Grundschullehrer*innen sind MehrWert
Besoldung und mittelbare Diskriminierung von Frauen
Warum ist Professionalität im pädagogischen Handeln an Grundschulen weniger wert als in einem Leistungskurs in der Oberstufe? Dieses Denkmuster ist längst überholt, spiegelt sich aber immer noch in der Besoldung wider. Das ist nicht nur verfassungswidrig, sondern diskriminiert Frauen. Hinter der Ungleichbehandlung steckt eine Geringschätzung der Arbeit mit jüngeren Kindern. Es ist an der Zeit, gewohnte Denkmuster zu hinterfragen und gleichwertige Arbeit auch gleich zu entlohnen. Die GEW legt mit einem aktuellen Gutachten den Grundstein für Veränderungen.
Es wird Zeit! Grundschullehrer*innen verdienen eine gerechte Anerkennung ihrer Leistung. Sie sind die größte Beschäftigtengruppe im Schulbereich und die einzige, die in allen Bundesländern nach A 12 eingruppiert wird. Dadurch verdienen sie mehrere hundert Euro weniger als ihre Kolleg*innen an Gymnasien, Berufskollegs, Förderschulen und in der Sekundarstufe II an Gesamtschulen.
Mittelbare Diskriminierung: Die GEW schaut genau hin
Damit sich das ändert, hat die GEW das Gutachten „Mittelbare Geschlechtsdiskriminierung bei der Besoldung von Grundschullehrkräften nach A 12“ in Auftrag gegeben. Prof. Dr. Eva Kocher, Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Europäisches und Deutsches Arbeitsrecht und Zivilverfahrensrecht an der Europa-Universität Frankfurt (Oder), und die Juristinnen Dr. Stefanie Porsche und Dr. Johanna Wenckebach sind die Autorinnen. Sie prüfen am Beispiel von Nord-rhein-Westfalen, Hessen und Schleswig-Holstein, ob die geringere Besoldung der Grundschullehrer*innen eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt. Denn in diesem Fall sind die Besoldungsgesetzgeber verpflichtet, die Gehälter nach oben anzugleichen.
Das Diskriminierungsverbot auch beim Entgelt ist im Völkerrecht, dem EU-Recht und dem deutschen Recht verankert. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) setzt das Antidiskriminierungsrecht der EU um und konkretisiert den Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1 bis 3 GG). Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen ihres Geschlechts gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen und diese Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt werden kann. Diesen Sachverhalt bei den Grundschullehrer*innen zu beleuchten, ist Kern des GEW-Gutachtens.
Ungleichgewicht aufdecken, Gleichwertigkeit belegen
Zunächst klärt das Gutachten anhand von Statistiken, ob in Hinblick auf Eingruppierung und Bezahlung von Grundschullehrkräften ein Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern besteht. Natürlich: Auch Männer sind an Grundschulen beschäftigt und werden genauso eingruppiert wie ihre weiblichen Kolleginnen, ebenso wie auch Frauen an Gymnasien arbeiten und dort entsprechend höher eingruppiert sind. Doch das Geschlechterverhältnis bei Grundschullehrkräften ist durchaus ein besonderes: Hier liegt der Frauenanteil in den Kollegien bei circa 90 Prozent, während im Lehramt an Gymnasien durchschnittlich nur zu knapp 60 Prozent Frauen tätig sind. Somit sind Frauen überproportional stark von der ungleichen Eingruppierung und Bezahlung betroffen und das legt den Verdacht einer mittelbaren, also indirekten Diskriminierung nahe. In einem zweiten Schritt geht es darum, die sachlichen Gründe in den Blick zu nehmen, die zur Begründung der unterschiedlichen Besoldung angeführt werden. Dabei werden Ausbildung, Arbeitsbedingungen und Anforderungen einbezogen. Ist es gerechtfertigt, die Tätigkeiten unterschiedlich zu bewerten oder handelt es sich um gleiche oder gleichwertige Arbeit? Als gleichwertig gelten Tätigkeiten, die zwar äußerlich verschiedenartig, jedoch in Hinblick auf die mit ihnen verbundenen Anforderungen von gleichem Wert sind.
Zur Gleichwertigkeit verschiedener Lehrtätigkeiten haben bereits Dr. Andrea Jochmann-Döll und Dr. Karin Tondorf in der arbeitswissenschaftlichen Pilotstudie „Analysen und Bewertungsmöglichkeiten von Lehrtätigkeiten in der Primarstufe an Grundschulen und der Sekundarstufe II in Berufsschulen, Gymnasien und Gesamtschulen“ geforscht. Die Autorinnen stellen fest, dass keine nennenswerten Unterschiede bei den intellektuellen Anforderungen zwischen den Schulformen bestehen. Die physischen Anforderungen und psychosozialen Belastungen sind an Grundschulen höher, denn hier ist die Interaktion oftmals erschwert und Lehrer*innen sind stärker mit Problemen von Kindern und ihren Familien konfrontiert. Auch tragen Grundschullehrkräfte eine höhere Verantwortung für die Entwicklung und das Wohlergehen der Kinder.
Zweifelhafte Erklärungsversuche
Nicht jede Benachteiligung von Frauen ist eine mittelbare Diskriminierung, nämlich wenn es Ziele gibt, die diese Ungleichbehandlung rechtfertigen. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Die unterschiedliche Bezahlung wird mit beamtenrechtlichen Grundsätzen, dem Leistungs- und dem Alimentationsprinzip begründet, die in allgemeiner Form Verfassungsrang haben (Art. 33 Abs. 5 GG). Auch die Dauer der Ausbildung wird einbezogen. Die Bezahlung wird nach Leistung differenziert und zwischen Ämtern unterschiedlicher Aufgaben und Verantwortung muss ein Abstand gewahrt werden.
