Mehr Studierende in NRW – mehr Personal für die Hochschulen!
Stellenbedarf an Hochschulen
Immer mehr junge Menschen in NRW beginnen ein Hochschulstudium – ein positiver Trend, dessen Ende noch nicht abzusehen ist. In der Personalplanung der Hochschulen ist diese Entwicklung jedoch noch nicht angekommen. Wie viele Stellen müssten in NRW geschaffen werden, um den steigenden Studierendenzahlen gerecht zu werden?
„2014 waren 2,7 Millionen Studierende an deutschen Hochschulen eingeschrieben. Im Vergleich zum Vorjahr waren es 82.000 Studierende beziehungsweise 3,1 Prozent mehr. Allein in Nordrhein-Westfalen waren 726.000 immatrikuliert, gefolgt von Bayern mit 368.000 und Baden-Württemberg mit 357.000 Immatrikulationen. Damit entfielen 27 Prozent aller Studierenden auf Nordrhein-Westfalen“, so resümiert das Statistische Bundesamt in seiner aktuellen Ausgabe von „Hochschulen auf einen Blick“.
Ein Trend, der Konsequenzen fordert
Dies ist eine erfreuliche Entwicklung: Damit beginnen fast sechs von zehn Personen einer Alterskohorte im Laufe ihres Lebens ein Hochschulstudium. Dies ist eine Chance, die die Gewerkschaftsbewegung stets gefordert hat: für mehr Persönlichkeitsentwicklung und eine bessere Orientierung in einem sich rasch verändernden Arbeitsmarkt, für eine Stärkung unserer Demokratie und für Aufklärung gegen den sich ausbreitenden Rechtspopulismus. Und diese Entwicklung ist nicht nur temporär. Sicherlich wurde sie bundesweit auch durch die doppelten Abiturjahrgänge so rasant, aber in allen Ländern blieben die Übergänge zu den Hochschulen auch nach dieser Zeit auf einem sehr hohen Niveau, was mittlerweile auch von den Statistiken der Kultusministerkonferenz (KMK) abgebildet wird. Sie prognostizieren eine weiter wachsende Nachfrage bis weit in die 2020er Jahre hinein.
Nun müssen auch der Ausbau der Hochschulen und die Bereitstellung der erforderlichen Grundausstattung folgen, damit ein erfolgreiches Studium ermöglicht wird. Und hier hapert es noch gewaltig. In der Tat wurden bundesweit erhebliche Sondermittel im Rahmen der Hochschulpakte in den Bundeshaushalt und die Haushalte der Länder eingestellt. Hohe Summen, die aber immer wieder nur befristet zugesagt wurden, sodass der stabile Ausbau der Hochschulen derzeit noch nicht in Sicht ist. Dazu müssen langfristige Investitionsmittel bereitgestellt werden – zum Beispiel für die erforderlichen Bau- und Sanierungsmaßnahmen – und vor allem muss der Personalbestand in den Universitäten sowohl beim wissenschaftlichen Personal wie bei den Mitarbeiter*innen in Technik und Verwaltung mit dem Zuwachs an Studierenden Schritt halten. Dies betrifft Fachhochschulen und Universitäten gleichermaßen.
GEW-Expertise ermittelt Personalbedarf an Hochschulen
Eine von der GEW mit Unterstützung der Max-Träger-Stiftung in Auftrag gegebene Studie untersucht die Frage, wie sich die Personalsituation an den Universitäten bis 2026 darstellen sollte. Die Expertise „Professorinnen, Professoren, Promovierte und Promovierende an Universitäten: leistungsbezogene Vorausberechnung des Personalbedarfs und Abschätzung der Kosten für Tenure-Track-Professuren“ wurde im Sommer 2016 von Dr. Anke Burkhardt vom Institut für Hochschulforschung Wittenberg vorgelegt. Darin wird einerseits der im kommenden Jahrzehnt erforderliche Lehr- und Betreuungsbedarf bei gleichzeitiger Verbesserung der Betreuungsrelation abgeschätzt. Andererseits rückt die Expertise aber auch das gestiegene „Interesse an einer wissenschaftlichen Qualifizierung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“ in den Fokus sowie „die weitere dynamische Entwicklung der Forschungsleistungen der Wissenschaftsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“. Es wird erwartet, dass der überfällige Ausbau der Hochschulen auch mit einer strukturellen Veränderung der Karrierewege verbunden wird.
