Deutsche Lehrer*innen verdienen mehr Wertschätzung

Studie zum Image von Lehrkräften weltweit

Einer britischen Studie zufolge sind deutsche Lehrkräfte im internationalen Vergleich besonders schlecht angesehen. Die GEW fordert mehr Anerkennung für eine herausfordernde und intensive Tätigkeit – und die fängt beim Arbeitgeber an.

Lange galten sie als „faule Säcke“, die angeblich schon mittags frei haben, danach Tennis spielen und dazu auch noch zwölf Wochen Ferien im Jahr genießen dürfen. Mit solch platten Vorurteilen, wie sie einst etwa der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder äußerte, müssen sich Lehrer*innen immer wieder auseinandersetzen. Das schlechte Image des Berufsstands in der Öffentlichkeit hat auch damit zu tun, dass nicht nur Kinder und Eltern, sondern fast jede*r Erwachsene etwas zum Thema zu sagen weiß – und dabei womöglich enttäuschende Erfahrungen aus längst vergangenen eigenen Schulzeiten verarbeitet. Allerdings hat sich seit Gerhard Schröders Beschimpfungen etwas verändert, glaubt Dorothea Schäfer, Landesvorsitzende der GEW in Nordrhein-Westfalen: „Die Bevölkerung hat inzwischen wieder etwas mehr Respekt vor der Leistung, die die Lehrkräfte erbringen.“
Lehrer*innen fällt heute mehr denn je die Funktion von Torwächter*innen für die Bildungsschicksale des Nachwuchses zu. Rigide Auswahlmechanismen wie der Übertritt von der Grundschule zum Gymnasium nur bei gutem Notendurchschnitt – oder, etwas weniger drastisch, per Schulempfehlung – lösen bei Eltern Gefühle von Ohnmacht aus. Das schürt bisweilen Aggressionen, vom Neid auf „die Beamt*innen“ und ihre Privilegien etwa bei der Altersversorgung ganz zu schweigen. Dem Alltag der meisten Lehrenden wurden die Klischees noch nie gerecht. Denn jeden Tag mehrere Stunden vor pubertierenden Jugendlichen oder lauten Grundschulkindern zu stehen, ist anstrengend und eine ständige Reizüberflutung. Unbedingte Voraussetzung ist die Fähigkeit zum flexiblen Multitasking wie auch eine sorgfältige Vorbereitung – und das gilt nicht nur für die sozialen Brennpunkte der Großstädte mit ihrer kulturell vielfältigen und teilweise schwierigen Schüler*innenschaft.

Berufswunsch Lehrer*in? Besser nicht!

2018 hat die britische Varkey Foundation zum zweiten Mal nach 2013 die Ergebnisse einer umfangreichen internationalen Untersuchung zum Ansehen von Lehrer*innen veröffentlicht. Stiftungsgründer Sunny Varkey ist ein in den Arabischen Emiraten ansässiger indischer Unternehmer, der vor allem in asiatischen Ländern mehr als hundert private Schulen und Kindergärten betreibt. Die Ergebnisse der Studie sind vor dem Hintergrund möglicher Interessenkonflikte daher mit Vorsicht zu betrachten. Für die Expertise wurden über 40.000 Menschen in 35 Ländern befragt. Einen besonders hohen Stellenwert hat der Beruf den Ergebnissen zufolge in fernöstlichen Ländern. Die Lehrkräfte aus China, Indonesien, Malaysia und Taiwan liegen im Ranking des „Global Teacher Status Index“ ganz vorn. In Deutschland dagegen, so ergab die Untersuchung, würde nur jede*r fünfte Befragte dem eigenen Kind empfehlen, Lehrer*in zu werden. Zum Vergleich: In Indien tun dies 54 Prozent.
In Schwellen- und Entwicklungsländern, in denen es schon statistisch erheblich mehr Kinder und Jugendliche und zudem große Bildungsdefizite gibt, ist der Ruf der Lehrkräfte meist deutlich besser. Die schulische Erziehung des Nachwuchses bringen Eltern dort mit dem sozialen Aufstieg der eigenen Familie in Verbindung. Doch auch in vielen Staaten der Europäischen Union wird die Leistung der Lehrenden laut der Studie stärker gewürdigt. „In Skandinavien zum Beispiel ist die Anerkennung deutlich größer“, betont die nordrhein-westfälische GEW-Vorsitzende Dorothea Schäfer. Niedriger als die deutschen Werte liegen im Image-Ranking nur Teile Osteuropas: In Russland etwa raten gerade mal sechs Prozent der Befragten zum Ergreifen des Lehrberufs.