Allerdings dauert die Ausbildung in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein für alle Schulformen gleich lang. Auch das um ein Jahr kürzere Grundschulstudium in Hessen ist ein zweifelhafter Rechtfertigungsgrund für eine Entgeltdiskriminierung, die bis in die Altersversorgung reicht. Die Voraussetzungen für das Lehramt an Grundschulen sind in allen untersuchten Bundesländern Master oder Staatsexamen sowie das Referendariat – wie für alle anderen, besser bezahlten Lehrämter auch. Grundschullehrer*innen werden jedoch nach A 12 besoldet, wofür bei Beamt*innen anderer Berufsgruppen im Landesdienst nur ein Bachelor verlangt wird. In Nordrhein-Westfalen sind übrigens nicht nur die Lehrer*innen an Grundschulen, sondern auch die Kolleg*innen an Haupt- und Realschulen sowie in der Sekundarstufe I an Gesamtschulen bei der Bezahlung abgehängt.
Die Beurteilung der überwiegend pädagogischen Arbeit an Grundschulen als geringerwertig gegenüber anderen wissenschaftlichen Anforderungen hält einer Überprüfung ebenfalls nicht Stand. Ein geringerer wissenschaftlicher Anspruch des pädagogischen Studiums ist zum einen fachlich an nichts festzumachen. Zum anderen lässt diese Rechtfertigung die Geschlechtsneutralität vermissen, die für rechtfertigende Gründe zwingend erforderlich ist. Vielmehr reproduziert diese Argumentation Geschlechterstereotype, nach denen Wissenschaft rational und männlich, Pädagogik hingegen emotional und weiblich sei. Die Schulgesetze betonen zudem die große Bedeutung von pädagogischer Arbeit für die Persönlichkeitsbildung, den weiteren Lebensverlauf und die Integration in die Gesellschaft. Dass Lehrkräfte an weiterführenden Schulen mehr Zeit für Vor- und Nachbereitung benötigen, ist angesichts der hohen Belastung an Grundschulen ebenfalls nicht plausibel. Ein vermehrter Aufwand für Korrektur und Prüfungen wird durch die geringere Wochenstundenzahl in der Sekundarstufe II kompensiert.
Professionalität hat ihren Preis – unabhängig vom Geschlecht
Das GEW-Gutachten kommt zu einem eindeutigen Schluss: Die Unterschiede in den Tätigkeiten von Lehrkräften unterschiedlicher Schulformen rechtfertigen keine unterschiedliche Besoldung. Eine Auffassung, die andere Rechtsgutachten der Bildungsgewerkschaft aus jüngster Vergangenheit stützen: Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Ralf Brinktrine untersuchte für die GEW NRW die Zulässigkeit der unterschiedlichen Eingruppierung von Lehrer*innen nach dem Verfassungs-, Laufbahn- und Besoldungsrecht des Landes Nordrhein-Westfalen. Für Schleswig-Holstein führten die Kieler Rechtsanwälte Jörg Junge und Tom Albrecht eine ähnliche Untersuchung durch. Alle Gutachten setzen sich mit den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums auseinander. Dr. Eva Kocher, Dr. Stefanie Porsche und Dr. Johanna Wenckebach argumentieren zusätzlich auf Grundlage des Europa- und Antidiskriminierungsrechts und stellen die mittelbare Geschlechtsdiskriminierung der Grundschullehrer*innen fest.
Für die GEW ist klar: Professionalität hat ihren Preis – unabhängig davon, ob die Arbeit von einem Mann oder einer Frau geleistet wird. Es besteht Handlungsbedarf in der Besoldung von Grundschullehrer*innen. Die Auseinandersetzung mit dem Antidiskriminierungs-, dem Verfassungs- und Besoldungsrecht liefert dafür die Argumente. Die GEW fordert schon seit Langem A 13 für alle! Jetzt sind die Landesregierungen in der Pflicht, gesetzlich nachzubessern, damit die gesellschaftlich wichtige und verantwortungsvolle Arbeit an Grundschulen gerecht entlohnt wird.
Frauke Gützkow
Mitglied des geschäftsführenden Bundesvorstands der GEW, verantwortlich für Frauenpolitik
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- Jörg Junge, Tom Albrecht: Besoldung der Lehrer*innen in Schleswig-Holstein. Kritische Untersuchung des Besoldungsrechts der Lehrkräfte - Möglichkeiten und Grenzen einer Neuregelung
- Prof. Dr. Eva Kocher, Dr. Stefanie Porsche, Dr. Johanna Wenckebach: Mittelbare Geschlechterdiskriminierung bei der Besoldung von Grundschullehrkräften nach A 12
- Prof. Dr. Ralf Brinktrine: Die rechtliche Zulässigkeit der unterschiedlichen Eingruppierungen verschiedener Gruppen Beamter Lehrer*innen nach dem Laufbahn- und Besoldungsrecht des Landes NRW aus verfassung- und beamtenrechtlicher Perspektive
- Dr. Andrea Jochmann-Döll, Dr. Karin Tondorf: Analysen und Bewertungsmöglichkeiten von Lehrtätigkeiten in der Primarstufe an Grundschulen und der Sekundarstufe II in Berufsschulen, Gymnasien und Gesamtschulen
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