Schulpolitik als Mogelpackung
Kommentar zur Entwicklung der Schulformen
CDU und FDP ändern Schule in NRW auf subtile Weise und suggerieren der Öffentlichkeit ein falsches Bild ihrer Schulpolitik. Statt sachlicher Analyse steht bildungspolitische Ideologie im Vordergrund.
„Realschulen und Gymnasien müssen erhalten bleiben“ stand im Wahlprogramm der FDP, die nun die Schul- und Bildungsministerin stellt. Im Koalitionsvertrag von CDU und FDP wurde es dann so formuliert: „Wir wollen die Gleichbehandlung aller Schulformen wiederherstellen. Die Benachteiligung von Realschulen und Gymnasien werden wir beenden.“ Auf diese Weise wiederholen sie ihren Vorwurf an Rot-Grün, ideologische Schulpolitik betrieben zu haben. Würde man sich primär gegen diesen Vorwurf wehren, ginge man jenen auf den Leim, die derzeit subtil Schulstruktur ändern.
Hauptschulen sind akut gefährdet
Ein Blick in die amtliche Schulstatistik (siehe Tabelle) zeigt: Die Zahl der Schulen der angeblich bedrohten Schulformen Realschule und Gymnasium blieb konstant. Der Anteil aller Schüler*innen, die das Gymnasium besuchten, stieg. Der Anteil derjenigen, die zu einer Real-schule gehen, blieb konstant. Völlig anders ist die Situation an den Hauptschulen: Diese Schulform ist in NRW akut existenzgefährdet. Der Anteil aller Schüler*innen, die sie besuchten, hat sich in den vergangenen zehn Jahren halbiert. Die Anzahl der Schulen sinkt kontinuierlich. Bei den Schulformen des längeren gemeinsamen Lernens ist ein Vergleich über zehn Jahre nur bei den Gesamtschulen möglich. Hier stieg die Zahl der Schulen in Folge des Schulkonsenses beträchtlich. Die nach wie vor große – und oft von Schulträgern ignorierte – Nachfrage sowie die Anzahl der Gesamtschüler*innen nahm zu. Im Schuljahr 2017 / 2018 verfügte NRW über 113 Sekundarschulen, die von zwei Prozent aller Schüler*innen besucht werden.
Ideologie statt sachliche Analyse der Stärken und Schwächen an Schulen
Aktuelle Entscheidungen von Schulträgern deuten darauf hin, dass sich Gymnasien und Realschulen in den kommenden Jahren quantitativ gut entwickeln werden. Neugründungen stehen bei beiden Schulformen an, G9 wird einen Wettbewerbsnachteil der Gymnasien aus den vergangenen Jahren beenden. Schwarz-gelbes Wehklagen entbehrt jeder Grundlage. Es lohnt sich jedoch, über einige Fragen genauer nachzudenken:
- Warum wird penetrant betont, Gymnasien müssten generell „gestärkt“ werden?
- Warum bezeichnet das Schulministerium das Scheitern am Gymnasium und die folgende Abschulung als eine in einem begabungsgerechten gegliederten Schulsystem notwendige Korrektur an „von Anfang an unzutreffenden oder aber sich erst im Verlauf des Bildungsgangs als unzutreffend erweisenden Bildungsgangzuweisungen“?
- Warum halten es CDU und FDP für zwingend notwendig, Gymnasien und Realschulen weiterhin die Abschulung zu erlauben?
- Warum muss der neunjährige Bildungsgang am Gymnasium auf jeden Fall auch als Halbtagsgymnasium realisierbar sein?
- Warum wird die Forderung nach einer zweizügigen Fortführung von Sekundarschulen zur Sicherung des Schulangebots mit dem Prüfauftrag versehen, ob und wie gymnasiale Standards dort umgesetzt werden?
- Warum soll ein Hauptschulbildungsgang an Realschulen dort dauerhaft gesichert werden, wo es für die Aufrechterhaltung eines leistungsfähigen Hauptschulangebots erforderlich ist? Und warum soll ein solcher Bildungsgang an Realschulen bereits ab Klasse 5 möglich sein?
- Warum werden die Entwicklungsperspektiven der Schulen des längeren gemeinsamen Lernens geschmälert?
Weil die Schulpolitik von CDU und FDP das Gegenteil dessen ist, was im Wahlprogramm der CDU versprochen wurde: „Wir verbannen eine bildungspolitische Ideologie aus den Schulen und analysieren stattdessen sachlich und wissenschaftlich fundiert die Stärken und Schwächen unseres Schulwesens in Nordrhein-Westfalen.“
Michael Schulte
Geschäftsführer der GEW NRW
Foto: view7 / photocase.de
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