Neue Möglichkeiten für mehr Beteiligung

Digitalisierung in Non-Profit-Organisationen

Digitalisierung? Na klar, unbedingt! Aber was bedeutet das eigentlich für Organisationen wie die GEW NRW? Wie können digitale Technologien soziale Zwecke voranbringen? Stephan Peters vom betterplace lab über digitale Potenziale für Non-Profit-Organisationen.

nds: Was bedeutet eigentlich Digitalisierung für Non-Profit-Organisationen? Neue Software für die Mitgliederverwaltung? Mehr Onlinepetitionen? Twitternde Vorsitzende?

Stephan Peters: Erstmal bedeutet Digitalisierung per Definition die „Virtualisierung realweltlicher Prozesse“. Das hilft uns aber kaum, den Begriff zu fassen. Digitalisierung wird gerne von der Technologie und Software gedacht, aber eigentlich ist sie fundamentaler. Sie ist ein globales Phänomen, weil so gut wie kein Lebensbereich von diesem Wandel unberührt bleibt. Offenkundig wird dies beispielsweise bei den Themen Information und Kommunikation.
Überlegen Sie einfach, wie Sie heute nach Informationen suchen oder diese austauschen. Trends, die sich in diesen Bereichen besonders hervortun, sind die Echtzeitkommunikation und die Automatisierung von Informationen. Das führt dazu, dass immer schneller, immer mehr Informationen gesammelt werden. Es werden täglich 2,5 Trillionen Bytes Daten erzeugt und verarbeitet. Damit geht ein Anpassungsdruck einher; unsere Welt hat sich verändert – und mit ihr auch unsere Bedürfnisse und Anforderungen. Um bei dem Beispiel zu bleiben: Wir erwarten eine Antwort auf eine Frage innerhalb kürzester Zeit, wenn wir einem Freund per Social Media schreiben, oder sogar innerhalb von Sekunden, wenn wir eine Suchmaschine nutzen.
Gerade wegen dieser umfassenden Auswirkungen brauchen die Akteure die Kompetenzen und die Haltung, um mit der Digitalisierung adäquat umgehen zu können. Wenn diese Aspekte zu kurz kommen, kann das dazu führen, dass Software zum Beispiel zwar in einer Orga-nisation eingeführt, dann aber falsch oder gar nicht genutzt wird. Die entsprechenden Anwendungskompetenzen und das Verstehen des „Warum“  – denn nur weil etwas neu und anders ist, muss es ja nicht besser sein – sind also die Basis, um die Digitalisierung wirksam in der Arbeit von Non-Profit-Organisationen umzusetzen. Wenn beides gefördert wird, eröffnen sich viele Chancen. Und ich habe absolutes Verständnis dafür, dass die Digitalisierung und die mit ihr verbundenen Veränderungen für viele Menschen Ungewissheiten oder auch Ängste bergen. Wir mögen es schlicht, wenn sich Abläufe fortwährend wiederholen, weil uns das Sicherheit und Stabilität gibt. Hierin liegt die Führungsaufgabe: die Beteiligten einzubinden, zu fördern und mit Fingerspitzengefühl zum gemeinsamen Ziel anzuleiten.

Inwiefern kann Digitalisierung das Ehrenamt stärken? Wie verändert es die Formen des Engagements?

Man unterscheidet hier zwischen dem neuen digitalen Ehrenamt – also neuen Formen, die erst durch die Digitalisierung möglich werden, wie das Verfassen und Redigieren von Artikeln auf Wikipedia – und der Digitalisierung des bestehenden Ehrenamts, in dem beispielsweise in der Akquise und Kommunikation mit den Engagierten vermehrt digitale Tools zum Einsatz kommen.
In jedem Fall sehen wir, dass die sogenannten Mikroengagements zunehmen. Die Menschen setzen sich also spezifisch, kurzfristig und ad hoc für Dinge ein, die sie interessieren und bewegen. Das kann einmalig, in einem bestimmten Zeitraum oder langfristig sein. Durch die Digitalisierung wird es eben erleichtert, sich mit peers – also mit Gleichgesinnten – in bottom-up-Aktionen – sprich selbstorganisiert – für die eigenen Themen einzusetzen. Wie das dann aussehen kann, hat sich im Juli 2017 nach den G20-Protesten in Hamburg gezeigt: In kurzer Zeit schlossen sich über 70.000 Menschen vor Ort mittels der neuen Medien zusammen, um selbstorganisiert die Stadt aufzuräumen. Dafür musste niemand erst einem Verein beitreten öder ähnliches.
Das bringt die Herausforderung für Organisationen mit sich, ebenfalls flexibel reagieren zu müssen und die Angebote zum Engagement an die veränderten Bedürfnisse anzupassen. Hier kann man auch kreativ werden: Stellen Sie sich zum Beispiel einen Verein vor, dem die Zeit oder das Wissen fehlt, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen, um etwa die eigene Webseite oder den Social-Media-Account zu pflegen. Hier könnte eine Studentin, die womöglich auch in einer anderen Stadt lebt, sich aber gerne für den Verein engagieren möchte, diese Aufgaben übernehmen. Ein Social-Media-Profil lässt sich aus der Ferne betreuen – Absprachen sind in Echtzeit möglich.

Erwarten Sie, dass das Engagement aufgrund der Kurzfristigkeit zunehmen wird?

