In welcher Gesellschaft wollen wir leben?

Rechte Sprüche nehmen zu – online, im Freundeskreis, in Schule und Hochschule. Einstellungen, die viele im eigenen Umfeld nicht vermutet hätten. Nach der ersten Erschütterung bleibt die Frage: Was können wir diskriminierenden Äußerungen entgegensetzen?

Wir müssen uns von dem Gedanken verabschieden, dass alleine das „bessere“ Argument rechte Einstellungen auflösen könnte. Es stellt sich eine viel tief greifendere Schwierigkeit: Rechten Einstellungen – und auch dem Rechtspopulismus, der vornehmlich von Zuschreibungen wie „Wir – Die“ oder „Freund – Feind“ lebt – liegt ein Menschenbild zugrunde, das auf Ungleichwertigkeit und Abgrenzung basiert. Genau hier muss die Gegenargumentation ansetzen. Die aktuelle Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Gruppen verläuft folglich entlang der Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben und wie ist deren normatives Gefüge beschaffen?

Mit allen Zielgruppen kommunizieren

Wenn wir abwertenden Aussagen im Alltag begegnen, verfallen wir nur allzu schnell darauf, uns auf die AbsenderInnen der Aussage zu konzentrieren. Eine rechte Person mit einem passenden Argument zu überzeugen, kann jedoch nicht der alleinige Gradmesser für den Erfolg unseres Handelns sein. Vielmehr spielen mehrere Zielgruppen gleichzeitig eine Rolle, die wir bei der Wahl unserer Handlungsstrategien beachten sollten.  
Häufig übersehen werden die Betroffenen abwertender Aussagen. Diese Menschen können ganz direkt durch eine Aussage betroffen sein, beispielsweise durch Sexismus oder Rassismus. Es kann sich aber auch ohne konkreten Personenbezug um all diejenigen handeln, die für eine offene Gesellschaft stehen, zum Beispiel wenn der Begriff „VolksverräterInnen“ gebraucht wird. Diese Zielgruppe zu schützen und zu unterstützen ist wichtig. Dabei sollte dringend vermieden werden, Betroffene als Stellvertreter-Innen heranzuziehen. Fragen wie „Was meinst du denn als Schwarzer dazu?“ werden selbst schnell zur lupenreinen Diskriminierung. Auch wenn man sich bei seiner Argumentation schützend vor Betroffene stellt, sollte man nie in Paternalismus verfallen.
Zwischen Betroffenen und Diskriminierenden steht die große Gruppe der – mehr oder weniger aktiven – Anwesenden und Zuschauenden. Sie ist bei einer Diskussion auf Facebook vermutlich deutlich größer als beispielsweise beim Gespräch im Café oder in der Schulklasse. In dieser Gruppe können sich Personen befinden, die nicht rechts sind, ebenso Unentschiedene und rechtsaffine Personen. Mit unserem Handeln und der richtigen Kommunikation können wir Nicht-Rechte stärken und motivieren, sich selbst in der Diskussion zu äußern. Unentschiedene kann unser Handeln in ihrer Meinungsbildung unterstützen und sie im allerbesten Fall überzeugen, während wir Rechtsaffine zumindest zum Nachdenken anregen können. Menschen, die bereits menschenverachtendem Gedankengut anhängen, in einer Diskussion zu überzeugen, ist kaum aussichtsreich -
umso weniger, wenn sie keine persönliche Ebene mit den Betroffenen verbindet, wie es häufig bei Onlinediskussionen der Fall ist.
Überzeugte Neonazis oder RassistInnen wird man in einer offenen Diskussion nicht erreichen. Hier stößt vor allem die pädagogische Arbeit an Grenzen. Zwei Ziele scheinen allerdings realistisch erreichbar: Zunächst können wir eine Gegendarstellung, eine andere Weltsicht liefern und damit Räume für Reflexionsprozesse öffnen. Gleichzeitig kann unser Handeln darauf zielen, deutliche Grenzen zu setzen und abwertende Kommentare zu unterbinden. Damit ist zumindest dafür gesorgt, dass Abwertung keine Bühne geboten wird und andere Menschen nicht in Kontakt mit rechter Ideologie gebracht werden.

Faustregeln für die eigene Argumentation

Für das Argumentieren gegen menschenverachtende Äußerungen gibt es kein Patentrezept. Es kommt auf den Inhalt der jeweiligen Äußerung an und auch darauf, wie sicher jede und jeder Einzelne von uns im Umgang mit solchen Aussagen ist. Entscheidend ist, die Äußerungen und ihre AbsenderInnen einordnen zu können: Handelt es sich um eine Stammtischparole oder ein echtes Argument? Ist die Person in ihrer Einstellung gefestigt oder kann ich sie noch erreichen? Ein Argumentationstraining kann helfen, sich auf diese Situationen vorzubereiten. Dennoch gibt es Empfehlungen für die eigene Haltung, die auch ohne ein entsprechendes Training helfen können:

