Kein Platz mehr frei!

Sprachkurse: Herausforderung in der Erwachsenenbildung

Zwei Drittel der Menschen, die in der Bundesrepublik in 2015 Zuflucht gesucht haben, sind Erwachsene. Und ganz klar ist: Auch für sie gilt das Menschenrecht auf Bildung. Es beginnt mit der Sprache als dringlichste Aufgabe. Die Volkshochschulen sind dabei besonders in der Verantwortung. Doch ohne qualifizierte KursleiterInnen sind die gewachsenen Aufgabenberge nicht zu bewältigen.

Es ist ein gewöhnlicher Dienstag, ein Kommen und Gehen vor dem Beratungsraum: Im Laufe des Nachmittags werden es 30 Personen sein. 30 Menschen, die Deutsch lernen möchten. Doch viele Kurse bis Mitte 2016 sind voll. Ein paar Glückliche können die letzten Plätze für die Termine im Februar ergattern. Ob der Kurs tatsächlich stattfinden kann, weiß die Volkshochschule Bochum derzeit aber noch nicht. „Sie möchten nach dem Integrationskurs weiterlernen? Nächstes Jahr vielleicht. Und auch nur dann, wenn ein Platz frei ist und Sie die Kosten selbst tragen.“
Es ist wirklich nicht einfach, wenn Menschen neu in Deutschland sind und Deutsch lernen möchten. Denn die Kursangebote reichen bei Weitem nicht aus und kaum jemand hat in der Großstadt noch einen Überblick über die verschiedenen Möglichkeiten. 

Doppelter Bedarf

Zu vielen Anfragen können die Volkshochschulen nicht nachgehen, zu viele Menschen müssen sie wieder nach Hause schicken, auf Termine im nächsten Jahr vertrösten oder ihnen mitteilen: „Bildung wird nicht gefördert.“ Denn während alle schulpflichtigen Kinder im Prinzip zur Schule gehen können, sind bei Erwachsenen der Aufenthaltsstatus und das Herkunftsland über den Zugang zu geförderter Bildung entscheidend: Personen, die aus einem Land mit einer Anerkennungsquote im Asylverfahren von unter 50 Prozent kommen, haben geringe Chancen auf einen geförderten Deutschkurs. Für viele Menschen, die sich dauerhaft in der Bundesrepublik aufhalten werden, können die Volkshochschulen also keine entsprechenden Angebote machen.
Mittelfristig wird das ein gesellschaftliches Problem, kurzfristig ist es eine Belastung für die Lehrkräfte und MitarbeiterInnen in der Erwachsenenbildung. Sie sind es, die diesem Mangel ständig begegnen ohne etwas tun zu können. Der Nachfrage nach geförderten Kursen können sie nicht nachkommen. Es ist nicht die Rede von zehn oder 20 Prozent mehr Anfragen, mancherorts hat sich der Bedarf an Kursplätzen in Sprachkursen verdoppelt.

Kein Platz mehr frei!

Gegenseitige Wertschätzung

Es ist Mittwochmittag. Auf dem Flur diskutiert eine aufgebrachte Kursleitung mit einer Gruppe ebenso aufgebrachter junger Männer. Darf sie die Teilnehmenden bitten, dass sie während des Unterrichts nicht zum Rauchen und Telefonieren rausgehen dürfen? Ja, das muss sie sogar. Das ist keine Beleidigung, sondern die Bitte, Regeln einzuhalten. Bei aller Wertschätzung und Respekt vor den jungen Männern müssen die Spielregeln klar sein und für alle gelten. Neben der Sprache ist dies ein weiteres wichtiges Bildungsziel.
Noch vor wenigen Jahren versuchten die Lehrkräfte und MitarbeiterInnen in der Erwachsenenbildung, Teilnehmende von der Notwendigkeit und von den Vorteilen, Deutsch zu lernen, zu überzeugen. In bunt gemischten Kursen machten Frauen 60 Prozent der Teilnehmenden aus und es schien ein ausgeglichenes Verhältnis zu sein. Heute hat sich dieses Bild verändert: Das Geschlechterverhältnis hat sich umgedreht und wird sich in Zukunft noch weiter verschieben. Immer mehr junge Männer nehmen die Kursangebote wahr, die allermeisten hoch motiviert. Teilnehmende mit klaren Bildungs- und Berufszielen vor Augen machen Spaß. Erfolge stellen sich schnell ein und sind sichtbar. Diejenigen, die Bildung schon vorher nur mühsam erreichte, dürfen aber nicht aus den Augen verloren werden. 

