Kopftuch und Schule: Religiöse Freiheit und offene Kommunikation
Kopfbedeckungen in der Schule
Nach den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 28. Januar 2015 und der darauf folgenden Änderung des Schulgesetzes ist klar: Lehrerinnen dürfen in NRW grundsätzlich mit Kopftuch unterrichten. Aber wie ist es mit den anderen am Schulleben Beteiligten? Welche Hinweise gibt das nordrhein-westfälische (Schul-)Recht?
Ein neunjähriges Mädchen kommt plötzlich mit Kopftuch in die Schule – kann man ihr das verbieten? Eine vollverschleierte junge Frau meldet sich im Weiterbildungskolleg an – mit Aussicht auf Erfolg? Ein junger Mann jüdischen Glaubens kommt mit Kippa in eine Schule, deren Schulordnung das Tragen von Kappen verbietet – darf er die Kippa anbehalten? Eine vollverschleierte Frau begehrt Einlass in die Schule, sie möchte ihr Kind abholen – geht das? Dies sind alles Fälle, die der Presse der letzten zwei Jahre entnommen sind. Eine Statistik dazu wird nicht geführt.
Innerhalb der religiösen Gemeinschaften werden Kopftuch und Kippa unterschiedlich bewertet: Das Tragen des Kopftuchs geht auf das Bedeckungsgebot im Koran zurück: Sure 24, Vers 31 und Sure 33, Vers 59. Beide Suren sind nicht eindeutig. Von Bedeckung der Haare und des Gesichts ist wörtlich nicht die Rede. Das Kopftuchgebot ist daher auch innerislamisch umstritten. Das Bedeckungsgebot wird teilweise im Islam als unbedingte Pflicht angesehen, teilweise auch nicht. Politisch wird das Kopftuch als Symbol männlicher Unterdrückung der Frau bewertet. Bei der Kippa gibt es innerjüdisch ebenfalls geteilte Aussagen über die Pflicht, wo und wann der Kopf zu bedecken sei.
Zwischen Religionsfreiheit, Elternrecht und staatlichem Erziehungsauftrag
Aus juristischer Sicht geht es im Schulbereich um eine Abwägung zwischen der Religionsfreiheit, dem Elternrecht und dem staatlichen Erziehungsauftrag in der Schule. Artikel 4 Grundgesetz (GG) verbürgt sowohl die positive Glaubens- und Bekenntnisfreiheit – also das Recht darauf, eine Religion zu haben und auszuüben – als auch die negative – also nicht glauben zu müssen und nicht vom Glauben bedrängt zu werden. Auch Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) gewährleistet die Glaubensfreiheit in diesen Ausprägungen, allerdings anders als das GG mit „Gesetzesvorbehalt“. Das bedeutet, dass der innerstaatlich zuständige Gesetzgeber dieses Grundrecht per Gesetz einschränken oder die Verwaltung gesetzlich zur Einschränkung ermächtigen kann. Das Erziehungsrecht der Eltern aus Artikel 6 GG verbürgt die Freiheit der Eltern, die Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen. Demgegenüber steht Artikel 7 GG mit dem staatlichen Erziehungsauftrag.
Ferner spielt das Religionsverfassungsrecht eine Rolle. Es ist festgehalten in Artikel 140 GG,
der auf weitergehende Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung verweist, nämlich Artikel 136 bis 141. Für den Personalbereich sind zudem einschlägig: Artikel 33 GG, das den Zugang zu öffentlichen Ämtern regelt, das Grundrecht der Berufsfreiheit aus Artikel 12 GG, das Diskriminierungsverbot aus Artikel 3 GG sowie die allgemeine Handlungsfreiheit aus Artikel 2 GG.
Schule ist ein Raum religiöser Freiheit
In Deutschland gibt es also keinen Laizismus, auch die Landesverfassung (LV) ist offen für Religion in der Schule, wie sich aus dem Erziehungsziel „Ehrfurcht vor Gott“ (Artikel 7 Absatz 1 LV NRW) und aus der Offenheit für christliche und andere Bekenntnisse in der Gemeinschaftsschule (Artikel 12 Absatz 3 LV) ergibt. Diese Offenheit kommt allen religiös-weltanschaulichen Überzeugungen zu, selbstverständlich auch dem Islam und dem Judentum. Folgerichtig heißt es im nordrhein-westfälischen Schulgesetz (SchulG): „Die Schule ist ein Raum religiöser und weltanschaulicher Freiheit.“ (§ 2 Absatz 7 Satz 1 SchulG NRW)
Folglich können Hidschab und Tschador – Formen des Kopftuchs, die das Gesicht freilassen – und auch die Kippa von Eltern, Lehrer*innen und Schüler*innen in der Schule getragen werden. Auch eine Schulordnung kann dies nicht so weitgehend einschränken.
Schüler*innen sind wegen der aus Artikel 7 GG herzuleitenden Schulpflicht gezwungen, in die Schule zu gehen, und empfinden es vielfach als ihre religiöse Pflicht, in der Öffentlichkeit das Kopftuch oder die Kippa zu tragen. Würde man von ihnen verlangen, die Kopfbedeckung abzulegen, so würden sie in einen unausweichlichen Konflikt geraten. Daher ist ihnen grundsätzlich das Tragen eines Kopftuchs oder einer Kippa in der Schule zu erlauben.
