sekundarschulen auf den Prüfstand. Es muss aber auch diskutiert werden, wie klein eine Gesamtschule sein darf und ob Teilstandortlösungen möglich und für die Kolleg*innen vor Ort tragbar sind. Jede strukturelle Änderung und jede Neujustierung muss zudem daran gemessen werden, ob sie zu mehr Bildungsgerechtigkeit führt. NRW muss endlich der Entkopplung von Bildungserfolg und sozialer Herkunft entscheidend näherkommen. Das ist bildungspolitische DNA der Bildungsgewerkschaft.


Dorothea Schäfer
Vorsitzende der GEW NRW

Foto: iStock.com / AvigatorPhotographer

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