Europa grenzenlos: Study, work and travel

Wie läuft's im Auslandssemester?

Nina Krüger und Josef Kraft erleben Europa im Moment hautnah – in Italien und Schottland. Warum sich die beiden Studierenden für Semester im Ausland entschieden haben und wie dort die Stimmung vor der Europawahl ist, erzählen die beiden im Interview.

Nina, du bist gerade für ein Semester in Italien. Wie gefällt es dir dort?

Nina Krüger: Mir gefällt es wirklich gut in Italien! Ich hatte viel Glück mit meinen Mitbewohner*innen und habe auch schnell Freund*innen gefunden, sodass ich wirklich sagen kann, dass ich angekommen bin. Ich habe meinen Aufenthalt sogar um ein Semester verlängert. Ich besuche täglich Seminare, einen Sprachkurs an der Universität und absolviere ein Praktikum im Forschungsinstitut des italienischen Gewerkschaftsbundes in Bologna. Wenn ich nicht mit meinen Kommiliton*innen in der Bibliothek lerne, gehen wir auch gerne mal einen Kaffee oder Aperitivo trinken.

Josef, du studierst und lebst schon ein paar Monate in Schottland. Wie ist es bei dir?

Josef Kraft: Ich bin nun seit einem halben Jahr in Glasgow und es ist einfach super. Die Uhren an der Uni ticken anders als in Siegen. Die Semester sind etwas kürzer, dafür aber umso gefüllter. Anstatt eine Phase am Ende des Semesters für Hausarbeiten und Klausuren zu reservieren, werden diese hier auch schon während der Vorlesungsphase erwartet. Trotz des vollen Studientags bleibt aber immer noch Zeit, um auch das politische und kulturelle Angebot der Stadt kennenzulernen. Nach Vorlesungen, Seminaren und der dazugehörigen Schicht in der Bibliothek geht es noch oft genug raus, um mit Freund*innen und Kommiliton*innen den Abend ausklingen zu lassen. Nicht selten kann man dabei in den Pubs auch Live-Musik erleben.

Warum habt ihr euch für diese Länder entschieden?

Josef Kraft: Nachdem ich bereits ein Jahr im Süden Englands gelebt habe, wollte ich immer zurückkehren. Das hat nun endlich geklappt. Die Möglichkeit, hier einen Master in Internationalen Beziehungen zu absolvieren, war meine Chance. Ich hoffe, dass ich mit diesem Abschluss, den Erfahrungen in der Zusammenarbeit und meinem ehrenamtlichen Engagement bei den örtlichen Gewerkschaften in der internationalen gewerkschaftlichen Arbeit Fuß fassen kann.
Nina Krüger: Bei mir war es fast genauso. Ich habe schon immer eine kleine Sehnsucht nach Italien gehabt, seit ich als Jugendliche mit meinem Sportverein die Gelegenheit hatte, ins Trainingslager dorthin zu fahren. In der Schule lernte ich dann die Sprache, was mein Fernweh nur verstärkt hat. Zum Master wollte ich ein Auslandssemester in mein Studium integrieren, damit ich meine Sprachkenntnisse verbessern kann, andere wissenschaftliche Arbeitsweisen kennenlerne und internationale Freundschaften schließen kann. Die Möglichkeit, am Doppelmasterprogramm der Unis Bielefeld und Bologna teilzunehmen, war daher eine glückliche Fügung.

Viele Studierende nutzen das EU-Förderprogramm Erasmus, um ins Ausland zu gehen. Wie habt ihr euren Traum verwirklicht? 

Nina Krüger: Ich bin nicht über ein Erasmusprogramm ins Ausland gegangen, sondern im Rahmen des bilateralen Abkommens zwischen den Universitäten Bielefeld und Bologna. Weil diese Kooperation noch relativ neu war, gab es viele Dinge, die nur theoretisch vereinbart waren. Einige bürokratische Prozesse mussten individuell ausgehandelt werden. Des Weiteren haben Sprachbarrieren und uneinheitliche Universitätssysteme diesen Prozess noch verkompliziert. Trotz der Vereinheitlichungen durch die Bolognareform gibt es also noch Verbesserungsbedarf.
Josef Kraft: Auch bei mir hatte die Organisation des Auslandsaufenthalts seine Tücken, aber am Ende hat es glücklicherweise doch alles sehr gut geklappt. Nachdem die Hans-Böckler-Stiftung ihre Unterstützung zugesagt hatte, konnte ich mich in Glasgow bewerben. Während des Bewerbungsprozesses tauchten Überraschungen auf, die aber mit der Hilfe meines Vertrauensdozenten und Dozierender in Siegen gut gelöst werden konnten. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie die Anrechnung der Leistungen abläuft. Es scheint, als sei Europa in diesem Aspekt noch nicht so weit zusammengewachsen, wie es geplant war.

