Druck auf dem Kessel
Arbeitszeit und Arbeitsbelastung von Lehrer*innen
In den letzten Jahren sind die Anforderungen an Lehrer*innen deutlich gestiegen: Neue, teils gesetzlich verankerte Aufgaben sind zum Arbeitspensum hinzugekommen. Die zeitlichen Rahmenbedingungen jedoch sind nicht mitgewachsen. Was muss getan werden, um die Qualität von Schule und Unterricht weiterhin sicherzustellen? Wie kann die Arbeitszeit von Lehrer*innen sinnvoll geregelt werden, um den gestiegenen Anforderungen gerecht werden zu können?
Kurz vor der Jahrtausendwende hat die Untersuchung zur Lehrerarbeitszeit der Hamburger Unternehmensberatung Mummert + Partner hohe Wellen geschlagen. Heute, 17 Jahre später, kommt mit einem aktuellen Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg vom 9. Juni 2015 wieder kräftige Bewegung in die Diskussion um die Arbeitszeit von Lehrkräften.
Klare Absage für Arbeitszeiterhöhung
Im Sommer 2013 hatte das niedersächsische Schulministerium die wöchentliche Unterrichtsverpflichtung von Gymnasiallehrkräften von 23,5 auf 24,5 Stunden angehoben. Neun Lehrkräfte hatten mit Unterstützung der GEW und des Philologenverbandes dagegen geklagt. Das Gericht entschied: Das Schulministerium müsse bei einer Anhebung der Unterrichtsverpflichtung zunächst die tatsächliche Arbeitsbelastung der Kolleg*innen ermitteln. Andernfalls liege ein
Verstoß gegen die im Artikel 33 des Grundgesetzes festgeschriebene Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber seinen Beamt*innen vor. Die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung ist demnach rechtswidrig. Das Urteil aus Niedersachsen problematisiert die Frage der unterschiedlich hohen Unterrichtsverpflichtung der Lehrkräfte in den verschiedenen Schulformen. Für die GEW NRW ist klar: Diese Frage stellt sich auch bei uns.
Zeitgemäße Unterrichtsverpflichtung
Bei der Zuweisung von Aufgaben muss der Dienstherr seiner Fürsorgepflicht Genüge tun und darauf achten, dass Lehrkräfte diese Aufgaben im Rahmen der vorgegebenen Arbeitszeit und deren Aufteilung sachgerecht erledigen können. Eine Verpflichtung, der der Dienstherr schon seit Langem nicht gerecht wird! Seit mehr als zehn Jahren ist die Zahl der Unterrichtsstunden unverändert geblieben. Gleichzeitig werden LehrerInnen kontinuierlich zusätzliche außerunterrichtliche Aufgaben – bedingt etwa durch Inklusion und Schulstrukturveränderungen – zugewiesen, die die 41-Stunden-Woche übersteigen und zu einer Arbeitsverdichtung führen, die sich nachweislich schädigend auf den Gesundheitszustand der Lehrkräfte auswirkt.
Die GEW NRW fordert deshalb Entlastung durch eine Absenkung der Pflichtstunden für Lehrkräfte sowie durch eine Verdoppelung der sogenannten Anrechnungsstunden. Diese dienen der Kompensation für die ständige Wahrnehmung besonderer Aufgaben und zum Ausgleich besonderer unterrichtlicher Belastungen. Die Bildungsgewerkschaft fordert weiterhin:
1. Die Grundlage der Lehrerarbeitszeit muss das Pflichtstundenmodell sein.
2. Eine Absenkung der Pflichtstunden für Lehrer*innen ist dringend erforderlich.
3. Die Anzahl der Anrechnungsstunden (gemäß § 2 Abs. 5 der VO zu § 93 Abs. 2 SchulG) für die „ständige Wahrnehmung besonderer schulischer Aufgaben“ und zum „Ausgleich besonderer unterrichtlicher Belastungen“ ist zu verdoppeln – bei der Schaffung eines Sockels von zehn Wochenstunden für jede Schule.
Höchste Zeit für Veränderungen
1999 wurden als Ergebnis der Debatte rund um die Untersuchung von Mummert + Partner die sogenannte Pflichtstundenbandbreite und das Jahresarbeitszeitmodell als alternative Pfade zur Verteilung der Lehrerarbeitszeit eingeführt. Beide Modelle spielen in der schulischen Realität aus guten Gründen keine oder eine nur marginale Rolle. So ist die Anwendung der Pflichtstundenbandbreite für die mehr als 40.000 tarifbeschäftigten Lehrkräfte rechtlich nicht zulässig und Schulen verzichteten klugerweise auf diese Arbeitszeitvariante. Trotz intensivster Werbeanstrengungen nutzten auch nur wenige Schulen ein „genehmigtes“ Jahresarbeitszeitmodell. Einige von ihnen sind bereits aus dem Modellvorhaben ausgestiegen und zum Pflichtstundenmodell zurückgekehrt, da es nach Einschätzung der beteiligten Lehrerkollegien nicht zu mehr Gerechtigkeit geführt hatte.
Als der nordrhein-westfälische Landtag die Debatte über die Lehrerarbeitszeit im Jahr 2014 neu aufzurollen versuchte, erteilte die GEW NRW der FDP-Forderung nach einem Jahresarbeitszeitmodell für Lehrkräfte eine klare Absage. „Wirkliche Entlastungen der Lehrkräfte sind seit Jahren ausgeblieben. Der Ausgleich für besondere unterrichtliche Belastungen ist deutlich geringer geworden“, kritisierte damals die GEW-Landesvorsitzende Dorothea Schäfer. „Jahrelang ist es versäumt worden, die drängenden Fragen wirklich zu klären. Nach wie vor ist die Länge der Arbeitszeit und die häufig unbezahlte Mehrarbeit der Lehrer*innen das eigentliche Problem.“ Die Kritik ist heute aktueller denn je – höchste Zeit, dass sich etwas ändert.
Ute Lorenz
Referentin für Beamtenrecht und Mitbestimmung der GEW NRW
Fotos (v. o. n. u.): andrey-fo / photocase.de, cydonna / photocase.de
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