Selbstbestimmtes Lernen fördern
Gemeinsamer Unterricht an der Gesamtschule Bockmühle
Mit dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz (SchrÄG) haben sich die Bedingungen fürs inklusive Lernen an der Gesamtschule Bockmühle in Essen verschlechtert. Sie ist keine Vorreiterschule mehr, sondern eine von vielen. Doch das Kollegium um Schulleiterin Julia Gajewski nimmt die Probleme selbst in die Hand mit einem neuen pädagogischen Konzept. Die Forderungen an die Politik aber bleiben.
nds: Ihre Schule war Vorreiter im gemeinsamen Lernen und startete damit vor dem Inkrafttreten des 9. Schulrechtsänderungsgesetzes. Was hat sich seitdem an der Gesamtschule Bockmühle geändert?
Julia Gajewski: Noch in 2013 hatten wir häufig zwei LehrerInnen im Unterricht, die in Doppelbesetzung die Klassen betreuten. Nachdem alle Schulen in Nordrhein-Westfalen verpflichtet sind, gemeinsamen Unterricht umzusetzen, ist das nicht mehr der Fall. Wir mussten uns also auf die neue Situation einstellen und testen seit Sommer 2015 ein verändertes pädagogisches Konzept für die Jahrgänge 5 und 6. Mit der Entwicklung haben wir bereits eineinhalb Jahre zuvor begonnen. Mit dem neuen Konzept möchten wir die große und immer größer werdende Heterogenität der SchülerInnen besser bewältigen. Insbesondere die Leistungsdifferenzen zwischen SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf und jenen ohne sollen durch neue Unterrichtsmethoden ausgeglichener werden.
Wie sieht das neue Konzept aus?
Die Arbeit findet auf der Basis von Selbstlernzeiten, Projektunterricht und Werkstattangeboten statt. Grundlage unserer pädagogischen Arbeit ist das positive und selbstbestimmte Lernen. Gerade für SchülerInnen mit wenig positiver Lernvorerfahrung – wie es an unserer Schule häufig der Fall ist – ist das eine enorm wichtige Basis. Alle SchülerInnen können ihrem Leistungsstand entsprechend lernen. Auch den Mangel an ausreichender sonderpädagogischer Unterstützung möchten wir mit dem veränderten Konzept auffangen – soweit das überhaupt möglich ist. Die Gesamtschule Bockmühle ist dem Standorttyp 5 zugeordnet. Das bedeutet unter anderem, dass 40 Prozent der SchülerInnen einen Migrationshintergrund haben und die Mehrzahl aus sozial schwachen Familien kommt. Uns ist bewusst, dass wir hier unter Umständen berechtigten Forderungen an die Politik bezüglich der sonderpädagogischen Unterstützung entgegenarbeiten – allerdings glauben wir nicht, dass sich diesbezüglich so bald etwas ändern wird: Die Budgetierung ist auf zehn Jahre festgelegt und sieht in dieser Zeit keine Personalaufstockung vor. Wir werden allerdings nicht müde, um mehr Unterstützung zu kämpfen. Wir möchten aber schon heute das Bestmögliche für unsere SchülerInnen. Und deshalb können wir nicht auf entsprechende Unterstützung warten, denn die Gesamtschule Bockmühle möchte bereits jetzt kein Kind zurücklassen.
Was fehlt konkret an Ihrer Schule fürs differenzierte Lernen?
Auf jeden Fall in erster Linie das dringend notwendige Personal. Das Kollegium besteht aus engagierten LehrerInnen, die aber nicht alles auffangen können. Allein im Klassenraum sind sie häufig machtlos. Und im Zuge einer vernünftigen Willkommenskultur ist auch eine Sanierung des alten Gebäudes dringend nötig. Sehr teure Brandschutzmaßnahmen haben dabei leider nichts mit Sanierung zu tun. Die Schule hat dringend einen Anstrich nötig, sie braucht gut sichtbare Wegweiser, Computer in den Klassenräumen, dichte Fenster sowie Filzpads für die Mensabestuhlung, um den Lärmpegel zu senken und noch vieles mehr.
Wie geht das Kollegium mit der Situation um? Ist die Belastungsgrenze mittlerweile erreicht?
Viele der KollegInnen haben das Gefühl, ihrer Aufgabe nicht mehr gerecht werden zu können. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Belastungsgrenze nahezu erreicht ist. Mit dem neuen pädagogischen Konzept möchten wir dem bestmöglich entgegenwirken. 72 Prozent des Kollegiums wollten das veränderte Konzept schnellstmöglich umsetzen, um damit auf Dauer die Belastung zu senken.
Die nordrhein-westfälischen Schulleitungen haben die dringendsten Bedarfe benannt in der Online-Umfrage der GEW NRW im Herbst 2015. Welche hat Ihre Schule? Was erwarten Sie von der Landesregierung?
In erster Linie erwarte ich, dass die Schulen individuell betrachtet werden und vor allem die personelle Unterstützung dort greift, wo sie auch mehr benötigt wird. Ich erwarte, dass die Politik deutlich mehr Geld in Bildung investiert, um echte Integration von SchülerInnen an der Armutsgrenze zu fördern und SchülerInnen mit Migrationshintergrund eine realistische Chance zu geben, ein integrierter Teil unserer Gesellschaft zu werden. Ich erwarte, dass politisch gegen die Bildung von Parallelgesellschaften gearbeitet und nicht über die Existenz derselben geklagt wird.
Die Fragen für die nds stellte Sherin Krüger.
Fotos (v. o. n. u.): eatcute / fotolia.com und von privat
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