Trotz vieler Gemeinsamkeiten sind die einzelnen EU-Länder immer noch sehr verschieden. Wie ist denn die Stimmung kurz vor der Europawahl?

Nina Krüger: Die Stimmung in Italien ist eher ruhig und bis jetzt hat der Wahlkampf hier nicht wirklich begonnen. Ich schätze, dass das vor allem daran liegt, dass auf nationaler Ebene viel los ist: Seit die neue Regierung im Amt ist, gibt es jeden Tag einen neuen – meist rassistischen – Skandal von Salvini und Co.. Vor einigen Wochen wurde erst das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt und ein Gesetz verabschiedet, das die Sorgerechtsregelung verschlechtert. Das Ganze ist sehr dynamisch und es gibt viele politische Veranstaltungen und Demos, beispielsweise eine gigantische Fridays-for-Future-Demo. Zu den Europawahlen hat bis jetzt leider wenig stattgefunden.

Fühlst du dich dort als Deutsche, als Europäerin oder beides?

Nina Krüger: Ich fühle mich durch und durch als Europäerin. Quasi überall hängen EU-Flaggen an offiziellen Gebäuden und die Freiheit ohne Visa, ohne SIM-Karten- oder Währungswechsel einfach Grenzen überqueren zu können und herzlich aufgenommen zu werden, hat etwas sehr Inspirierendes. Die Erfahrung hat mich nur darin bestärkt, wie wichtig die EU für unser aller Zusammenleben ist und welche Gelegenheiten sie für so viele junge Menschen bietet. Die Erfahrung, in einem anderen Land zu leben, hat meine Perspektive nachhaltig verändert, nicht nur im Positiven: Ich habe Menschen kennengelernt, die von struktureller Jugendarbeitslosigkeit betroffen sind, und erlebt, wie diese jungen Leute ihre Zukunft planen. Das hat mir deutlich gezeigt, wie wichtig es ist, Probleme zusammenhängend auf europäischer Ebene zu lösen.

Von gemeinsamen Lösungen ist man in Großbritannien im Moment leider weit entfernt. In Schottland ist die Situation wegen des Brexits sicher angespannt, oder?

Josef Kraft: Naja, ich hatte große Proteste erwartet, als sich im März das Brexit-Datum näherte, aber am Ende blieb alles ruhig. Viele, mit denen ich gesprochen habe, sind einfach nur genervt vom Hin und Her. Dabei fällt immer wieder auf, dass das Bild der rechten Brexit-Unterstützer*innen nur zum Teil richtig ist. Viele, vor allem junge Leute, die gesellschaftlich progressiv eingestellt sind, befürworten den Ausstieg mittlerweile, weil man hofft, gesellschaftliche Verbesserungen anstoßen zu können. Die Europawahl hingegen ist – zumindest bisher – gar kein Thema. Wahrscheinlich auch, da man im Augenblick davon ausgeht, dass das Vereinigte Königreich nicht daran teilnimmt. Die Stimmung hier in Glasgow ist aber generell sehr gut und eher entspannt. Viele der Leute, denen man im Alltag begegnet, sind sehr herzlich und offen. So kommt es durchaus vor, dass man beim Bezahlen eine kurze Unterhaltung mit den Beschäftigten anfängt oder sich beim Warten plötzlich in einer Unterhaltung mit einer bis dahin fremden Person wiederfindet. Die Menschen sind dabei sehr politisch, das fällt nicht nur bei Unterhaltungen auf. So wurde Ende des letzten Jahres hier ein großer Streik organisiert, um gegen die geschlechterbedingte Ungleichbezahlung aufzubegehren. Spontan sind dann die Beschäftigten der Müllabfuhr in den Streik getreten, um die am Ende erfolgreiche Forderung nach gleicher Bezahlung zu unterstützen. Dabei überrascht es mich immer wieder, wie ruhig die Leute bleiben.


Nina Krüger
Mitglied im Landesausschuss der Student*innen der GEW NRW


Josef Kraft
Mitglied im Ausschuss der jungen GEW NRW

Foto: Maria Savenko / shutterstock.com

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