Darin steckt auf jeden Fall eine Chance. Wenn Non-Profit-Organisationen auf diesen Bedarf der Menschen eingehen und ihnen Möglichkeiten eröffnen, aktiv zu werden, dann glaube ich, dass diese Angebote anschließend oft genutzt werden. Hierbei gibt es aber selbstredend Variationen: Je niedrigschwelliger die Appelle sind, desto häufiger werden sie erwidert, wie sich am Beispiel der Onlinepetitionen zeigt. Ähnlich sieht es bei Onlinespenden aus, die deutlich jüngere Zielgruppen erreichen als traditionelle Formate wie der Spendenbrief. Und das liegt eben daran, dass Barrieren geringer sind, um zu handeln, und die Spendenden dort adressiert werden, wo sie aufmerksam und erreichbar sind: im Netz. Dieser Umstand trägt letztlich dazu bei, dass das Gesamtspendenvolumen in Deutschland ansteigt.

Gewerkschaften hängen an schwer überschaubaren Gremienstrukturen, langen Sitzungen mit Redelisten und noch längeren Entscheidungsprozessen. Wie passt Digitalisierung in eine so schwerfällige, traditionelle Organisationskultur?

Nicht gut, denn das vielzitierte Schlagwort in diesem Zusammenhang ist Agilität. Wir haben darüber gesprochen: Die Welt befindet sich in einem immer schneller ablaufenden Wandel. Die Zyklen verkürzen sich und die Anpassungen müssen immer zügiger umgesetzt werden. Wenn sich dann die Entscheidungsprozesse schwerfällig gestalten, weil sie viele Abstimmungen oder Mehrheiten benötigen, dann kann das problematisch sein. Zwar gibt es im sozialen Sektor nicht den gleichen Marktdruck wie in der Wirtschaft, aber auch hier kann der Anschluss an Spender*innen und Ehrenamtliche verpasst werden.

Glauben Sie, dass sich gewerkschaftliche Führungsstrukturen anpassen werden?

Es gründen sich immer mehr Social Start-ups, die nur funktionieren, weil sie sehr digital arbeiten, dezentral organisiert sind und Hierarchien neu definieren: genossenschaftliche oder holokratische beziehungsweise flexible Machtgefüge. Bei großen und älteren Organisationen ist das nicht ohne Weiteres umsetzbar, weil die Rollen innerhalb der Organisation vor langer Zeit definiert wurden und selten angepasst werden. Die jungen und neuen Akteure sind da agiler. Die großen benötigen aufgrund ihrer komplexen Entscheidungsapparate länger, um sich an die gesellschaftlichen Bewegungen anzupassen. Dafür sind sie in vielen Fällen stabiler und professioneller, also unabhängiger von einzelnen Personen.

Online, digital, viral – damit verbinden viele Non-Profit-Organisationen eine Banalisierung ihrer Inhalte. Ist das eine berechtigte Sorge?

Das ist schwer pauschal zu sagen. Es bringt nichts, wenn ich meine Inhalte in der gewohnten Weise aufbereite und sie niemanden erreichen. Genauso wenig bewirkt es etwas, wenn ein Tweet veröffentlich wird, der die Tragweite der Botschaft nicht transportiert. Im besten Fall schafft man für jede Thematik mehrere Kontaktmöglichkeiten, die in Abhängigkeit vom Kanal die Tiefe steigern. Inzwischen gibt es in der Medienlandschaft einen starken Druck, das Informationsangebot so zu gestalten, dass es möglichst schnell und leicht zu konsumieren ist. Ein ewig langer Text mit noch komplexeren Sätzen ohne Veranschaulichungen verbietet sich da zum Beispiel. Das kann zu einer Banalisierung führen, muss es aber nicht. Zielgebend ist, dass die Leser*innen schrittweise immer mehr involviert werden. Mit der Tür ins Haus zu fallen, ist eben nicht zielführend. Wie bei teuren Kaufentscheidungen verhält es sich auch bei Spenden oder bei der Mitgliedergewinnung: Vertrauen kann man nicht erzwingen. Die Dinge brauchen ihre Zeit.

Gerade haben in der Tarifrunde im öffentlichen Dienst über 10.000 Menschen in NRW ge-streikt – ganz analog auf der Straße. Irgendwie muss auch in Zukunft der Sprung von der digitalen in die analoge Welt gelingen, oder?

Das ist eine der großen Fragen, die sich uns stellen: Wie lassen sich die digitale und analoge Welt miteinander verbinden? Mit dem Smartphone erleben wir diese Verknüpfung bereits: Wir verabreden uns online mit Freund*innen für eine Demo. Dort machen wir Fotos, die wir wieder online stellen und so den Protest auch über die Straße hinaus sichtbar werden lassen. Und dieses Zusammenspiel wird sich mit Technologien wie der augmented reality ausweiten. Spiele wie „Pokémon GO“ zeigen uns bereits, wie unsere reale Perspektive durch eine digitale Überlagerung auf dem Gerät erweitert werden kann und wie analoge und digitale Welt ineinandergreifen können. Man darf das Ganze aber auch nicht absolut verstehen: Warum sollte es nur noch das Digitale geben? Gerade im Ehrenamt geht es auch darum, Gemeinschaft zu erleben und schlicht miteinander zu sein. Das geht nach wie vor am besten analog und offline.


Die Fragen stellte Alexander Schneider.

Fotos: iStock.com / balwan, betterplace lab, iStock.com / Toltek

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