Wenn nicht wir, wer dann?
Mobilisierung in der Praxis
Ein wichtiger Bestandteil für eine erfolgreiche Tarifrunde ist eine hohe Mobilisierung in den Aktionen und gegebenenfalls auch in Streiks. Doch was können Tarifbeschäftigte ganz konkret tun? Wie gelingt es, Kolleg*innen an der eigenen Schule oder im eigenen Kreisverband zu motivieren? Wie sich Tarifbeschäftigte vor Ort für eine gerechtere Bezahlung einsetzen können, zeigt das Beispiel des Arbeitskreises Tarifbeschäftigte im Kreis Herford.
Es ist wieder soweit: Eine neue Tarifrunde hat begonnen: Das Forderungspaket ist gemeinsam mit ver.di beschlossen – am 18. Januar 2017 findet der Verhandlungsauftakt in Berlin statt. Na, und? – mögen manche Kolleg*innen denken. Macht die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) als Arbeitgeberin nicht sowieso, was sie will? Wen schert es, dass wir Tarifbeschäftigten seit der Einführung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) und infolge anderer politischer Entscheidungen deutliche Einbußen hinnehmen müssen? Wie soll ich daran etwas ändern?
Einen fairen Tarifvertrag gibt es noch immer nicht. Unvergessen ist die Mogelpackung, der sogenannte Tarifvertrag vom März 2015. Der ddb beamtenbund und tarifunion (dbb) ist der GEW mit seiner Unterschrift unter dieses „Tarifwerk“ in den Rücken gefallen. Gut, dass die GEW im März 2015 nicht unterschrieben hat – denn ihre Minimalforderung nach einer Parallelverschiebung in den Einkommensgruppen (EG) 9 bis (EG) 11 ist in dem dbb-Tarifvertrag nicht enthalten. Dafür aber mehr Verschlechterungen als Verbesserungen für Tarifbeschäftigte, für die Lehrkräfte ab EG 13 hält der Vertrag gar nichts bereit.
Die Einkommensschere klafft weiter auseinander, bei der Krankenversicherung sind Tarifbeschäftigte benachteiligt, meine zu erwartende Rente lehrt mich das Gruseln, eine Altersteilzeitregelung ist nicht in Sicht. Warum soll ich mich also beteiligen, woran auch immer? Auf die Straße gehen und streiken statt zu unterrichten? Wir sind in NRW etwa 20 Prozent Tarifbeschäftigte. Was bringt es, wenn die Vertretungsplanung andere meinen Unterricht machen lässt und niemand merkt, dass ich mein Streikrecht wahrnehme und für meine Rechte kämpfe? Wenn die Kolleg*innen an meiner Schule gar nicht wissen, dass ich jeden Monat 500,- Euro weniger auf meinem Konto habe? Wenn denken, warum fehlt die Kollegin überhaupt oder an wenn sie ihre eigene zusätzliche Belastung durch Vertretung mehr im Blick haben?
Die persönliche Entscheidung: aufgeben oder weitermachen?
All das sind nachvollziehbare Argumente, um sich nicht an Aktionen oder Streiktagen zu beteiligen. Aber: Wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn nicht wir, wer dann? Wir streiten seit Jahren für eine faire Bezahlung – die Zeit ist reif für einen Erfolg.
Der Landtagswahlkampf in NRW steht vor der Tür, die Listen der Parteien sind verabschiedet. Mit Blick auf die Wahlen ist die Gruppe der rund 40.000 Tarifbeschäftigten in NRW nicht zu verachten. Zudem sprudeln die Steuereinnahmen, wer will uns also weiterhin von der Einkommensentwicklung abhängen?
Mir ist klar, dass die TdL uns nichts schenken wird. Sie wird in der Verhandlungsrunde nicht sagen: „Schön, dass wir hier zusammensitzen, eure Forderungen sind wie immer berechtigt und ordentlich Geld haben wir ja auch in der Staatskasse. In den kommenden Jahren rechnen wir zusätzlich mit erhöhten Steuereinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe.“ Nein, so wird es nicht laufen. Stattdessen wird unsere Arbeitgeberin in Gesprächen, Aktionen und an Streiktagen deutlich spüren, dass wir keine schweigende Masse sind. Wir sind viele. Wir geben nicht auf und kämpfen weiter – das Ergebnis der Tarifverhandlungen ist uns schließlich noch nie in den Schoß gefallen.
Arbeitskreis in Herford: Engagement, Unterstützung und Netzwerke zählen
Seit über fünf Jahren treffen wir uns in unserem Arbeitskreis tarifbeschäftigter Lehrkräfte innerhalb des Kreisverbands (KV) Herford. Die Unzufriedenheit mit der eigenen Situation, mit den zahlreichen Ungerechtigkeiten, hat uns immer wieder zu Aktionen angetrieben. Inzwischen erleben wir, dass sich von der Basis aus etwas bewegen lässt.
Im Arbeitskreis arbeite ich eng mit meinen Mitstreiter*innen Jutta Helling und Klaus Grosinski zusammen. Wir tauschen uns regelmäßig aus und führen kritische Diskussionen. Darüber hinaus organisieren wir Sitzungen, Aktionen und Fortbildungen zu Tarifthemen. Dass sich die Arbeit auf mehrere Schultern verteilt, entlastet – zum Beispiel, wenn es um die nächste Einladung, um Kontakte zur Presse oder zu Landtagsabgeordneten geht und wir Aufgaben unter uns aufteilen können.
