Tschüss, Steinkohle! Vom Bergbau lernen.

Im Dezember 2018 schließen mit den Bergwerken Anthrazit Ibbenbüren und Prosper-Haniel in Bottrop die beiden letzten verbliebenen deutschen Steinkohlenzechen. Insbesondere im Ruhrgebiet ist dieser Umstand im Laufe des Jahres durch eine Vielzahl von Veranstaltungen, Ausstellungen und durch ein großes mediales Echo begleitet worden. Von Zäsur ist die Rede, vom Ende einer Ära. So zutreffend das ist, so lang ist allerdings der Abschied von der Kohle bereits im Gange.

Solidarität und Leistungsbereitschaft – die Werte der Kumpel bewahren

Der Rückzug des Bergbaus hat sich seit der ersten Krise 1958 letztlich über 60 Jahre hingezogen. Aus der Lebenswelt zahlreicher ehemaliger Bergbaugemeinden sind die Zechen bereits seit geraumer Zeit verschwunden, auch wenn an vielen Orten noch Reste alter Industriearchitektur und einzelne Schachtgerüste zu sehen sind. Die mentalen Prägungen durch den Bergbau haben sich in den Familien vielleicht gehalten, doch die Erinnerung an die zentrale Rolle, die diese Industrie einmal gespielt hat, an die spezifischen und schwierigen Arbeitsbedingungen, denen in den Hochzeiten nach 1945 mehr als 600.000 Bergleute unterworfen waren, droht zu verblassen. Besonders im Ruhrgebiet, aber auch in anderen früheren Bergbauregionen hat sich dagegen eine aktive Geschichtskultur entwickelt, die darauf abzielt, das industriekulturelle Erbe zu bewahren.
Was also soll vom Bergbau bleiben? Woran sollten wir uns erinnern? Fragt man frühere Bergleute, geht es oft um Werte wie Kameradschaft, Solidarität und Fürsorglichkeit, aber auch um ein Arbeitsethos, das von Disziplin und Leistungsbereitschaft geprägt war. Unter Tage war es lebenswichtig, aufeinander aufzupassen. Aber auch auf anderer Ebene waren diese Werte von Bedeutung.

Starke Gewerkschaften, starker Sozialstaat – der Bergbau hat‘s vorgemacht

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Kohle der Motor des Wiederaufbaus schlechthin. Als Schlüsselindustrie war der Bergbau zudem immer umkämpft. Dass er heute einen so guten – zuweilen nostalgisch verbrämten – Ruf besitzt, ist auch das Resultat langer Auseinandersetzungen zwischen Beschäftigten, Unternehmen und Politik um Arbeitsbedingungen, Sicherheitsstandards und soziale Sicherungsmodelle. Im Kampf um eine starke Rolle der Arbeitnehmer*innenschaft in den Betrieben waren es die Gewerkschaften der Kohle- und Stahlindustrie, die mit der Durchsetzung der Montanmitbestimmung 1951 – noch vor Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes – Pionierarbeit für die Mitbestimmung in der Bundesrepublik leisteten. Und auch im Jahrzehnte währenden Krisenmanagement brauchte es Solidarität und Disziplin, um Wege zu finden, die Industrie so zurückzubauen, dass es nicht zu akuter Massenarbeitslosigkeit gekommen ist.
Sicherlich gelten viele der früheren Bergbaugemeinden auch heute noch als strukturschwach. Aber es genügt der Blick nach Großbritannien, wo die marktradikale Kahlschlagpolitik Margaret Thatchers in den 1980er-Jahren verbrannte Erde hinterließ, um zu sehen, dass hierzulande ein anderer Weg der Problemlösung beschritten wurde. Das staatlich abgefederte, langsame Auslaufen der Steinkohlenindustrie veranschaulicht das alte bundesrepublikanische Modell eines starken Sozialstaats, in dem Gewerkschaften, Unternehmen und Staat um Konsens bemüht sind. Die Voraussetzungen dafür mussten die Bergleute zwar immer aufs Neue erstreiten, am Ende war es aber doch ein erfolgreicher Weg – auch wenn jetzt die letzte Zeche schließt.
Aus umweltpolitischer Sicht könnte man meinen, dass das Ende der Bergbauindustrie auch ihr Gutes hat. Solange aber weiter aus Steinkohle Strom erzeugt wird, diese nun aber aus Ländern kommt, in denen Arbeitnehmer*innenrechte und Sicherheitsstandards geringgeschätzt werden, ist diese Vorstellung wohl hinfällig.


Dr. Stefan Moitra
wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Bergbau-Museums Bochum

Foto: fotosr52 / Fotolia

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