Gott und Mohammed in der Schule

Evaluation des islamischen Religionsunterrichts in NRW

Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Einführung von islamischem Religions-unterricht als ordentliches Lehrfach am 21. Dezember 2011 hat NRW ein deutliches Signal für diese gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe von MuslimInnen gesetzt. Die Einführung des bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts ist ein bedeutsamer Schritt beim Abbau struktureller Diskriminierungen: Für muslimische SchülerInnen und Eltern wird so eine sichtbare Gleichwertigkeit mit dem evangelischen oder katholischen Religionsunterricht hergestellt.

Unsere Gesellschaft wandelt sich; sie wird ethnisch, kulturell, sprachlich und religiös pluraler. Der Einzug dieser Pluralität in die Schule ist nur eine logische Konsequenz. Am stärksten wird diese religiöse Vielfalt der Gesellschaft am Beispiel des Islam erkennbar: In Deutschland leben schätzungsweise zwischen 3,8 und 4,3 Millionen Menschen islamischen Glaubens; in NRW sind es allein zwischen 1,3 und 1,5 Millionen. Diese Zahlen dürften sich mit der jüngsten Fluchtzuwanderung aus Syrien, dem Irak und
Afghanistan substanziell erhöht haben. Wie können eine bessere gesellschaftliche Integration und gleichberechtigte Teilhabe institutionell sowie individuell gesteuert und gestaltet werden? Diese Frage spielt insbesondere für Bildungsprozesse eine eminent wichtige Rolle. Integrationsprozesse lassen sich leichter bewältigen, je entschiedener die strukturellen Barrieren beseitigt werden, denen sich die Menschen muslimischen Glaubens gegenüber sehen, aber zugleich auch, je stärker sie in ihren Kompetenzen zur Teilhabe gefördert werden.

Gesellschaftliche Relevanz und individuelle Lernziele

Gerade in einer Zeit, in der xenophobe Haltungen und fremdenfeindliche Motive sich über antimuslimische Diskurse Gehör verschaffen, ist eine institutionelle Gleichstellung von hoher sozialpolitischer Relevanz. So leistet  der islamische Religionsunterricht einen Beitrag dazu, dass der Islam zukünftig in Deutschland nicht als eine „fremde“ Religion wahrgenommen, sondern als ein Teil der deutschen Alltagsrealität gesehen wird, indem er bereits in dem bedeutsamen Sozialisationsfeld Schule zur Normalität gehört.
Der islamische Religionsunterricht verfolgt Zielsetzungen auf unterschiedlichen Ebenen:
a)    Kognitive Dimension: Er vermittelt muslimischen Kindern Wissen und Kenntnisse über die eigene und andere Religionen und stellt dabei das Gemeinsame und das Differenzierende heraus.
b)    Identitätsstiftung: Die SchülerInnen lernen durch den islamischen Religionsunterricht, die eigene Identität mit Blick auf die religiöse Dimension auszuüben und dies auch zur Sprache zu bringen.
c)    Integrationsdimension: Der islamische Religionsunterricht leistet einen Beitrag zu einer besseren Integration und zur emotionalen Identifikation, zu einer „Beheimatung“ der hier lebenden MuslimInnen.

Islamischer Religionunterricht auf dem Prüfstand

Im Schuljahr 2014 / 2015 erteilten nach Angaben des Schulministeriums insgesamt 52 Grundschulen und 40 weiterführende Schulen islamischen Religionsunterricht. Der Unterricht wird vom Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) im Zeitraum von 2014 bis 2018 wissenschaftlich begleitet und an ausgewählten Schulen evaluiert. Für die Evaluation wurden 580 Fragebögen an die Eltern der muslimischen SchülerInnen verteilt, davon 235 Fragebögen im Grundschulbereich und 345 Fragebögen an weiterführenden Schulen. Ferner nahmen 56 GrundschülerInnen und 211 SchülerInnen der weiterführenden Schulen an der Befragung teil. Analysiert wurden so die Durchführung und Akzeptanz des islamischen Religionsunterrichts. Dabei wurden berücksichtigt:

