Kita: Veränderung als einzige Konstante
TVöD-Tarifrunde: Fachkräftemangel in Kitas
Die Anforderungen an Erzieher*innen sind in den vergangenen Jahren gestiegen: gesetzliche Rahmenbedingungen änderten sich, Ausbildungsinhalte wurden komplexer, Fachkräfte fehlen.
Nur die Bezahlung bleibt seit Jahren gleichbleibend gering. Es ist höchste Zeit, auch daran mit
der TVöD-Runde etwas zu ändern.
Bildung ist in Deutschland noch immer eine Aufgabe der Bundesländer. So sind die Einstellungsvoraussetzungen in den einzelnen Ländern unterschiedlich geregelt, ebenso die Gruppengrößen sowie die Übermittagsbetreuung. Sind in Nordrhein-Westfalen zum Beispiel Horte komplett abgeschafft worden, so existieren sie weiterhin in Baden-Württemberg und Bayern.
Die gesamte frühkindliche Bildung ist seit etwa einem Jahrzehnt einem starken Wandel unterworfen. Gründe dafür sind veränderte gesetzliche Rahmenbedingungen sowie neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Neben der Arbeit am Kind stehen verstärkt Planung und Steuerung der Bildungsprozesse sowie deren Dokumentation im Vordergrund der Arbeit, die von unterschiedlichen Berufsgruppen gemeinsam geleistet wird. All das muss gut organisiert und gesteuert werden, damit der Prozess insgesamt gelingt. Eine angemessene Anerkennung und Honorierung des Personals, das eine moderne Kita überhaupt erst ermöglicht, bleibt jedoch aus. Deswegen kämpfen Gewerkschafter*innen in der anstehenden Tarifrunde für eine bessere Bezahlung der Fachkräfte.PISA-Studie rüttelte die deutsche Bildungslandschaft auf
Den Anfang der grundlegenden Veränderung des Kitabereichs machte die erste PISA-Studie im Jahr 2000. Die Ergebnisse rüttelten Deutschland stark auf, sodass im Bereich der frühkindlichen Bildung die Qualifizierung der pädagogischen Mitarbeiter*innen überprüft wurde. Man hatte erkannt, dass gut ausgebildete Fachkräfte gute Bildungsarbeit in den Einrichtungen zur Folge hat. Es wurden Studiengänge mit dem Abschluss des*der Kindheitspädagog*in eingeführt und die Fachschulausbildung reformiert. Bildungsexpert*innen diskutierten sogar darüber, die Fachschulausbildung abzuschaffen und nur noch Studiengänge zuzulassen. Mittlerweile laufen beide Ausbildungsformate parallel.
Durch die Einführung des Kinderbildungsgesetzes – kurz KiBiz – im Jahr 2008 wurden erstmals die rechtlichen Rahmenbedingungen der Ausbildung festgelegt. Durch die neuen Regelungen mussten sich die Mitarbeiter*innen nachqualifizieren: Kinderpfleger*innen holten den Erzieher*innenabschluss nach und ungelernte Kräfte mussten von nun an eine pädagogische Grundqualifizierung vorweisen. Es gab verschiedene Übergangsregelungen für die Beschäftigten. Zwischenzeitlich sollte der Beruf des*der Kinderpfleger*in komplett abgeschafft werden. Dass die Idee wieder verworfen wurde, lag am Fachkräftemangel und an der Einführung der U3-Gruppen. Mittlerweile müssen alle Mitarbeiter*innen die Einstellungsvoraussetzungen nach dem KiBiz erfüllen, da sonst keine Einstellung erfolgen kann.
Die Eingruppierung erfolgt nach dem Tarifvertrag Bund und Kommunen (TVöD SuE S8a beziehungsweise S3) entsprechend der rechtlichen Einstellungsvoraussetzungen.
Kindliche Bildung rückte in den Fokus der Ausbildung und der Arbeitsweise
Durch die Revision des KiBiz im Jahr 2015 rückte der Bereich der kindlichen Bildung stärker in den Vordergrund. Die Sichtweise darüber wie Kinder lernen, änderte sich grundlegend. Heute sind Bildungsexpert*innen davon überzeugt, dass Kinder kompetent sind. Sie eignen sich die Welt an und werden dabei von Fachkräften begleitet. Dabei geht jedes Kind einen individuellen Weg mit allen Herausforderungen und Chancen. Kinder sind eigenständige Persönlichkeiten. Die Bildungsprozesse müssen dementsprechend geplant und gestaltet werden.
Mit der veränderten Sichtweise auf das Kind musste sich auch die Gestaltung der Bindungs- und Bildungsarbeit der pädagogischen Mitarbeiter*innen anpassen. Die Fachkräfte sind heute keine Anleiter*innen mehr, sondern verstehen sich als Begleiter*innen und Förderer*innen. In einem weiteren Schritt hatte all das Auswirkungen auf die Ausbildung der Erzieher*innen und Kindheitspädagog*innen. Auch in diesem Bereich musste auf die veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen reagiert werden.
Es wurden spezielle Bildungsbereiche geschaffen. Der Raum wurde zum „dritten Erzieher“.
