Gewaltprävention und -intervention in Schule

Wie sollten Lehrer*innen mit gewalttätigen Schüler*innen, Eltern und Kolleg*innen umgehen? Kriminalhauptkommissar Joachim Splittgerber gibt Tipps zum Umgang mit Gewalt in Schule.

nds: Wie können Lehrkräfte drohende Gewaltsituationen rechtzeitig erkennen und entschärfen?

Joachim Splittgerber: Wer aufmerksam für seine Umgebung und sein Gegenüber, dessen Gestik, Mimik und Körpersprache ist, kann auffälliges Verhalten und eine gefährliche Situation in der Regel rechtzeitig erkennen. Stellt sich instinktiv ein komisches Bauchgefühl ein, ist das ein wichtiges Warnsignal: Lehrer*innen sollten auf dieses Gefühl achten, es als Zeichen für Gefahr annehmen und nicht verdrängen.
Sie müssen mit der betreffenden Person dann vorsichtiger umgehen, damit sie rechtzeitig auf einen möglichen Angriff reagieren können.
Um Gewaltsituationen zu verhindern oder zu entschärfen, rate ich Lehrkräften, Distanz zu der jeweiligen Person oder Situation aufzubauen. Sind es mehrere  Personen, bei denen es gerade eskaliert, müssen sie räumlich getrennt werden.
Und wenn es trotzdem passiert: Wie reagieren Lehrkräfte angemessen auf Gewalt unter Schüler*innen?
Eskaliert die Situation zwischen zwei Schüler*innen,  muss die Lehrkraft zunächst aus der sicheren Distanz agieren: Sie muss durch kurzes, aber lautes und deutliches Auftreten die Aufmerksamkeit der Betroffenen bekommen. Erst dann können Lehrer*innen durch Kommunikation oder beherztes Wegziehen einer Person für eine räumliche Trennung sorgen. Das gelingt besser, wenn die vermeintlich schwächere oder die der Lehrkraft bekannte Person angesprochen wird.
Dass Lehrer*innen körperlich eingreifen, um zum Beispiel eine Person wegzuziehen, ist durchaus gerechtfertigt und auch rechtlich abgesichert: § 32 Strafgesetzbuch (StGB) regelt die sogenannte Notwehr und Nothilfe, § 34 StGB definiert den rechtfertigenden Notstand. Wenn es dennoch zu einer Straftat unter Schüler*innen kommt, sollten Lehrer*innen gegebenenfalls Anzeige erstatten.

Welche Tipps geben Sie Lehrer*innen, die Gewalt durch Schüler*innen erleben müssen?

Treten Sie auch in einer akuten Angriffssituation selbstbewusst und stark auf, um die eigene Position zu verbessern, und nehmen Sie auch eine entsprechende Körperhaltung ein. Machen Sie andere durch lautes Schreien auf sich und die Situation aufmerksam. Zu diesem Zweck können Sie auch „Krachmacher“ wie Trillerpfeifen, Hand- oder Personenalarmgeräte einsetzen. Scheuen Sie sich außerdem nicht, andere Personen – zum Beispiel Kolleg*innen oder Schüler*innen – gezielt anzusprechen und zur Hilfe aufzufordern! Grundsätzlich ist Flucht immer die beste Möglichkeit, einem Angriff zu entgehen. Dabei sollten Sie stets dorthin  flüchten, wo Sie Hilfe erhoffen beziehungsweise finden.
Wenn es zu Straftaten wie Körperverletzungen oder Beleidigungen kommt, können natürlich auch Lehrkräfte Anzeige erstatten. Das gilt übrigens auch für Angriffe im digitalen Bereich! Hier ist es zusätzlich wichtig, die entsprechenden Nachrichten als Beweis zu sichern.

Und wenn es die Eltern sind, von denen die Gewalt ausgeht?

Führen Sie Gespräche mit Eltern nicht allein, wenn deren Verhalten ein schlechtes Bauchgefühl bei Ihnen auslöst oder wenn sie sich bereits in früheren Situationen aggressiv  verhalten haben. Holen Sie sich in solchen Fällen immer die Unterstützung weiterer Lehrkräfte oder Ihrer Schulleitung. Das pädagogische Personal sollte sich bei solchen Begegnungen immer so im Raum positionieren, dass es leicht flüchten kann, sollte es zu einem Übergriff kommen.
Die Begegnung sollte zumindest vonseiten der Lehrkräfte sachlich bleiben. Lassen Sie sich nicht provozieren! Selbst wenn Ihnen die Eltern zum Schluss ein „Abschiedsgeschenk“ in Form von Beleidigung, Sachbeschädigung oder Körperverletzung machen: Nehmen Sie es vernünftigerweise ohne eine eigene Reaktion an. Wenn Eltern sich sehr aggressiv verhalten, sollten Sie jedoch konsequenterweise immer über einen Abbruch des Gesprächs, ein Hausverbot und eine Anzeige bei der Polizei nachdenken.
Ab welchem Punkt raten Sie Lehrer*innen dazu, auch rechtliche Schritte einzuleiten?
Wenn eine Straftat verübt wird, sollte grundsätzlich Anzeige erstattet werden – das gilt für Schüler*innen jeglichen Alters, auch für Minderjährige, und ihre Eltern. Das ist nicht nur pädagogisch sinnvoll, sondern entspricht auch einem konsequenten Auftreten der Schule und genügt der „amtlichen“ Verschriftlichung von Fällen. Nicht zuletzt dient die Anzeigenerstattung damit auch dem Schutz der Mitschüler*innen, des schulischen Personals und der gesamten Einrichtung Schule.


Joachim Splittgerber
Kriminalhauptkommissar beim Dortmunder Kriminalkommissariat Kriminalprävention / Opferschutz der Polizei Dortmund.

Foto: MPower. / photocase.de

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