  • Verhalten von Person trennen: Wenn eine Person überzeugt werden soll, muss ihr ermöglicht werden, ihre Position gesichtswahrend aufzugeben oder zu relativieren. Hier ist auch die Grundhaltung im demokratischen Umgang miteinander tangiert: Nicht die Person selbst ist ein Problem, sondern die Position, die sie vertritt.
  • Wertschätzung: Wer Personen deklassiert, wird sie nicht überzeugen und auch viele andere Menschen nicht erreichen. Solidarisierungseffekte mit „MärtyrerInnen“ sind stattdessen häufig die Folge. Die Wertschätzung der Menschen selbst sollte deshalb stets als Grundhaltung deutlich werden.
  • Hinterfragen: Direktes Nachfragen signalisiert Zugewandtheit und Interesse an der Person. Eine Aussage sollte nicht sofort offensiv infrage gestellt werden. Stattdessen gilt es, nach Quellen und Erfahrungen zu fragen und Verständnisfragen zu klären. So lassen sich auch stillschweigende Annahmen und unausgesprochene Denkweisen thematisieren.
  • Logisch argumentieren, Widersprüche aufdecken: Eigene Argumente sollten grundsätzlich als logische Kette aufgebaut sein. Widersprüche in den Argumenten des Gegenübers sollten herausgestellt und deutlich gemacht werden.
  • Thesenspringen vermeiden: Gerne werden in Diskussionen Zusammenhänge vermischt. „AusländerInnen nehmen uns die Arbeitsplätze weg.“ – „Aber schau doch mal, AsylbewerberInnen haben zu Beginn gar keine Arbeitserlaubnis.“ – „Eben, die brauchen wir hier nicht. Die sind nur gefährlich mit ihrem Islam.“ Ein solches Springen von These zu These sollte aktiv unterbunden werden. Empfehlenswert ist, eine These gezielt anzusprechen und diese dann argumentativ zu zerlegen. Auf thematische Seitenhiebe muss dabei nicht eingegangen werden.
  • Auf Einzelfall Bezug nehmen, Empathie schaffen: Menschen sind keine homogene Masse. Es gibt kein „Die“, sondern Individuen mit unterschiedlichen Ansichten und Wünschen. Empathie kann beispielsweise durch eigene Erfahrungen oder Berichte von Betroffenen geweckt werden.
  • Denkweise und Menschenbild offenlegen: Viele Rechte argumentieren ausgehend von ihrem Menschenbild stringent und in sich logisch. Deshalb ist es wichtig, dieses Menschenbild zu ergründen und ihm dann ein positives, solidarisches Menschenbild gegenüberzustellen.
  • Werte statt Fakten: Zwar sind Fakten in Argumentationen wichtig, um die eigene Position zu belegen oder Widersprüche aufzudecken, aber allein mit Zahlen und Statistiken wird man Menschen nicht überzeugen. Die eigenen Positionen wertbasiert zu begründen, an Solidarität zu appellieren und ein positives Menschenbild zu skizzieren, ist nicht nur einfacher, sondern entfaltet auch eine größere Wirkung.

Gegenrede lohnt sich!

Solche Diskussionen in Schule, Hochschule und im privaten Umfeld mögen anstrengend und nicht immer erfolgreich sein. Sie werden uns in den nächsten Jahren jedoch in jedem Feld weiterhin begegnen und so schnell leider nicht verschwinden. Sie zu führen, bleibt deshalb eine wesentliche Aufgabe aller Menschen, denen eine offene und solidarische Gesellschaft ein Anliegen ist. Diese Herausforderung anzunehmen, liegt bei jeder und jedem Einzelnen von uns.


Christoph Alt, pädagogischer Leiter des DGB-Jugendbildungszentrums in Hattingen und gehört zur Redaktion der „Argumente gegen Rechtspopulisten“ des DGB NRW.

Foto: tancha / shutterstock.com

 

 

Offensive von rechts

Seit Jahren belegen Studien eine relativ hohe Verbreitung menschenfeindlicher Einstellungen. Wie kommen sie zustande? Welches Welt- und Menschenbild liegt ihnen zugrunde?
Die Basis für rechte Einstellungen legt die fundamentale Annahme der Ungleichwertigkeit von Menschen. Unterschiedliche Abwertungsmuster – ob Rassismus, Sexismus, Homophobie oder andere – sind dabei verknüpft und bedingen sich gegenseitig. Der Konflikt- und Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer spricht hier von einer Ideologie der Ungleichwertigkeit: Menschen wird ein unterschiedlicher Wert zugesprochen, der sich zugleich mit der Aufwertung der eigenen Gruppenzugehörigkeit verbindet.
Zugleich gründen rechte Einstellungen auf der grundlegenden Unterscheidung zwischen „Wir“ und „Die“. Wer menschenfeindliche Einstellungen teilt, zählt sich selbst zu einer Gruppe – beispielsweise zu den Fans eines Fußballteams oder eben zu einem Volk – und belegt sich selbst mit positiven Attributen wie Fleiß, Ehrlichkeit, Offenheit oder einem generell höheren Wert. Damit verknüpft ist die Bildung des „Die“: Menschen werden als einer Fremdgruppe zugehörig beschrieben, unabhängig davon, ob sie sich selbst dieser Gruppe zugehörig fühlen oder nicht – sie werden zu „den anderen“ gemacht. Diese Gruppe wird ebenso mit Zuschreibungen belegt – zum Beispiel faul, kriminell oder fundamentalistisch –, die zwar nicht der Realität entsprechen müssen, aber wirkungsmächtig sind. Andere Aspekte einer individuellen Identität treten hinter die Zuschreibung als Teil der Fremdgruppe zurück.
Rechte Gruppen führen die aktuelle Auseinandersetzung um die kulturelle Hegemonie in Deutschland. Schon lange vor der Gründung der AfD wurde durch die Neuen Rechten diese Strategie, angelehnt an den italienischen Philosophen Antonio Gramsci, forciert. Jede Provokation, jede rassistische Aussage im Netz zielt letztlich auch darauf, den öffentlichen Konsens über das aktuelle normative Gefüge dieser Gesellschaft zu verändern und rechte Positionen stärker zu verankern.

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