Zu wenige Bewerber*innen für zu viele offene Stellen
Dass der Veränderungsprozess in der frühkindlichen Bildung noch nicht abgeschlossen ist, zeigt der anhaltende Fachkräftemangel sehr deutlich (siehe Abbildung). Es fehlen gut ausgebildete pädagogische Fachkräfte, obwohl sich das Personalwachstum in Kindertageseinrichtungen in den Jahren 2015 und 2016 gut entwickelt hat. Das belegt die Auswertung „Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2017“ des Deutschen Jugendinstituts (DJI) und der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF): Seit 2014 ist die Anzahl der Arbeitnehmer*innen um 56.500 auf zuletzt rund 666.000 angestiegen und erreichte einen neuen Höchststand. Im Ergebnis löste die Ausbau- und Förderpolitik bundesweit ein erhebliches Beschäftigungswachstum in dem Berufsfeld aus. Zwischen 2006 und 2016 wurden insgesamt mehr als 251.000 Arbeitsplätze geschaffen und ein Beschäftigungsplus von 61 Prozent erzielt. Der Aufwärtstrend lässt sich seit Beginn des Ausbaus der Angebote für Kinder unter drei Jahren im Jahr 2006 in West- und Ostdeutschland gleichermaßen beobachten, wobei die Beschäftigtenzahl im Westen mit einem Plus von 64 Prozent wesentlich stärker gestiegen ist als im Osten mit 48 Prozent.
Trotzdem haben Städte und Kommunen zunehmend Probleme, offene Stellen in einer angemessenen Zeit zu besetzen. Zurzeit gibt es nicht ausreichend Bewerber*innen für Stellen, die unter anderem durch neue Einrichtungen und Fluktuation entstehen. Der Bedarf an pädagogischen Fachkräften nimmt kontinuierlich zu. Und er wird sich noch weiter verschärfen, weil die künftige Große Koalition aus CDU und SPD einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von Grundschüler*innen plant. Weiterhin sollen ab dem Jahr 2020 nur noch pädagogisch qualifizierte Mitarbeiter*innen entsprechend des KiBiz in den Einrichtungen arbeiten dürfen.
Anforderungen und Bezahlung der Beschäftigten passen nicht zueinander
Im Hinblick auf die anstehende TVöD-Runde wird eines deutlich: Verglichen mit den Anforderungen der Erzieher*innen werden sie und Personen, die in Kindertagesstätten arbeiten, nicht angemessen bezahlt.
Als Folge arbeiten viele hochschulqualifizierte pädagogische Fachkräfte nur kurz in den Kindertageseinrichtungen, bis sie einen anderen Job finden.
Eine gesellschaftliche Anerkennung und Honorierung erfolgt in Deutschland über eine entsprechende Bezahlung. Gemessen an den Lebenshaltungskosten, insbesondere an den hohen Mieten, ist der Beruf nicht attraktiv. Vor allem Mütter und Väter, die eine Familie versorgen wollen, überlegen sich zweimal, ob sie in einer Kita arbeiten möchten. Mit einem Gehalt nach S8a, verbunden mit den genannten Rahmenbedingungen, ist das äußerst schwierig. Hinzu kommt, dass die Absolvent*innen unentgeltliche Praktika machen müssen. Diese sind unter anderem Voraussetzung dafür, den Beruf zu erlernen. Dadurch verlängert sich die Ausbildungszeit auf dreieinhalb Jahre, wobei zweieinhalb Jahre unentgeltlich erfolgen. Um dem Erzieher*innenmangel entgegenzuwirken, wurden in der Vergangenheit verschiedene Modelle konzipiert: die praxisintegrierte Ausbildung (PiA), die Erzieher*innenausbildung mit optimierten Praxisphasen (OptiPrax) und eine duale (orientierte) Ausbildung. Die verschiedenen Formate sollen helfen, den Ausbildungsberuf attraktiver zu machen. Ebenso erhalten die Absolvent*innen während dieser Zeit eine Ausbildungsvergütung und müssen nicht neben der schulischen Ausbildung jobben, um die laufenden Kosten zu decken.
Stefan Raffelsieper
Mitglied in der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit e.V.
und Mitglied des Stadtverbandes Bonn der GEW NRW
Brief an Dr. Joachim Stamp
Kitabereich braucht finanzielle Mittel
In einem Brief weist die GEW NRW Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge
und Integration, am 18. Januar 2018 auf den Handlungsbedarf in Kindertagesstätten hin.
Eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte:
Die GEW NRW begrüßt die Unterstützung der Träger*innen durch zusätzliche finanzielle Mittel. Diese Unterstützung reicht aber nicht aus, um die strukturelle Unterfinanzierung und die prekäre Personalsituation in den Kitas zu beheben. Dazu sind weitere Mittel in Milliardenhöhe nötig.
Ein besonderes Problem ist der fortschreitende Fachkräftemangel.
Kindertageseinrichtungen sind die erste Stufe des Bildungssystems. Die Forderung der GEW NRW lautet daher: Die tägliche Betreuungszeit für Kinder in einer Kita darf neun Stunden nicht überschreiten. Voraussetzung für die Ausweitung von Randzeiten ist jedoch eine Anpassung der Personalbemessung und der Rahmenbedingungen, um das Kindeswohl und den Bildungserfolg nicht infrage zu stellen.
Die Lücke zwischen dem wachsenden Bedarf an sozialpädagogischen Fachkräften und der verfügbaren Zahl wird größer. Die Ausbildungskapazitäten müssen deshalb dringend aufgestockt und die Ausbildung sowie der Beruf der*des Erzieher*in insgesamt attraktiver gemacht werden. Die Ausbildung als staatlich anerkannte*r Erzieher*in als Mindestqualifikation für sozialpädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen muss Standard bleiben. Wegen der fehlenden Verfügbarkeit von Erzieher*innen muss der Einsatz minderqualifizierter Fachkräfte an die Auflage für die Arbeitgeber*innen gebunden sein, dass die Qualifikation in einem eng begrenzten Zeitraum nachgeholt werden kann. Frühe Bildung ist die Königsdisziplin der Pädagogik. An dieser Stelle werden die Besten gebraucht, die sich ihren Beruf und ihren Arbeitsplatz aussuchen können. Sie werden ihre Entscheidung auch von den Rahmenbedingungen abhängig machen.
Dorothea Schäfer
Vorsitzende der GEW NRW
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