Aber wie ist es mit den Vollverschleierungen, also Nikab und Burka? Gilt die religiöse Freiheit in der Schule unbegrenzt? Das Tragen einer Gesichtsverhüllung verstößt gegen die Mitarbeitspflicht aus § 42 Absatz 3 SchulG. Eine Nikab tragende Schülerin kann nicht identifiziert werden. Die Gesichtsverhüllung verhindert die Erfüllung des Unterrichtsauftrags der Schule aus pädagogischer Sicht, denn erst die nonverbale Kommunikation durch Mimik und Gestik ermöglicht die soziale Interaktion im Klassenverband. Außerdem können Probleme beim Sprachverständnis entstehen, weil die Sprache unter dem Schleier gedämpft und deswegen schwer verständlich ist. Ferner besteht bei Versuchen in den naturwissenschaftlichen Fächern durch den Schleier Verletzungsgefahr. Schließlich leidet auch die Interaktion unter den Schülern*innen, weil durch die Vollverschleierung der Aufbau von sozialen Beziehungen beeinträchtigt wird.
Kopfbedeckung – ja,
Vollverschleierung – nein
Daher ist eine Abwägung zwischen der Glaubensfreiheit (Artikel 4 GG) und dem staatlichen Bestimmungsrecht im Schulwesen (Artikel 7 Absatz 1 GG) notwendig. Beide stehen sich grundsätzlich gleichrangig gegenüber. Nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz ergänzen sie sich wechselseitig in einer Weise, die weder das eine noch das andere bevorzugt oder maximal behauptet. Es ist daher immer nach Lösungen zu suchen, die dem Grundrecht die maximal mögliche Entfaltung sichert.
Zunächst einmal gilt es zu klären, ob das Ziel auf andere Weise erreicht werden kann. Eine Ausweichmöglichkeit ist im Falle einer Vollverschleierung für die Schule dann nicht annehmbar, wenn sie zu einer Unterrichtsgestaltung führt, die ihrem fachlichen Konzept, nämlich der
offenen Kommunikation im Unterrichtsgespräch im Gegensatz zu einseitigen Monologen der Lehrkraft, in gravierender Weise zuwiderliefe. So hat jedenfalls der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschieden (Aktenzeichen: 7 C S 13.2592 und 7 C13.2593). Diese Grundsätze gelten genauso auch in nordrhein-westfälischen Schulen: Schüler*innen können also mit Kopfbedeckung, aber nicht gesichtsverschleiert zum Unterricht gehen. Aus diesem Grund konnte auch die eingangs erwähnte vollverschleierte Frau nicht in das Weiterbildungskolleg aufgenommen werden.
Verschleierte Mütter: Identifizierung und Kommunikation ermöglichen
Zum Umgang mit verschleierten Müttern in der Schule gibt es bisher keine Rechtsprechung. Die vollverschleierte Mutter macht von ihrer Religionsfreiheit und – indem sie zur Schule kommt –
zugleich auch von ihrem Elternrecht Gebrauch. Das Schulgesetz regelt diese Konstellation nicht explizit. Deshalb lässt sich in diesen Fällen nur aus allgemeinen Grundsätzen schöpfen: Die Grundrechte der Mutter werden eingeschränkt vom staatlichen Erziehungsrecht aus Artikel 7 GG. Dieses gebietet, für die Sicherheit in der Schule und den Frieden in der Schule zu sorgen. Dabei muss gleichzeitig die Werteordnung des Grundgesetzes beachtet werden. Das bedeutet, dass den Grundrechten der Einzelnen weitestmögliche Geltung zu verschaffen ist.
Per Schulordnung kann geregelt werden, dass Eltern das Schulgelände nicht betreten dürfen –
es sei denn zum Elternsprechtag oder zu Schulmitwirkungsveranstaltungen. Ein solches Verbot ist aber nur generell und nicht mit spezifischem Bezug auf das Kopftuch möglich. Im Einzelfall ist aber zulässig, einer vollverschleierten Mutter – auf das Hausrecht gestützt – den Zutritt zum Schulgelände zu verwehren, da ihre Identität nicht festzustellen ist. Sollte sie bereit sein, diese offenzulegen, wird man ihr den Zutritt gewähren müssen. Das gilt auch in den Fällen, in denen vollverschleierte Mütter ihre Kinder abholen möchten, sofern den Eltern dafür generell der Zutritt zur Schule gewährt wird.
Bei Elternsprechtagen und in Pflegschaftssitzungen müssen Mütter ihr Gesicht ständig freilegen, damit Kommunikation in vollem Umfang möglich ist. Das ergibt eine Gesamtschau der Schulmitwirkungsbestimmungen. Denn eine Verständigung in den schulischen Gremien oder im Elterngespräch ist nur möglich, wenn alle Beteiligten nicht nur die jeweiligen Worte hören, sondern auch die Mimik der anderen wahrnehmen können.
Rechtliche Grundsätze für den Schulalltag
Zusammenfassend ergeben sich damit folgende Grundsätze für den Umgang mit verschleierten Schülerinnen und Eltern im Schulalltag:
- Das Tragen des Kopftuchs ohne Gesichtsverhüllung ist an nordrhein-westfälischen Schulen generell erlaubt. Dasselbe gilt für die Kippa.
- In NRW hat ein generelles Verbot, auf dem Schulgelände Gesichtsverhüllungen zu tragen, keine Grundlage im Schulgesetz.
- Schülerinnen dürfen jedenfalls im Unterricht keine Gesichtsverhüllung tragen.
- Eltern im Allgemeinen kann ohne Differenzierung per Schulordnung das Betreten des Schulgeländes untersagt werden.
- Liegt eine konkrete Gefahr vor, kann verschleierten Personen das Betreten des Schulgeländes im Einzelfall verboten werden.
- Von gesichtsverschleierten Müttern kann ein Heben des Schleiers zur Identifizierung verlangt werden.
- In Mitwirkungsgremien und in Gesprächssituationen kann die Entfernung des Schleiers verlangt werden.
Joachim Fehrmann*
Gruppenleiter Schulrecht im Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW
(*Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.)
Fotos: Inkje / photocase.de, ra2studio / shutterstock.com
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