Unterschiedliche Einstufung nicht gerechtfertigt

Im Gespräch mit Professor Ralf Brinktrine

Ein Gutachten, das aufzeigt, dass die unterschiedliche Einstufung der Lehrer*innen verschiedener Schulformen verfassungsrechtlich nicht tragbar ist. Ein Gutachten, das überzeugend darstellt, dass Ausbildung und Tätigkeiten von unterschiedlichen Lehrkräftegruppen heute nicht mehr differenziert werden können. Das Gutachten von Rechtswissenschaftler Professor Ralf Brinktrine im Auftrag der GEW NRW fordert die Gleichstellung von Grundschullehrer*innen mit Gymnasiallehrer*innen und damit ein gerechteres Besoldungssystem.

nds: Welche sind die Grundaussagen Ihres Gutachtens zur Besoldung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in NRW?

Ralf Brinktrine: Nach dem geltenden Besoldungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen werden Grundschullehrer*innen grundsätzlich besoldungsrechtlich niedriger eingestuft als etwa Gymnasiallehrer*innen, obwohl in den letzten Jahren Angleichungen der Ausbildung und des grundsätzlichen Aufgabenspektrums der Lehrkräfte stattgefunden haben. Diese besoldungsgesetzlich unterschiedliche Einstufung von Lehrkräften mit gleicher Ausbildung und im Wesentlichen vergleichbaren Tätigkeiten ist mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Besoldungsgerechtigkeit nicht mehr zu vereinbaren. Daraus folgt, dass der Landesgesetzgeber zur Überarbeitung des Besoldungsgesetzes angehalten ist. Ziel dieser Novellierung muss es sein, die heute nicht mehr gerechtfertigten Unterschiede, die in der Vergangenheit tragfähig gewesen sein mögen, durch ein in sich stimmiges Besoldungssystem zu überwinden.

Warum ist Ihrer Meinung nach die derzeitige Besoldung der Lehrkräfte in NRW rechtswidrig?

Kurz gesagt ist die besoldungsgesetzlich unterschiedliche Einstufung von Lehrkräften mit gleicher Ausbildung und im Wesentlichen vergleichbaren Tätigkeiten mit dem aus Artikel 33 Absatz 5 Grundgesetz beziehungsweise aus  Artikel 3 Absatz 1 Grundgesetz sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten verfassungsrechtlichen Gebot der Besoldungsgerechtigkeit nicht mehr zu vereinbaren. Es gibt heute einfach kein tragfähiges Differenzierungskriterium mehr.
Wie verändert die Novellierung des Lehrerausbildungsgesetzes die Besoldungsstruktur? Die in der Vergangenheit unterschiedlichen Ausbildungswege und Ausbildungsanforderungen für unterschiedliche Gruppen von Lehrkräften – zum Beispiel von Grundschullehrer*innen einerseits und Gymnasiallehrer*innen andererseits – dienten als Grundlage und Rechtfertigung divergierender besoldungsrechtlicher Behandlung der Gruppen. Doch diese auch vom Bundesverfassungsgericht akzeptierte Rechtfertigung verliert in dem Moment ihre Überzeugungskraft, wenn Ausbildung und Tätigkeitsspektrum der verschiedenen Gruppen sich so weit angenähert haben, dass rechtlich relevante Unterschiede nur noch in sehr begrenztem Umfang oder gar nicht mehr bestehen. Die Novellierung des Lehrerausbildungsgesetzes im Jahr 2009 lässt die praktizierten Ungleichheiten aus heutiger Perspektive rechtlich fragwürdig erscheinen. 

Können die Veränderungen der Lehrkräftetätigkeit ebenfalls zur Begründung für eine bessere Besoldung herangezogen werden?

Maßgeblich für die besoldungsrechtlich korrekte Einstufung ist nach der Rechtsprechung die Wertigkeit eines Amtes: Je gewichtiger und bedeutender das Amt, desto höher muss ein Amt eingestuft werden. Gewicht und Bedeutung werden von Art, Umfang und Anspruch der Aufgabe beziehungsweise der Tätigkeit geprägt. Verändern sich Art, Umfang und Anspruch der Aufgabe eines Amtes rechtlich oder tatsächlich in der Weise, dass im Grunde die Anforderungen eines höher eingestuften Amtes erreicht werden, so ist der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Prüfung und gegebenenfalls Neueinstufung des Amtes aufgerufen. Relevante Veränderungen im Aufgabenprofil der Lehrkräftetätigkeit müssen daher automatisch zu einer Prüfung führen, die aufzeigt, ob die bisherige Einstufung noch zeitgemäß beziehungsweise gerechtfertigt ist. Schaut man sich das allgemein sehr anspruchsvolle Aufgabenprofil der Lehrkräfte nach dem Schulgesetz NRW sowie die gegenwärtigen neuen Herausforderungen an die Tätigkeit der Lehrkräfte an, so ist der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen meines Erachtens zu einer Überprüfung und Neujustierung des Besoldungssystems mit Blick auf die Lehrer*innen verpflichtet.