  • theologisch-inhaltliche Aspekte des Unterrichts und der Lernerfolg
  • die Angemessenheit des Lerntempos, des Schwierigkeitsgrads und des Abstraktionsniveaus
  • das Klassen- und Lernklima
  • die Akzeptanz des islamischen Religionsunterrichts seitens der SchülerInnen

Ferner kam für die Evaluation ein schriftlicher Fragebogen für LehrerInnen zum Einsatz, der neben den theologischen, pädagogisch-psychologischen und didaktischen Aspekten auch Fragen zum integrativen Effekt und zur Akzeptanz des islamischen Religionsunterrichts aus der Perspektive der Lehrkräfte enthielt.

Gott und Mohammed in der Schule

Lehr- und Lerninhalte stärken die Fähigkeit zum interreligiösen Dialog

Die Lehr- und Lerninhalte des islamischen Religionsunterrichts wurden anhand von acht Aussagen ermittelt. Eine bedeutende Mehrheit der befragten SchülerInnen gab an, eine substanzielle Kenntniserweiterung über den Islam erfahren zu haben. Dabei waren die stärksten Kompetenzzuwächse über das Leben des Propheten Mohammed sowie über islamische Feste zu verzeichnen, gefolgt vom Wissen über Allah. Knapp 63 Prozent der Befragten haben Wissen über den Koran und die islamische Geschichte erworben. Deutlich wird an diesen Befunden aber auch, dass der islamische Religionunterricht ebenfalls zu einer substanziellen Wissenserweiterung über andere Religionen führt: Eine Zusammenfassung der zustimmenden Antworten zeigt, dass mehr als 70 Prozent der befragten SchülerInnen meinen, tendenziell auch über andere Religionen etwas gelernt zu haben. Insofern lässt sich festhalten, dass der islamische Religionsunterricht auch die Befähigung der SchülerInnen zum interreligiösen Dialog steigert.

Lernen in guter Atmosphäre, aber mit unzureichendem Material

In Hinblick auf das perzipierte Unterrichtsklima wird zunächst allgemein deutlich, dass die Lehrkräfte des islamischen Religionsunterrichts von den SchülerInnen durchgehend und eindeutig positiv bewertet werden. Mit einer eindeutigen Zustimmung von knapp 77 Prozent sticht hierbei die wahrgenommene Fürsorglichkeit und Hilfsbereitschaft der Lehrkraft hervor. Ebenfalls hohe Zustimmung weisen die Aspekte der Gleichbehandlung von SchülerInnen sowie die Zugewandtheit der Lehrkraft auf.  Die geringste Zustimmung erfährt die Aussage „Wenn uns etwas nicht gefällt, dann sagen wir es unserer islamischen Religionslehrerin oder unserem islamischen Religionslehrer“. Hier sind knapp ein Drittel der Befragten der Meinung, dass sie ihre Kritik nicht frei äußern können.
Betrachtet man beide vorgestellten Befunde zusammenfassend, lässt sich eine hohe Zufriedenheit und Akzeptanz des islamischen Religionsunterrichts festhalten. Dieses Ergebnis wird auch von den Angaben der Eltern gestützt. Auch bei den Fragen zu verschiedenen Integrations-dimensionen des  Unterrichts war die Dominanz integrationsoffener und -favorisierender Haltungen bei SchülerInnen wie auch bei ihren Eltern unverkennbar. Insofern kann der bisherige Verlauf des islamischen Religionsunterrichts integrationspolitisch als eindeutig positiv und als ein richtiger Schritt gewertet werden. Befürchtungen einer Radikalisierung oder einer Selbstzentrierung der MuslimInnen durch einen bekenntnisorientierten Unterricht scheinen nicht berechtigt zu sein.
Ein expliziter Nachsteuerungsbedarf konnte hingegen bei den Aussagen der Lehrkräfte mit Blick auf die eingesetzten Lehrmaterialien identifiziert werden: Hier war der Wunsch nach mehr sowie nach umfassenderen und spezifischeren Lehrmaterialen unverkennbar. Anders als der evangelische oder katholische Religionsunterricht verfügt der islamische Religionsunterricht (noch) nicht über etablierte thematisch sortierte Arbeitsblätter und -bücher. Die in den muslimischen Herkunftsländern eingesetzten Materialien taugen nur bedingt, weil sie die spezifische Situation der MuslimInnen in einem Einwanderungskontext nicht angemessen berücksichtigen und vielfach lebensweltlich fremd wirken. Dies könnte jedoch im Laufe der nächste Jahre mit der Etablierung und Ausweitung der islamischen Theologie an den Hochschulen behoben werden.

