Koalitionsvertrag: Der schwarz-gelbe Fahrplan
Koalitionsvertrag von CDU und FDP
Nach dreiwöchigen Verhandlungen haben CDU und FDP den Koalitionsvertrag am 16. Juni 2017 der Öffentlichkeit vorgestellt. Es ist sicher davon auszugehen, dass auch die Mitglieder der beiden Parteien dem Vertrag zustimmen werden. Die Wahl von Armin Laschet zum Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen soll am 27. Juni 2017 stattfinden. Eine erste Kommentierung zu ausgewählten Aspekten des 121-seitigen Papiers, das Grundlage für die Regierungszeit bis 2022 sein wird.
„Bildungschancen müssen überall in Deutschland und für alle Kinder gleichermaßen zugänglich und unabhängig von der sozialen Herkunft sein. Gerade in Zeiten großer gesamtgesellschaftlicher und bildungspolitischer Herausforderungen wie der Inklusion und der Integration sind erhebliche finanzielle Ressourcen erforderlich.“ Ein wohlklingender Auftakt, der zentralen Forderungen der GEW NRW entspricht. Wer aber weiterliest, wird den 121 Seiten umfassenden Koalitionsvertrag für die Legislaturperiode von 2017 bis 2022 besorgt und enttäuscht aus der Hand legen.
Besoldung, Arbeitszeit und Finanzierung bleiben Leerstellen
Versprechungen aus dem Wahlkampf wie die gerechte und verfassungsgemäße Reform der Besoldung – A 13 Z für alle Lehrkräfte unabhängig von der Schulform – fehlen. Die GEW NRW wird den bereits vorbereiteten Weg der Musterklagen gehen. Die Ankündigung der Einführung einer „Individualverfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof des Landes NRW“ kann dabei unterstützend wirken. Die angekündigte Anhebung der Besoldung für die Konrektor*innen begrüßt die Bildungsgewerkschaft ausdrücklich. Zur Lehrkräftearbeitszeit, zum weiteren Umgang mit dem Schulkonsens oder zu den Beteiligungsverfahren und -formen, die sich in den letzten sieben Jahren etabliert haben, trifft der Koalitionsvertrag ebenfalls keine Aussagen. In Teil I „Land des Aufstiegs durch Bildung“ des Vertrags fehlen klare Bekenntnisse zur besseren finanziellen Ausstattung durch das Land – außer Verweisen auf die Bundesregierung oder Finanzierung durch private Stiftungen sowie ungenauen Aussagen zur „spürbaren Verbesserung der Lehrerversorgung“.
Schulfreiheitsgesetz: Entlastung sieht anders aus
Schulen sollen mehr pädagogische, personelle, finanzielle und organisatorische Freiheiten bekommen. Einige dieser Ideen sind nicht neu und schon jetzt möglich, anderes wurde lange im Modellversuch „Selbstständige Schule“ erprobt und verworfen. Wenn es mehr pädagogische Freiheit in Lehrplänen und Stundentafeln geben soll, steht die Ankündigung eines neuen, verpflichtenden Schulfachs Wirtschaft an allen weiterführenden Schulen dazu deutlich im Widerspruch, denn Ökonomische Bildung wird längst in vorhandenen Fächern unterrichtet. Das größte Problem in den Schulen ist die Arbeitsüberlastung durch ein zu hohe Unterrichtsverpflichtung und zusätzliche Aufgaben, die in der Arbeitszeit nicht berücksichtigt werden.
Unterrichtsgarantie und Lehrer*innenversorgung: eine Mogelpackung?
Stellen für Lehrkräfte, die unter Rot-Grün gestrichen werden sollten, wollen CDU und FDP erhalten, mittelfristig streben die Koalitionspartner eine 105-prozentige Lehrer*innenversorgung an, vordringlich an den Grundschulen. Das hört sich im ersten Moment gut an, bei genauerem Hinsehen wird aber klar: Gerade kleine Grundschulen gewinnen dadurch nicht viel. Eine Schule mit zehn Stellen hätte Anspruch auf eine halbe Stelle mehr. Fiele dann auch nur eine Lehrkraft aus, wäre die Schule bereits unterbesetzt und eine Unterrichtsgarantie ohne Mehrarbeit der anderen Lehrkräfte wäre nicht gewährleistet. Ein „Masterplan Grundschule“ – so der klangvolle Arbeitstitel – ist sinnvoll. Völlig unklar bleibt aber, woher die dringend benötigten Lehrkräfte kommen sollen, ohne die hohen Qualitätsstandards der jetzigen Ausbildung aufzugeben.
Die Stellenreduzierungen in Berufskollegs wollen die beiden künftigen Regierungspartner rückgängig machen – das ist gut. Auch die Stärkung und verlässliche Fortführung der Schulsozialarbeit, der Ausbau der Schulpsycho-logie sowie die Unterstützung der Schulen durch Schulverwaltungsassistent*innen sind sinnvolle Maßnahmen. Die Finanzierung bleibt allerdings vollständig ungeklärt.
