Mehr Demokratie – mehr Staatsausgaben

Über wie viel Geld soll der Staat verfügen? Wie hoch soll sein Anteil am Bruttoinlandsprodukt, soll die Staatsquote sein? Für die Neoliberalen ist die Sache klar: Ihr Pionier Friedrich August von Hayek fordert in seinem Aufsatz „Wohin zieht die Demokratie?“, eine vom Parlament getrennte Einrichtung solle der Regierung fest begrenzte Mittel zuteilen, damit der Staatsanteil unabhängig sei von den „schwankenden Moden und Leidenschaften einer wandelbaren Masse“. Die Demokratie neige dazu, in eine „totalitäre Demokratie“ auszuarten. Das Unbehagen gegenüber einer hohen Staatsquote als Ausdruck von „totalitärer Demokratie“ besteht darin, dass der Staat in Form einer kollektiven Willensbildung Einkommen zuteilt und mit seiner Nachfrage maßgeblich darüber mitentscheidet, was und für wen produziert wird. Das soll nicht sein, denn damit könnte die Mehrheit der Bevölkerung der Unternehmerschaft als Minderheit ihren Willen aufzwingen. Ex-kanzler Helmut Kohl war sich sicher: „Bei einer Staatsquote von 50 Prozent beginnt der Sozialismus.“ 

Wenn der Staat sich aus der Verantwortung stiehlt

Dieser Parole von der schleichenden Sozialisierung folgen die unterschiedlichen Regierungen seit rund 40 Jahren. In Deutschland stieg die Staatsquote von 31,1 Prozent im Jahr 1950 auf 54,7 Prozent im Jahr 1995. 2014 waren es nur noch 44,3 Prozent. Hierbei beträgt 2014 der Anteil der Gebietskörperschaften am Bruttoinlandsprodukt 25,3 Prozent, der Anteil der Sozialversicherungen beläuft sich auf 19 Prozent. Eine geringere Staatsquote bedeutet dann, dass die gesetzliche Sozialversicherung abgelöst wird von privaten Versicherungen, etwa von der Riester-Rente, und dass die Gebietskörperschaften staatliche Aufgaben an private Unternehmen abtreten. Ein Beispiel hierfür sind die privaten Unternehmen für Nachhilfe oder Hausaufgabenbetreuung: Sie tun das, wofür eigentlich die Schulen da sind, die aber aus Personalmangel ihren Aufgaben nicht vollständig nachkommen können. Weniger Staatsquote bedeutet – allgemein gesprochen – weniger Sozialstaat.
Politisch durchgesetzt wird die niedrigere Staatsquote, indem die Parlamente niedrigere Staatseinnahmen beschließen. Das bedeutet geringere Unternehmenssteuern, keine Vermögenssteuer und einen geringeren Spitzensteuersatz für hohe Einkommen privater Haushalte. Das soll wohl das Totalitäre an der Demokratie beschränken. Die öffentlichen Kassen sind eben leer! Verschulden soll sich der Staat auch nicht, denn das wäre Versündigung an den Kindern! Deswegen muss eine Schuldenbremse her – und für die EU dasselbe als Fiskalpakt. Dabei gibt es in der Wirtschaftswissenschaft eine lange Tradition, die die Geldversorgung nicht gründen will auf Schulden des Unternehmenssektors oder des Auslands bei der Zentralbank, das heißt Devisen, sondern auf zinslose Kredite der Zentralbank an den Staat. Die Europäische Zentralbank betreibt gegenwärtig eine solche Politik, wenngleich sehr verdruckst, weil sie im Grunde satzungswidrig Staatsdefizite finanziert.

Gute Bildung lässt sich nicht kleinrechnen

Die sinkende Bevölkerungszahl soll als Demografiedividende ein weiteres Argument für weniger Staatsausgaben liefern. PolitikerInnen mit Kenntnissen in der Dreisatzrechnung veranschlagen nun weniger Ausgaben für das Erziehungswesen. Falls eine demografische Rendite überhaupt noch existiert, ist dieses Sparkonzept aus zwei Gründen Unsinn: Oft müssen die öffentlichen Ausgaben je tausend EinwohnerInnen bei sinkender EinwohnerInnenzahl ansteigen. Das ist beispielsweise so bei der ärztlichen Versorgung, aber auch bei Schulen und Kindergärten. Diese Einrichtungen lassen sich nicht einfach zusammenlegen. Dann werden Wege zu lang. Wenn aber tatsächlich Geld frei wird, kann Schule ihre Leistungen verbessern: kleinere Klassen, kein Unterrichtsausfall wegen Krankheit, jede Form von Nachhilfe in der Schule – dort, wo es ausgebildete PädagogInnen gibt.

Prof. Dr. Herbert Schui
Professor für Volkswirtschaftslehre; Mitbegründer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik

Foto: Saimen. / photocase.de

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