Unterstützung erhalten wir dabei aus dem gesamten KV, auch von unseren beamteten Kolleg*innen. Einige von ihnen waren immer bei verschiedenen Aktionen mit vor Ort. Bei fehlendem Streikrecht für beamtete Kolleg*innen bedarf es Mut und Fantasie, um sich trotzdem an einem Streik zu beteiligen. Ein angemeldeter Unterrichtsgang, Stundenverlegung oder Versorgung der Streikenden mit heißen Getränken stärken uns den Rücken. Immer wieder. Denn daraus erwächst ein Gefühl von Solidarität.
Aktuelle Informationen und Materialien bekommen wir von Joyce Abebrese, Tarifreferentin der GEW NRW. Es lohnt sich immer, sie zu einem konkreten Thema in den Arbeitskreis einzuladen. Joyce Abebreses Übersicht und die strukturierten Informationen bringen uns alle voran. Hilfreich ist auch der Bezug des „Tarifletters“, zu dem sich jedes GEW-Mitglied online anmelden kann.
Die gute Zusammenarbeit mit der Presse ist ebenfalls wichtig für uns. So pflegen wir beispielsweise die Kontakte zu den lokalen und regionalen Zeitungen, damit über unsere Veranstaltungen berichtet wird. Auch der örtliche Radiosender Radio Herford ist interessiert an unseren Aktionen. So war es uns zum Beispiel möglich, Interviews und Stellungnahmen zu Tarifthemen abzugeben. Durch die Ankündigung von Terminen und Interviews gab es eine gute Streikunterstützung.
Motivierende Erfolgserlebnisse: Aktionen, die Wirkung zeigen
Wir beteiligen uns an lokalen, regionalen oder landesweiten Aktionen. Manchmal sind wir eine Handvoll, ein anderes Mal ein Dutzend Tarifbeschäftigte aus dem Kreis Herford.
2013 war Herford erstmals als lokaler Streikstandort gemeldet – mit über 75 Teil-nehmer*innen waren wir draußen auf der Straße. Diese positive Resonanz motivierte uns zum Durchhalten und zu weiteren Aktionen. Der Lohn für unsere Ausdauer zeigte sich 2015, als sich schon 100 Streikende in unserem Streiklokal eingefunden haben. Dass sich über 50 Prozent der tarifbeschäftigten Lehrkräfte im KV Herford am Streik beteiligt haben, ist für uns ein großer Erfolg.
Bei lokalen Aktionen ergreifen wir auch die Initiative, so zum Beispiel 2016: Bei der Maikundgebung zeigten Schilder am GEW-Stand Mangelerscheinungen auf: „Der Drops ist noch nicht gelutscht“ und Solidaritätsbekundungen werben „Für einen fairen Tarifvertrag“. Viele Menschen unterstützten unsere Forderungen und ließen sich mit den Schildern mit der Aufschrift „Für einen fairen Tarifvertrag“ fotografieren. Solche Anteilnahme zeigt uns immer wieder: Das Thema ist in der Öffentlichkeit präsent.
Die zentrale Frage: Wie machen wir Politiker*innen auf uns aufmerksam?
Bei allem was wir tun, fragen wir uns stets: „Wie gelingt es, Politiker*innen auf unsere schwierige Situation aufmerksam zu machen und Bewegung in die Sache zu bringen?“ Wir setzen dabei auf den Dialog: Mit heimischen Landtagsabgeordneten befinden wir uns seit mehreren Jahren im Gespräch. Eine Tarifdelegation des Arbeitskreises hat im Düsseldorfer Landtag fünf SPD-Abgeordneten die Benachteiligungen der Tarifbeschäftigten dargestellt und mit ihnen diskutiert. „Wie viele betrifft das? Was wird das kosten?“ – Fragen wie diese wurden von den Landtagsabgeordneten in der Absicht gestellt, eine Lösung zu finden. Eine Lösung, um den Dschungel der Beschäftigungsverhältnisse zu lichten, Widersprüche bei Eingruppierungen zu klären und Benachteiligungen von Tarifbeschäftigten abzuschaffen.
Kürzlich haben wir zu einer Podiumsdiskussion mit örtlichen Kandidat*innen für die Landtagswahl 2017 eingeladen. Wie so oft haben wir uns im ver.di-Haus getroffen und wie so oft haben einige von uns ihren beruflichen Werdegang in einem persönlichen „Tariflebenslauf“ dokumentiert. Eine Mappe der Lebensläufe lag vorfünf Kandidat*innen der Landtagswahl. 30 Gäste haben sich an dem Abend eingefunden. Das Ergebnis der Diskussion auf parteipolitischer Seite: Für das Thema „Zukunft der tarifbeschäftigten Lehrkräfte“ sind parteiübergreifende Lösungen notwendig.
Diese klare Aussage motiviert uns, mit Landtagskandidat*innen im Gespräch zu bleiben. Wir vom Arbeitskreis sehen es als unsere Aufgabe, sie an ihre Aussagen zu erinnern und konkrete Schritte der Umsetzung zur Lösung des „Spartenproblems“ tarifbeschäftigter Lehrkräfte zu erfragen. Wer wird die schulpolitischen Sprecher*innen der Parteien informieren? Wer wird eine Anfrage im Landtag stellen, um parteiübergreifend die Situation der tarifbeschäftigten Lehrkräfte in NRW zu verbessern?
Deshalb gilt: Abwarten und nichts tun ist keine Alternative, aufgeben auch nicht.
Marion Vinke
Mitglied im Leitungsteam des Arbeits-kreises Tarifbeschäftigte im Kreis Herford
Fotos: iStock.com / svetikd, emanoo, markusspiske / photocase.de
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