Wenn der Unterricht zur Belastung wird
Arbeits- und Gesundheitsschutz
Die Digitalisierung und der demografische Wandel, der sich auf Schule auswirkt, können für Lehrer*innen zu einer massiven Belastung werden. In solchen Fällen schützen konkrete Vorgaben zum Arbeits- und Gesundheitsschutz die Beschäftigten.
Interaktive Schultafeln, Whiteboards und Smartphones sind heute aus vielen Klassenzimmern nicht mehr wegzudenken. Das beeinflusst nicht nur den Unterricht, sondern auch dessen Vorbereitung. Für Lehrkräfte bedeutet diese Entwicklung eine massive Umstellung der Arbeitsweisen. Um die neue Technik optimal nutzen zu können, müssen sie entsprechend qualifiziert sein und viel Zeit in die Vorbereitung der Unterrichtsstunden investieren. Je nach vorhandenen Ressourcen wirkt das sogar gesundheitsschädlich und ist damit ein zentrales Thema für den Arbeits- und Gesundheitsschutz in Schule. Am offensichtlichsten wird das Problem bei der Nutzung mobiler Geräte und Sozialer Medien: Daten sind jederzeit und an jedem Ort verfügbar, sodass Lehrkräfte immer und überall arbeiten könnten. Wer das im „Always-on“-Modus tut, ist mit dem Smartphone rund um die Uhr für Schüler*innen, Eltern und Kolleg*innen erreichbar. Doch wann ist der Arbeitstag zu Ende? Wie organisieren sich Lehrer*innen und halten die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit ein? Was für die einen mehr Flexibilität bedeutet, ist für die anderen hinderlich und schadet der Gesundheit.
Eine zusätzliche Herausforderung ist der demografische Wandel mit weitreichenden Folgen für
Personalstrukturen und Arbeitsbedingungen. Viele neue Lehrkräfte müssen eingebunden werden, was für alle Beteiligten einen zeitlichen Mehraufwand bedeutet. Im schlimmsten Fall können ausscheidende Kolleg*innen nicht schnell genug ersetzt werden. Das führt – zumindest temporär – zu Arbeitsverdichtungen an den Schulen.
Arbeits- und Gesundheitsschutz sind gesetzlich geregelt
Das Arbeitsschutzgesetz dient dazu, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit durch bestimmte Maßnahmen zu sichern und zu verbessern. Das Gesetz schreibt in Kombination mit der sogenannten Arbeitsstättenverordnung vor, wie die Sicherheit und der Gesundheitsschutz der Beschäftigten umzusetzen sind. Dazu haben unter anderem die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie und die Berufsgenossenschaften Konkretisierungen erarbeitet, die eine Umsetzung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sicherstellen sollen. Die Regeln sind verbindlich und gelten für Behörden ebenso wie für Unternehmen.
Das Prinzip des Arbeits- und Gesundheitsmanagements basiert auf dieser gesetzlichen Grundlage. Es beschreibt einen Zyklus, der einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess vorsieht. Zunächst werden Gefährdungen am Arbeitsplatz beurteilt. Hierbei können gegebenenfalls Bereiche identifiziert werden, die Maßnahmen zur Verbesserung der Bedingungen erforderlich machen. Das Arbeitsschutzgesetz schreibt für diesen Fall zwingend eine Maßnahmenentwicklung vor. Diese Veränderungen müssen durchgeführt und auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Der Kreis ist geschlossen und das Verfahren beginnt mit der nächsten Beurteilung von vorne.
Gefährdungsbeurteilungen müssen regelmäßig und insbesondere bei Veränderungen der Arbeit durchgeführt werden. Beispiele aus der Praxis sind neue Gebäude, Veränderungen der Schulform oder neue Konzepte zur Inklusion. Die Gefährdungsbeurteilung muss für das gesamte Arbeitsumfeld erstellt werden. Damit sind sowohl das Lehrerzimmer als auch die Klassenzimmer und alle Orte, an denen Lehrkräfte tätig sind sowie alle Tätigkeitsbereiche gemeint.
COPSOQ: Die Gesundheitsgefährdung von Lehrkräften ermitteln
Gefährdungen können psychischer oder physischer Natur sein. So ist der Lärm im Klassenzimmer sicher eine physische Belastung, die Auswirkungen auf das Gehör und auf die Psyche haben kann. Beide Gefährdungsarten sind zu beurteilen. Mit der Anwendung des branchen- und berufsübergreifenden Fragebogens zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz, dem Copenhagen Psychosocial Questionnaire (COPSOQ), wurde an den Schulen in NRW der erste Schritt getan, um die Gefährdungen zu ermitteln. COPSOQ ist ein wissenschaftlich validierter Fragebogen, der psychische Belastungen und Beanspruchungen bei der Arbeit erfasst. Im ersten Schritt werden alle Bereiche identifiziert, in denen möglicherweise Handlungsbedarf besteht. Da es eine standardisierte Befragung ist, gibt das Screening nur Hinweise darauf, an welchen Stellen oder welche Gefährdungen vorliegen könnten. Daraus lassen sich noch keine konkreten Informationen über die Gefährdungen ableiten.
