Tarifrunde im öffentlichen Dienst: Schon wieder Streik?
TVöD-Tarifrunde: Forderungen der GEW
Die nächste große Hürde für die Tarifrunde 2018 ist genommen: Die Gewerkschaften und der Beamtenbund haben sich auf gemeinsame Forderungen verständigt. Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sollen sechs Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 200,- Euro bekommen.
Schon wieder Streik? Diese Frage höre ich gelegentlich. Und ich zucke zusammen. Was meint die Kollegin? Was meint der Kollege? Soll es ein Hinweis auf Streikmüdigkeit sein oder bloß der höfliche Ausdruck, der die Vergänglichkeit der Zeit in eine Frage kleidet? Die erste, die rationale Antwort: Nach der Tarifrunde ist vor der Tarifrunde.
Die Beschäftigten im Bereich des Bundes und der Kommunen haben im Frühjahr des Jahres 2016 gestreikt. Das Verhandlungsergebnis stand Ende April 2016 fest. Wir hätten auch den Tag der Arbeit im Mai zur Mobilisierung genutzt, doch das letzte, durch Streiks beförderte Verhandlungsergebnis erschien allen Beteiligten tragfähig. Dann mussten die Gremien über das Tarifergebnis entscheiden. Die Phase der Information unserer Mitglieder begann. Große grobe, aber auch kleine zarte Fragen wurden beantwortet. Von der GEW-Kreis- und Stadtebene über die Bezirke bis zu den Landesverbänden und zum Hauptvorstand waren viele Gewerkschafter*innen einbezogen. Im Frühsommer ebbte die Anfragewelle ab.
Vorbereitungen im September
Nur ein Jahr später, im September 2017, haben wir mit einem GEW-Vorbereitungstreffen in Wiesbaden die Tarifrunde 2018 politisch, strategisch und organisatorisch angeschoben und vorgedacht, haben uns bewusst Zeit zur vertiefenden Debatte geschenkt. Im November 2017 begann die Forderungsdiskussion, die am 7. Februar 2018 mit dem Forderungsbeschluss des Koordinierungsvorstandes abgeschlossen wurde, vorbereitet durch die GEW-Bundestarifkommission, in der viele ehrenamtlich aktive Gewerkschafter*innen engagiert sind. Einen Tag später haben die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst ihre Ergebnisse der Mitgliederdiskussion zusammengetragen und einen gemeinsamen Forderungskatalog aufgestellt.
So ist es gute Tradition. Es wäre nicht klug, wenn die Arbeitgeber*innen uneinige Gewerkschaften genüsslich sezieren könnten.
Gerechte und zeitgemäße Bezahlung
Es ist nicht nur die gefühlte und belegbare Inflation, die ein Umdenken bei den Arbeitgeber*innen nötig machen muss. Wir haben es mit einem eklatanten Fachkräftemangel zu tun, der die Arbeitsfähigkeit der öffentlichen Hand zwar nicht immer einschränkt, aber deutlich belastet. Und das auf dem Rücken der Kolleg*innen, die in den Kindertagesstätten, in der sozialpädagogischen Arbeit in den verschiedenen Einrichtungen, von der Sozialarbeit bis zu Forschung und Wissenschaft tagtäglich alles geben.
Zu einem attraktiven öffentlichen Dienst gehört nicht nur, aber eben auch eine gerechte und zeitgemäße Bezahlung. Gemeinsam mit den anderen Gewerkschaften im öffentlichen Dienst fordert die GEW eine deutliche Verbesserung bei den Einkommen: Die Tabellenentgelte der Beschäftigten sollen um sechs Prozent, mindestens aber um 200,- Euro monatlich erhöht werden. Dabei muss auch die Laufzeit in den Blick genommen werden. Schließlich ist es ein Unterschied, ob die Prozentforderung auf zehn Jahre oder ein Jahr erhoben wird. Wir fordern, wie in den vergangenen Jahren auch, eine Laufzeit von einem Jahr. Das muss in dieser Tarifrunde thematisiert werden, denn in wirtschaftlich guten Zeiten ist eine kürzere Laufzeit für uns besser als eine längere.
Wir haben aber noch eine Beschäftigtengruppe, die in besonderer Weise von Tarifregelungen ausgeschlossen ist. Die angestellten Lehrkräfte im Länderbereich haben mit Abschluss des Tarifvertrags über eine Entgeltordnung (TV EntgO-L) endlich tariflichen Schutz erhalten. Den kommunalen angestellten Lehrkräften wird dieser Schutz verweigert. Bei den Kommunen angestellte Lehrkräfte an Schulen, für die der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes Bund und Kommunen (TVöD) gilt, gibt es in Bayern. Deswegen haben wir den Kommunalen Arbeitgeberverband Bayern e. V. (KAV) und auch die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) zu Tarifverhandlungen aufgefordert.
Solidarität in GEW-Landesverbänden
Unsere Kolleg*innen aus Bayern brauchen für ihre Auseinandersetzung die Unterstützung und die Solidarität – auch aus den anderen GEW-Landesverbänden. Es geht um über 3.000 Kolleg*innen, davon weit mehr als 1.000 in den Entgeltgruppen (EG) unterhalb der EG 13, in der eine tarifliche Eingruppierung Auswirkungen hat. Unsere Bundestarifkommission für den Bereich Bund und Kommunen hat daher auch diese Forderung im Rahmen der TVöD-Runde 2018 erhoben: „Die Eingruppierung angestellter Lehrkräfte im Geltungsbereich des TVöD-VKA soll tariflich geregelt werden.“ Was sperrig klingt, ist ein tagesaktuelles Thema in Bayern, wo die Arbeitgeber*innen sich ideologisch einmauern.