Modellrechnungen für die benötigte Zahl der Professor*innen orientieren sich an den Betreuungsrelationen, die in unserem Nachbarland Schweiz schon seit vielen Jahren Realität sind. So lag dort die Betreuungsrelation im landesweiten Durchschnitt bei 35 Studierenden pro Professur (Vollzeitäquivalente), in einigen Fächern wie in der Medizin kommen gar 20 Studierende auf eine Professur. Demgegenüber haben sich mit dem Anwachsen der Studierendenzahlen die Betreuungsrelationen in Deutschland ausgehend von einem ohnehin bereits deutlich schlechteren Niveau weiter negativ entwickelt (siehe Tabelle 1).
Bliebe die Zahl der Professor*innen auf dem Niveau von 2014, würde sich die Betreuungsrelation in den kommenden zehn Jahren weiter verschlechtern – und zwar dauerhaft. Es wäre mit durchschnittlichen Spitzenwerten von 90 Studierenden pro Professur zu rechnen. Setzt man die Schweizer Relationen als guten Standard, den es zu erreichen gilt, so müsste sich die Zahl der Professor*innen in Deutschland bis 2026 im Vergleich zum Iststand um 84 Prozent auf 43.300 Professor*innen erhöhen.
Auch für die zunächst befristeten Tenure-Track-Professuren, die einen Weg zur unbefris-teten Professur darstellen, sieht die Studie der GEW einen Mehrbedarf von rund 5.700 Stellen.
Angesichts der meist kurzfristig beschäftigten Nachwuchswissenschaftler*innen fordert die Studie eine klare Perspektive für die Betroffenen. Sie errechnet den Bedarf für Promotionsstellen angesichts der vorliegenden Promotionszahlen und vor allem für Postdocs, die heute oft lange Jahre hochqualifiziert in Projekten an den Hochschulen tätig sind, ohne dass sie mit einer dauerhaften Beschäftigung rechnen können. Geht man von einer mindestens sechsjährigen Beschäftigungsdauer aus, müssten für die Postdocs bis zu 43.000 Beschäftigungsverhältnisse zur Verfügung stehen und für Promovierende ergibt sich ein Bedarf von circa 98.000 Stellen.
NRW hat großen Nachholbedarf in der Studierendenbetreuung
Blickt man nun nach NRW, muss man feststellen, dass in der Lehre sehr großer Handlungsbedarf besteht. Offensichtlich konnte trotz beachtenswerter Anstrengungen der Landesregierung der Personalausbau mit dem Anwachsen der Studierendenzahlen nicht Schritt halten. Im Vergleich der Bundesländer steht NRW bei den Betreuungsrelationen nur auf dem letzten Platz. Hamburg und Schleswig-Holstein liegen im Mittelfeld mit der Relation 60 Studierende je Professur. In Thüringen beträgt die Relation 50 : 1, in NRW 99 : 1, wie einer Antwort der Landesregierung vom 21. November 2016 auf eine parlamentarische Anfrage zu entnehmen ist. Neben der Betreuungsrelation Studierende pro Professur kann ebenfalls die Relation Studierende zur Zahl des gesamten wissenschaftlichen Personals betrachtet werden. Aber auch hier landet NRW auf dem letzten Platz (siehe Tabelle 2).
NRW geht in die richtige Richtung, indem es in den nächsten Jahren jährlich 50 Millionen Euro der Hochschulpaktmittel verstetigt und damit als Grundfinanzierung zusätzlich zur Verfügung stellt. Aber das reicht noch bei Weitem nicht aus.
Würde man die Studie der GEW als Grundlage nehmen und eine leistungsbezogene Vorausberechnung des Personals für NRW analog vornehmen – also eine 84-prozentige Steigerung der Professuren bis 2026 –, käme man in einer ersten Abschätzung allein für die Universitäten in NRW auf einen Mehrbedarf von circa 4.000 Professuren und 20.000 Stellen für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Ein immenses Programm. Eine Verbesserung des Betreuungsverhältnisses allein ist natürlich noch kein Garant für gute Lehre, aber eine wichtige Voraussetzung. Die Politik müsste einen Stufenplan entwickeln, mit dem in re-alisierbaren Schritten der Personalbestand den gestiegenen Studierendenzahlen angepasst würde. Eine Mammutaufgabe, die der neuen Landesregierung ins Stammbuch zu schreiben ist.
Dr. Ingrid Lotz Ahrens
Mitglied der Fachgruppe Hochschule und Forschung der GEW NRW
Fotos: CL. / photocase.de
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