Wurden bei der Befragung Schwellenwerte überschritten und ein Handlungsbedarf ermittelt, wird in einem weiteren Schritt eine Feinanalyse der identifizierten Gefährdungen gemacht. Das geschieht in der Regel durch Workshops, Interviews oder Beobachtungen am Arbeitsplatz. Gegebenenfalls sind Messungen beispielsweise bei hohen Lärmbelastungen notwendig. Erst wenn die Gefährdungen konkret erfasst sind, werden konkrete Maßnahmen entwickelt. Dabei ist die Maßnahmenhierarchie einzuhalten, die aus den Technischen Regeln für Arbeitsstätten (Gefährdungsbeurteilung, ASR V3) stammt:
- Vermeidung oder Reduzierung der Gefährdung
- Schutz vor Gefährdung durch Einsatz technischer Maßnahmen
- Gefährdung durch organisatorische Maßnahmen beseitigen oder reduzieren
- Gefährdungen durch persönliche Schutzausrüstung reduzieren
- Gefährdung durch Qualifikation der Beschäftigten reduzieren
Auch wenn die Hierarchie eigentlich für den technischen Arbeitsschutz formuliert wurde, gilt sie vom Grundsatz auch für die Entwicklung von Maßnahmen zur Reduzierung psychischer Gefährdungen.
In erster Linie geht es darum, Maßnahmen zur Verbesserung der Verhältnisse zu ergreifen. Zwar sind Maßnahmen zur Stärkung der psychischen Widerstandskraft im Sinne der Verhaltensprävention hilfreich, bezüglich des Arbeitsschutzes stehen sie aber an letzter Stelle. Wurde bei der Befragung mit COPSOQ eine Gefährdung ermittelt, die Maßnahmen erforderlich macht und wurde diese Gefährdung in einer Feinanalyse spezifiziert, sind im nächsten Schritt Maßnahmen zur Verbesserung der Verhältnisse zu definieren. Ein Beispiel: Ist der Wert für die „Quantitativen Anforderungen“ in einer Schulform erhöht und ergibt die Feinanalyse, dass das Arbeitsvolumen zu groß ist, kann eine Maßnahme die Reduzierung des Arbeitsvolumens sein. Eine Qualifizierung der Lehrkräfte in Zeit- und Projektmanagement behebt das Problem nicht, sondern laboriert nur am Symptom.
Maßnahmen entwickeln und umsetzen – mit Unterstützung des Lehrerrates
Auf welcher Ebene sind die Maßnahmen also zu entwickeln und umzusetzen? Die Schule ist die entscheidende Stelle, an der die Feinanalysen stattfinden müssen. Aber auch auf Ebene des Landes und der Bezirksregierungen müssen Maßnahmen und Lösungen entwickelt werden. Denn die Vorgaben dieser Ebenen bestimmen an vielen Stellen die Bedingungen, die im Sinne der Verhältnisprävention zu verbessern sind. Verantwortlich im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes ist die*der Arbeitgeber*in – in diesem Fall ist das zunächst die Landesregierung, vertreten durch das Ministerium für Schule und Bildung, danach die Bezirksregierungen und für Grundschulen die Schulämter. An erster Stelle sind es jedoch die Schulleiter*innen, die nach dem Schulgesetz gemäß § 59 Absatz 8 zuständig sind. Ihre Zuständigkeit hört dort auf, wo es keine Möglichkeiten mehr gibt, die Gesundheitsgefahren zu beheben und die notwendigen Maßnahmen eigenständig in der Schule umzusetzen. Das Land kann sich mit der Zuständigkeitsregel nicht aus seiner Verantwortung für die Beschäftigten nehmen.
Alles, was im Bereich des Gesundheitsschutzes in der Schule zu klären ist oder über die Schulleitung geregelt werden kann, fällt in die personalvertretungsrechtlichen Zuständigkeit der Lehrerräte. Sie sind durch die Verweise im Schulgesetz auf das Landespersonalvertretungsgesetz für die Überwachung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie mögliche Initiativen für Verbesserungen zuständig. Wenn Maßnahmen der Schulleitung umgesetzt werden müssen, muss vorher der Lehrerrat dazu Stellung nehmen können. Sobald allerdings die Möglichkeiten der Schulleitung zur Verbesserung der Situation zu Ende sind, verlagern sich auch die Beteiligungspflichten auf die Personalvertretungen der jeweiligen Schulformen.
Frank Steinwender
Fachleiter Arbeit und Gesundheit der Technologieberatungsstelle beim DGB NRW e. V.
Fotos: Beate-Helena, suschaa / photocase.de
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