Personal halten und gewinnen

Donnerstagnachmittag im Büro. In der Mailbox sind zwei Krankmeldungen von Lehrkräften. Für den nächsten Tag sind aber alle Kursleitungen ausgebucht, die eine Vertretung übernehmen könnten. Zusätzliche Kurse brauchen neben Räumen, Verwaltung und finanziellen Ressourcen zusätzliche Kursleitende. Doch erst einmal gilt es, das Personal zu halten, Rahmenbedingungen zu gestalten, damit sie nicht wechseln oder aufgeben. Viel Druck lastet auf den Kursleitenden. Sie sind es, die im direkten und täglichen Kontakt mit den Teilnehmenden sind. Sie sind es auch, die Streit schlichten und in noch stärkerem Maße als zuvor mit den psychischen Belastungen der Teilnehmenden umgehen müssen. Sie brauchen dabei Unterstützung durch kostenlose Fortbildungsangebote.
Später klingelt das Telefon. Eine Lehrerin in Altersteilzeit möchte gerne Deutsch unterrichten an der Volkshochschule. Schnell hat sich herumgesprochen, dass der Bedarf an Lehrkräften gestiegen ist. Bewerbungen von pensionierten LehrerInnen trudeln regelmäßig ein. Die Volkshochschulen können sich nur freuen über kompetente und engagierte Lehrkräfte, die sich aus einem Gefühl von Verantwortung gegenüber der Gesellschaft melden. Doch ihr Einsatz gestaltet sich nicht einfach: Das Problem ist der gefragte Stundenumfang. Möchte sich die Lehrerin in Altersteilzeit wirklich mindestens zwei volle Vor- oder Nachmittage binden? Was ist mit der Anrechnung auf ihre Versorgungsbezüge? Damit beginnen die Schwierigkeiten.

Angemessene Bezahlung einfordern

Eine Festanstellung als DozentIn an einer Volkshochschule ist ein nahezu unmöglich zu erreichendes Ziel, denn eine entsprechende Refinanzierung der Integrationskurse existiert nicht. Gab es noch bis vor Kurzem einen Funken Hoffnung, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) den Kostenerstattungssatz auf ein erträgliches Niveau anheben würde, so wurde auch diese Ende 2015 enttäuscht. Die Erhöhung auf 3,10 Euro pro Unterrichtsstunde ermöglicht nicht einmal bei dem vom BAMF vorgeschlagenen Mindesthonorar von 23,00 Euro eine Vollfinanzierung bei einer der Volkshochschule angemessenen Qualität, die den Lernerfolg sichert.
Wenn es ein Problem gibt, qualifizierte Lehrkräfte zu finden, dann wird eben die Definition von qualifiziert geändert – so sieht die Lösung des BAMF aus. Die Lösung der Agentur für Arbeit hingegen ist noch einfacher: Sie fordert gar keine Qualifikation. So geschah es bei den mit über 100 Millionen Euro geförderten Einstiegskursen für AsylbewerberInnen.

Keine Chance ohne Fortbildungen

Was für die Schule gilt, gilt auch für den Deutschkurs in der Erwachsenenbildung: Ausgebildete Lehrkräfte fühlen sich nicht automatisch für den Deutschunterricht an der Volkshochschule qualifiziert. Sie benötigen Fortbildungen. Das betrifft nicht nur das strukturierte Lernen im geförderten Rahmen, sondern in besonderem Maße auch das Ehrenamt. Für viele ist der ehrenamtlich geleitete Deutschkurs nicht nur ein Einstieg in die deutsche Sprache. Er ist der oft einzige Zugang. Für die ehrenamtlich Tätigen sind die Herausforderungen jedoch enorm – strukturell, pädagogisch und psychisch. Dieses Engagement muss dringend durch Fortbildungen gestützt werden. Voraussetzung hierfür sind jedoch Konzepte und finanzielle sowie personelle Ressourcen. 

Helle Timmermann
Mitglied im Leitungsteam der Fachgruppe Erwachsenenbildung der GEW NRW und stellvertretende Leiterin der Volkshochschule Bochum

Fotos (v. o. n. u.): suze / photocase.de und Luftbildfotograf / fotolia.com

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