Prof. Dr. Hacı-Halil Uslucan, Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Türkeistudien und  Integrationsforschung

Fotos: Zurijeta / shutterstock.com, aluxum / iStock.com

 

Bundesausschuss Migration, Diversity, Antidiskriminierung der GEW

Wie viel Bekenntnis braucht Schule?

In einer Gesellschaft, die von Vielfalt geprägt ist, gehört auch religiöse Vielfalt zum Alltag. Bekenntnisorientierter Religionsunterricht in Schule kann deshalb nicht ausschließlich als christilicher Religionsunterricht verstanden werden. Der Bundesausschuss Migration, Diversity, Antidiskrminierung (BAMA) der GEW geht in seiner Position sogar noch einen Schritt weiter und fordert in einem Beschluss vom 19. September 2015 einen bekenntnisunabhängigen Werteunterricht.
Der BAMA befürwortet die Einführung eines bekenntnisunabhängigen schulischen Werte-Unterrichts als Pflichtfach für alle SchülerInnen aller Schularten in allen Bundesländern ab der ersten Klasse. Nach seiner Überzeugung sollen in der Schule Werte durch Argumentieren und Philosophieren, durch Vergleich von Lebenserfahrungen und -modellen inklusive der Religionen und Weltanschauungen, durch Auswertung geschichtlicher Denkleistungen inklusive der Philosophiegeschichte und mit den Menschenrechten als Maßstab vermittelt werden. Der gemeinsame und bekenntnisunabhängige Werteunterricht in der Schule bietet gegenüber der Aufspaltung der SchülerInnen in Gruppen mit unterschiedlicher Wertevermittlung die pädagogische und gesellschaftliche Chance, zusammen unterschiedliche Einstellungen und Lebensweisen auszutauschen und sich gemeinsam über sie auseinanderzusetzen.
Solange der christliche Religionsunterricht gemäß Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes besteht, haben MuslimInnen nach dem Gleichheitsgrundsatz Anspruch auf Religionsunterricht. Das gälte auf Verlangen auch für andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Darüber hinaus wird der Unterricht von vielen MuslimInnen als Wertschätzung begrüßt. Daher gibt es aktuell gute Gründe, ein Angebot für den islamischen Religionsunterricht einzurichten.
Wie für jeden Unterricht muss für den islamischen Religionsunterricht gelten, dass der Unterricht in staatlicher Verantwortung von Lehrkräften mit anerkannter Qualifikation gemäß der Ausbildung an staatlichen deutschen Hochschulen gehalten wird, dass die Unterrichtsinhalte sich im Einklang mit den UN-Menschenrechten und den Grundrechten des Grundgesetzes befinden und dass er freiwillig besucht wird. Daher schlägt der BAMA der GEW vor, die politisch wie organisatorisch längst begonnene Entwicklung zur Einführung eines Islamischen Religionsunterrichtskritisch zu begleiten.

Monika Gessat
Mitglied im Leitungsteam des BAMA der GEW

Kommentieren
Die mit (*) gekennzeichneten Felder sind Pflichtfelder.

Kommentare (0)

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Lassen Sie es uns wissen. Wir freuen uns auf Ihr Feedback!
24
Ihre Meinung? Jetzt kommentieren