Welche Konsequenzen für das Besoldungsrecht der Lehrkräfte ergeben sich aus dem Verfassungsrecht – auch unter Einbeziehung der aktuellen Rechtsprechung des Bundes-verfassungsgerichts zur Richterbesoldung?

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Richterbesoldung betont, dass die Alimentation amtsangemessen sein muss. Amtsangemessene Alimentation bedeutet nach einhelliger Auffassung in der juristischen Judikatur und Literatur, dass ein angemessener Lebensunterhalt entsprechend der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards zu gewähren ist. Amtsangemessen muss die Alimentation aber nicht nur mit Blick auf die Höhe des Lebensunterhalts, sondern auch mit Blick auf die grundsätzliche Einstufung des Amtes sein, die wiederum von der Wertigkeit des Amtes abhängt. Um die Amtsangemessenheit der Alimentation fortdauernd zu gewährleisten, treffen den Gesetzgeber Begründungs-, Überprüfungs- und Beobachtungspflichten. Der Gesetzgeber muss also ständig schauen, ob das von ihm geschaffene Besoldungssystem noch in sich stimmig ist.

Welche Auswirkungen hat die von Ihnen geschilderte Rechtslage auf die Altbeschäftigten – also diejenigen, die bereits seit Jahren mit ihrer vielfältigen Erfahrung jene Arbeit leisten, die junge Masterabsolvent*innen erst beginnen?

Das ist eine nicht leicht zu beantwortende Frage. Der Gesetzgeber könnte sich bei einer Novellierung des Besoldungssystems veranlasst sehen, auf die bisherige Ausbildung abzustellen und daher grundsätzlich an der niedrigen Einstufung von Altbeschäftigten festzuhalten – doch ob das völlig überzeugend ist, erscheint fragwürdig. Von Bedeutung ist nämlich nicht nur die Ausbildung, sondern auch das Tätigkeitsspektrum. Grundsätzlich gilt nach dem Gebot der Besoldungsgerechtigkeit, dass das Besoldungssystem vergleichbare Aufgaben und Tätigkeiten auch gleich behandeln muss. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht dem Besoldungsgesetzgeber bisher einen recht großen Beurteilungsspielraum bei der Gestaltung von Besoldungsordnungen eingeräumt. Es kann daher sein, dass das Gericht dem Gesetzgeber zubilligen könnte, den Aspekt Ausbildung stärker zu gewichten als den Faktor Tätigkeitsspektrum. Es kann aber auch sein, dass Karlsruhe verlangt, dass durch großzügige Übergangsregelungen eine Anpassung der Situation der Altbeschäftigten an die Behandlung der Neubeschäftigten zu erfolgen hat. Welche Variante zum Zuge kommt, lässt sich schwer prognostizieren. 

Was raten Sie Lehrkräften auf Grundlage Ihrer Rechtsauswertung?

Die Besoldung der Lehrkräfte kann sich wegen des strikten Gesetzlichkeitsprinzips im Besoldungsrecht letztendlich nur auf zwei Wegen verbessern: Entweder der nordrhein-westfälische Gesetzgeber hat von sich aus ein Einsehen und ändert unter Berücksichtigung der geschilderten Gesichtspunkte das Besoldungsgesetz oder er wird durch ein Gerichtsurteil zur Änderung gezwungen. Ein solches Urteil herbeizuführen, ist allerdings mühevoll und bedarf eines langen Atems. Es ist mit einer mehrjährigen Verfahrensdauer zu rechnen. Empfehlenswert ist deshalb, dass mehrere Musterverfahren wegen nicht amtsangemessener Alimentation angestrengt werden, von denen am Ende alle Lehrkräfte profitieren.
Bei den Verwaltungsgerichten ist – nach einem erfolglos verlaufenen Widerspruchsverfahren gegen die Besoldungsmitteilung – eine sogenannte Feststellungsklage mit dem Antrag zu erheben, dass das gegenwärtige Besoldungsgesetz gegen den aus Artikel 33 Absatz 5 Grundgesetz hergeleiteten Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation verstößt. Mit Blick auf die nicht gerechtfertigte unterschiedliche Einstufung von Lehrkräften mit vergleichbarer Ausbildung und vergleichbaren Aufgaben ist insbesondere das Prinzip der Besoldungsgerechtigkeit zu rügen. Hält das Verwaltungsgericht die Besoldung für rechtswidrig und deshalb die Klage für begründet, so muss es das Besoldungsgesetz nach Artikel 100 Absatz 1 Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorlegen. Das Verwaltungsgericht selbst kann das Besoldungsgesetz nicht für verfassungswidrig erklären. Erklärt das Bundesverfassungsgericht das geltende Besoldungsgesetz für verfassungswidrig, so ist der Gesetzgeber gehalten, dieses entsprechend zu ändern.
Nicht erfolgversprechend ist es dagegen, direkt eine Leistungsklage auf Zahlung höherer Bezüge zu erheben, weil das Verwaltungsgericht keine Bezüge zusprechen darf, die durch das Gesetz nicht vorgesehen sind.

Die Fragen für die nds stellte Ute Lorenz.

Fotos (v. o. n. u.): christophe papke / photocase.de, speednik / photocase.de, nild / photocase.de

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