Lehrer*innen verdienen nicht schlecht – aber auch nicht gerecht

Die mangelnde Wertschätzung hierzulande ist immerhin mit einer vergleichsweise guten Bezahlung verbunden: Beim Gehalt liegen die deutschen Pädagog*innen international in der Spitzengruppe. Allerdings gilt das vor allem für die Gymnasien, an anderen Schulformen müssen sich die Lehrenden mit deutlich geringeren Verdiensten zufriedengeben. Nicht umsonst fordert die GEW mit der Kampagne „JA 13!“ gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit. „Es kann nicht sein, dass Lehrkräfte an Grundschulen und in der Sekundarstufe I schlechter bezahlt werden. Das ist verfassungswidrig“, kritisiert Dorothea Schäfer. „Andere Bundesländer haben bereits vorgemacht, dass es auch anders geht. Es wird höchste Zeit, dass NRW nachzieht!“
Zudem, gibt die GEW-Landesvorsitzende zu bedenken, müsse bei internationalen Vergleichen die Entlohnung stets mit dem Unterrichtsstundendeputat zusammen gesehen werden: „Und das ist bei uns höher als anderswo.“ Sie verweist auf die gestiegenen Belastungen im Unterricht und ärgert sich über „manchmal unverschämte Eltern, die Schule als reine Dienstleistung betrachten“. Auch der Umgangston der Schüler*innen habe sich verändert, zu be-obachten sei ein schleichender Autoritätsverlust: „Immer häufiger sind zum Beispiel männliche Jugendliche nicht bereit, Frauen als Lehrpersonen zu akzeptieren.“ Beim Thema Respekt landet Deutschland in der Varkey-Studie im unteren Drittel. Schulleiterinnen berichten von Drohungen und Beleidigungen, bis hin zu tätlicher Gewalt.
„Lehrer*innen erbringen tagtäglich Höchstleistungen im Unterricht und danach”, sagt Helmut Holter, Minister für Bildung, Jugend und Sport in Thüringen und im vergangenen Jahr Präsident der Kultusministerkonferenz. Der Beruf müsse im öffentlichen Bewusstsein stärker anerkannt werden, fordert der Politiker der Linkspartei, denn mit ihm gehe „eine ungeheuer große Verantwortung einher“. Dorothea Schäfer hat den Eindruck, dass auch der Arbeitgeber, sprich die Landesregierung, die Leistung der Kolleg*innen zu wenig wertschätzt. „Übrigens unabhängig vom Parteibuch der Verantwortlichen”, fügt sie hinzu. Viel zu häufig würden „Schaufensterreden“ gehalten, aber dringliche Probleme wie die Entlastung im Schulalltag ignoriert oder vernachlässigt.
Entgegen gängiger Vorurteile sind die Arbeitszeiten an den Schulen lang, sie liegen im Schnitt bei 45 Stunden pro Woche. „Seit rund 20 Jahren werden ständig weitere Aufgaben draufgesattelt, die Pflichtstundenzahl wurde aber nicht grundsätzlich reduziert“, kritisiert die GEW-Bundesvorsitzende Marlis Tepe. Zu befürchten ist, dass negative Berichte über das Image von Lehrer*innen, wie sie nach der Veröffentlichung der Varkey-Studie zu lesen waren, das Werben um dringend benötigte zusätzliche Lehrkräfte erschweren könnten – weil sich potenziell Interessierte davon abgeschreckt fühlen.

Wer gute Lehrkräfte will, muss etwas dafür tun

Die Skepsis, die in den Befragungen zum Ausdruck kommt, ist durchaus verständlich. Sie beruht nicht nur auf Neid oder Vorurteilen gegenüber den in den Schulen Tätigen. Denn die misslichen Zustände im deutschen Bildungssystem, mit denen sich Kinder und Eltern auseinandersetzen müssen, sind offensichtlich und seit Langem bekannt: der schlechte Zustand vieler Gebäude, volle Klassen, überfrachtete Lehrpläne, teilweise unzureichend qualifizierte Pädagog*innen.
Die Ursachen dieser Misere liegen auch in einer wenig vorausschauenden Bildungsplanung, die sich in den letzten Jahrzehnten bei den Prognosen der zu erwartenden Schüler*innenzahl ständig verkalkuliert hat. Die zuständigen Behörden müssen angesichts von gestiegener Geburtenrate und mehr Kindern aus Zuwanderungsfamilien in großem Umfang auf Seiten-einsteiger*innen zurückgreifen. Überall laufen deshalb Kampagnen: Nordrhein-Westfalen betreibt Wortspiele und wirbt für einen „Job mit Pultstatus“, Mecklenburg-Vorpommern bemüht Küstenpoesie und bittet inständig „Sei unser Lehrer, wenn du einen festen Ankerplatz suchst“. Anderswo werden Pensionär*innen zurückgeholt oder Frühverrentungen hinausgeschoben. In Berlin, wo sich besonders dramatische Engpässe zeigen, hat inzwischen nur noch jede*r dritte Neueingestellte ein Lehramtsstudium absolviert, an den Grundschulen ist es sogar nur noch jede*r Zehnte.
Doch auch wer gut ausgebildet ist, hat diesen Beruf häufig mit falschen Vorstellungen über die künftige Tätigkeit gewählt. Manche Lehramtsstudierende denken vor der Einschreibung an der Universität zum Beispiel zu wenig darüber nach, ob ihre Persönlichkeit den pädagogischen Anforderungen gewachsen ist. Eignungstests, wie sie etwa in Finnland zum Standard gehören, sind in Deutschland bisher nicht üblich. Immerhin machen die Studierenden in NRW früh ein Orientierungspraktikum, später folgt das Praxissemester. Trotzdem kommt für manche Hochschulabsolvent*innen erst im Referendariat, wenn sie regelmäßig vor den Klassen stehen, das böse Erwachen – und die (zu) späte Erkenntnis, vielleicht doch im falschen Film zu sein. Wenn das Land als Arbeitgeber motivierte Lehrkräfte haben will, muss es für die passenden Rahmenbedingungen sorgen. Neben einer guten Aus- und Weiterbildung gehören dazu auch eine gerechte Bezahlung, mehr Aufstiegsmöglichkeiten im Grundschullehramt und der Abbau der beruflichen Überlastung.


Thomas Gesterkamp
freier Journalist

Foto: schiffner / photocase.de; iStock.com / AleksandarNakic

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