Diese Forderungen können mit Streiks bekräftigt werden, denn dafür besteht keine Friedenspflicht. Alarmiert durch die strengere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit anderthalb Jahren hinsichtlich der noch feinsinnigeren Unterscheidung zwischen streikfähigen und nicht streikfähigen Forderungen und dem Problem, dass nur eine einzige nicht streikfähige Forderung die anderen verdirbt – die Rührei-Theorie –, müssen wir sauber abgrenzen, um uns juristisch nicht angreifbar zu machen. Forderungen, die der Friedenspflicht unterliegen, erscheinen wie schon immer nicht auf dem Streikaufruf. Zur deutlicheren Unterscheidbarkeit und um die Bedeutung klarer zu machen, werden sie jetzt nicht mehr Forderungen genannt, sondern Erwartungen.
Angleichung der Jahressonderzahlung
Zentrale Erwartung fast drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall ist die Angleichung der Jahressonderzahlung Ost an die Westregelung für unsere Mitglieder von Kap Arkona bis zum Fichtelberg.
Und es ist faszinierend, welchen Rückhalt die Kolleg*innen in den östlichen Bundesländern aus den westlichen Regionen erhalten. Ich komme aus dem Osten und kenne die Arbeitgeber*innen dort. Sie drohen gern mit dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband, also mit Tarifflucht, und ziehen das auch durch. Deshalb bin ich dankbar für die Unterstützung, die wir insgesamt erfahren: Von Aachen bis Zittau, von Zeitz bis Augsburg sind wir in unserem gerechten Kampf vereint.
Die Arbeitgeber*innenseite übergeht galant die Tatsache, dass Bund und Kommunen auch im vergangenen Jahr ein Haushaltsplus verzeichnet haben und nach den aktuellen Prognosen weiterhin mit steigenden Einnahmen rechnen können. Dass es trotzdem noch überschuldete Kommunen gibt, liegt an einer falschen Verteilung der Staatseinnahmen. Jede*r kennt dafür Beispiele wie baufällige Schulen und löchrige Straßen.
Werden die Arbeitgeber*innen uns freiwillig die berechtigten Forderungen und Erwartungen erfüllen? Ich habe Zweifel. Ein Blick in die Tarifgeschichte des öffentlichen Dienstes zeigt, dass ohne Druck und ohne Mut zur Auseinandersetzung kein Tarifergebnis zu erringen ist. Gerade in Zeiten des Angriffs auf den Flächentarifvertrag in den Jahren 2000 bis 2005 wurde deutlich, dass sich auch öffentliche Arbeitgeber*innen nicht scheuen, ein bewährtes System infrage zu stellen. Sie versuchten, die Gewerkschaften auszutesten. Doch wir konnten gemeinsam – wenn auch mit Blessuren – diesen Angriff auf das Flächentarifvertragssystem abwenden. Die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst haben diesen Tarifvertrag dann kräftig weiterentwickelt. Das konnte nur gelingen, weil die Kolleg*innen die Einrichtungen und Betriebe tage- und wochenweise geschlossen hielten, trotz des Drucks der Arbeitgeber*innen.
Streik erfordert eine Portion Mut
Nein, wir wollen nicht die Eltern treffen. Wir wollen die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen verbessern. Streiks fallen niemandem leicht, sie kosten Überwindung und erfordern Mut und Engagement.
Wir haben auch die Solidarität der Eltern, der Bürger*innen erlebt, die sagen: „Endlich wehrt ihr euch!“
Sie haben verstanden, dass Verbesserungen der Arbeitsbedingungen auch ihren Kindern zugutekommen.
Schön sind auch die Erinnerungen an die vielen Streikfrühstücke mit Brötchen und Erdbeermarmelade im Streiklokal, wo eine bunte Gemeinschaft entstanden ist, man redete und sich austauschte, von dienstlichen bis privaten Dingen. Danach ging es raus zur Kundgebung mit den letzten Schneegrüßen des Winters an den Schuhen oder der prallen Aprilsonne im Gesicht. Wir standen stundenlang auf der Streikkundgebung und hielten die selbstgebastelten Schilder und Plakate hoch. Engagement und Zusammengehörigkeitsgefühl allerorten. Und diese Welle trägt und beeindruckt auch jedes Mal die Arbeitgeber*innen, von der kommunalen Seite bis zum Bund.
Die emotionale Antwort ist eindeutig: Ja, schon wieder Streik!
Daniel Merbitz
Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der GEW, Leiter Tarif- und Beamtenpolitik
Fotos: busdriverjens, .marqs / photocase.de, iStock.com / Peter Hermus
TVöD-Tarifrunde
Die Forderungen im Überblick
Die Gewerkschaften ver.di, GdP und GEW sowie der Beamtenbund haben sich für die Tarifrunde 2018 auf gemeinsame Forderungen verständigt.
Sechs Prozent Lohnsteigerung und ein Ausgleich zwischen den Tarifgebieten Ost und West stehen auf dem Plan. Konkret lautet die Forderung sechs Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 200,- Euro. Darüber hinaus erwarten die Gewerkschaften, dass die Jahressonderzahlung für das Tarifgebiet Ost auch für den kommunalen Bereich an das West-Niveau angeglichen wird. Fast 30 Jahre nach der deutschen Einheit zahlen die Kommunen im Tarifgebiet Ost nur 75 Prozent der Sonderzahlungen im Westen. Auch die Entgelte von Auszubildenden und Praktikant*innen sollen um 100,- Euro monatlich angehoben werden.
Berthold Paschert
Pressesprecher der GEW NRW
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