Förderschulen erhalten, Inklusion verbessern: eine Mammutaufgabe
Noch während der laufenden Koalitionsverhandlungen kündigten CDU und FDP an, die Schließung von Förderschulen stoppen zu wollen; 35 auslaufend gestellte Förderschulen sollten künftig wieder neue Schüler*innen aufnehmen dürfen. Im Vertrag liest es sich nun etwas anders: „Zur akuten Sicherung des Förderschulangebots werden wir die ‚Verordnung über die Mindestgrößen der Förderschulen und der Schulen für Kranke‘ für Ausnahmen öffnen und die kommunalen Schulträger bei der Entwicklung regionaler Förderschulentwicklungspläne unterstützen.“ Es scheint, als hätte jemand in der Verhandlungskommission bemerkt, dass Entscheidungen von Schulträgern nicht einfach durch die Landesregierung rückgängig gemacht werden können. Allerdings soll es „eine durchgehende Wahlmöglichkeit zwischen Förderschule und inklusiver Regelschule“ geben. Kein Wort davon, dass für ein solches Vorhaben erheblich mehr zusätzliche Stellen erforderlich sind. Was bedeutet das für die Inklusion? Gilt nur noch ein eingeschränkter Rechtsanspruch für Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf? Verbessert sich die Lage in den Förderschulen, den Grundschulen und den weiterführenden Schulen? Zu befürchten ist eher eine Verschlechterung der Situation an allen Lehr- und Lernorten des Gemeinsamen Lernens.
Dennoch: Für die Inklusion verspricht der Koalitionsvertrag verbindliche Qualitätsstandards – wie es die GEW NRW und andere Verbände in der Mülheimer Erklärung gefordert haben. Eine Konkretisierung fehlt jedoch auch an dieser Stelle. Außerdem sollen verstärkt Schwerpunktschulen gebildet werden „für den gezielten Einsatz von Ressourcen“. Genauer wird diese Maßnahme nur für das Gymnasium beschrieben: „Die Umsetzung der Inklusion an Gymnasien erfolgt in der Regel zielgleich. Wenn zieldifferenter Unterricht gewünscht wird, bedarf es eines Konzeptes und entsprechender Unterstützung durch das Land.“ Was ist mit der Unterstützung für Sekundar-, Gesamt- und Hauptschulen, die zurzeit hauptsächlich die Aufgabe der Inklusion und Integration sowie die Förderung von sozial Benachteiligten stemmen müssen? Erwähnt wird auch die Einrichtung von Fachzentren für Inklusion, vergleichbar mit den Kompetenzzentren aus dem Modellversuch in den Jahren 2005 bis 2010, jedoch ohne nähere Detailfestlegungen.
Ungleiches ungleich behandeln – mit privat finanzierten Einzelprojekten?
„Wir wollen soziale Nachteile im Bildungsbereich überwinden und Aufstiegschancen für alle eröffnen. Hierzu ergreifen wir für alle Schulen geeignete Maßnahmen“, kündigen CDU und FDP im Koalitionsvertrag an. Erwähnt wird die Gründung von „mindestens 30 Talent-Schulen (...) in Stadtteilen mit den größten sozialen Herausforderungen. Hierzu sollen auch privates Engagement (...) sowie Mittel von Sozial- und Bildungsstiftungen zum Einsatz kommen.“ Die Talentschulen sollen als „Leuchtturmprojekte“ eine positive Wirkung auf die Qualitätsentwicklung in allen Schulen entfalten. 30 Schulen? Angesichts der derzeitigen Menge der Schulen, die in sozialen Brennpunkten ihre Arbeit machen, wäre das noch nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein – ganz abgesehen von der Idee, diese „Leuchtturmprojekte“ privat zu finanzieren.
Kita, Hochschule, Erwachsenenbildung: kleine Hoffnungsschimmer
Die Beseitigung der strukturellen Unterfinanzierung der Kitas und ein „Trägerrettungsprogramm“ sowie die Anerkennung der Arbeit der Erzieher*innen begrüßt die GEW NRW. Die Weichenstellung für ein neues Kita-Gesetz mit klaren Qualitätsverbesserungen muss schnell erfolgen – die Eckpunkte von DGB NRW, GEW NRW und ver.di NRW dazu liegen auf dem Tisch.
Das angekündigte „neue Hochschulfreiheitsgesetz“ steht den kleinen Verbesserungen, die in der rot-grünen Legislaturperiode erreicht werden konnten, diametral entgegen. Studiengebühren lehnt die GEW NRW ab – auch wenn sie „nur“ von Studierenden aus Nicht-EU-Ländern erhoben werden. Der gesamte Bildungsbereich von der Kita bis zur Hochschule ist eine gesellschaftliche Aufgabe und muss deshalb beitragsfrei werden.
Gut ist die geplante Dynamisierung der Mittel für die institutionelle Förderung der öffentlich finanzierten Weiterbildung. Die zumeist prekäre Situation der Beschäftigten in den Weiterbildungseinrichtungen spart der Koalitoinsvertrag jedoch völlig aus.
Konkret werden und konstruktiv zusammenarbeiten
Vieles bleibt im Ungefähren, wichtige Aussagen fehlen, die Bildungspolitik ist im Kern auf die Stärkung des gegliederten Systems ausgerichtet und nicht auf eine Weiterentwicklung hin zum längeren gemeinsamen Lernen, die sich viele Eltern wünschen. Trotz vieler Fragezeichen zum Koalitionsvertrag und auch inhaltlicher Kritik bietet die GEW NRW der neuen Landesregierung eine konstruktive Zusammenarbeit auf Augenhöhe an.
Dorothea Schäfer
Vorsitzende der GEW NRW
Illustration: PureSolution / shutterstock.com
Kommentare (1)