Gender Time Gap: Weniger ist nicht immer mehr
Gender Time Gap
Am 18. März 2017 war Equal Pay Day, der internationale Aktionstag für Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen. Doch wer meint, das Verhältnis zwischen den Geschlechtern sei nur in Gehaltsfragen in einer Schieflage, der irrt. Vollzeit und Teilzeit, Wochenstunden und Beteiligung am Arbeitsmarkt – auch zeitlich unterscheiden sich die Arbeitsverhältnisse von Frauen und Männern.
Unter den 38,2 Millionen Beschäftigten in Deutschland stieg die Quote von Frauen seit Anfang der 1990er Jahre um rund 5 Prozent an. Mehr als vier von zehn Arbeitnehmenden waren nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung im Jahr 2014 weiblich, rund 41 Prozent. Die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt wächst. Gut so! Denn je mehr Frauen in Betrieben und Verwaltungsstellen arbeiten, desto besser sind sie sichtbar – und desto unumgänglicher wird das Thema der Gleichstellung!
Aber: Frauen sind zwar häufiger berufstätig, doch sagt der Prozentsatz nichts darüber aus, wieviele Stunden sie in die Erwerbstätigkeit eingebunden sind. Es wird lediglich geklärt, dass sie Arbeitnehmerinnen sind, aber nicht, ob sie eine oder 55 Stunden pro Woche in die Abläufe integriert sind. In welchem Umfang arbeiten also Frauen (und Männer)?
Frauen arbeiten im Schnitt neun Stunden weniger als Männer
Obwohl sich die Erwerbsraten von Frauen und Männern angleichen, heißt das nicht, dass sie dieselbe Teilhabe am Arbeitsmarkt haben. Die Arbeitszeiten von Frauen und Männern unterscheiden sich stark – sie driften immer weiter auseinander und stagnieren seit rund 15 Jahren. Die Zahl der Frauen in einem Beschäftigungsverhältnis stieg seit Beginn der 1990er um rund ein Fünftel. 2011 waren laut Statistischem Bundesamt schon 71 Prozent aller Frauen im Alter von 20 bis 64 Jahren erwerbstätig, bei den Männern waren es 81 Prozent. Das Arbeitsvolumen – also die tatsächlich geleistete Arbeitszeit aller Erwerbstätigen – stieg im selben Zeitraum jedoch nur um vier Prozent. Für diese vier Prozent stehen also deutlich mehr Frauen in der Erwerbswelt zur Verfügung. Die einzige Schlussfolgerung: Sie arbeiten in geringen Wochenstunden. Im Schnitt verbringen Frauen über neun Stunden pro Woche weniger in ihrer Erwerbsarbeit als Männer – auch genannt: Gender Time Gap!
Unfreiwillig in Teilzeit?
Während rund die Hälfte aller beschäftigten Frauen in Teilzeit arbeitet, beträgt diese Quote bei Männern nur rund zehn Prozent. Die genauen Prozentzahlen divergieren bei unterschiedlichen Studien aufgrund der unterschiedlichen Auslegung, was „Teilzeit“ in Wochenstunden bedeutet. Wenn rund 70 Prozent aller Frauen im erwerbsfähigen Alter beschäftigt sind, gehen demnach 17,7 Millionen Frauen einer Berufstätigkeit nach. Hiervon arbeiten nur 54 Prozent in Vollzeit, 46 Prozent in Teilzeit, also etwa 8,2 Millionen Frauen. Ein großer Teil geht aus (vermeintlich) eigenem Wunsch dieser verringerten Wochenarbeitszeit nach. Doch 17 Prozent, also etwa 1,4 Millionen Frauen gelten als unterbeschäftigt: Sie würden gerne mehr arbeiten und stünden den Arbeitgebern und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.
Gefahr für die wirtschaftliche Unabhängigkeit
Der erste Impuls verleitet womöglich zu fragenden Blicken: Warum ist weniger arbeiten so schlecht? Hier ist wichtig, den Blick auf die gesamte Lebensdauer zu richten. Was ich heute erwirtschafte, also auf mein Konto einzahle, hat viele Auswirkungen. Wenn es um den Umfang ihrer Arbeitszeit geht, sollten sich berufstätige Frauen deshalb sechs zentrale Fragen stellen: Der Gender Time Gap beeinflusst ...
- die akute wirtschaftliche Unabhängigkeit: Kann ich mich momentan mit meinem Einkommen finanzieren?
- die langfristige wirtschaftliche Unabhängigkeit: Kann ich mich auch über schlechtere Zeiten retten und zum Beispiel sparen oder anderweitig vorsorgen?
- die Existenzsicherung als Mutter: Kann ich gegebenenfalls mit meinem Einkommen auch ein Kind oder gar mehrere Kinder mitversorgen?
- die Absicherung im Fall der Arbeitslosigkeit: Wenn ich jetzt weniger verdiene, bekomme ich auch geringere Lohnersatzleistungen. Reicht mir das im Fall der Fälle?
- die Absicherung im Alter: Wenn ich jetzt und womöglich über Jahre hinweg in Teilzeit arbeite und weniger verdiene, sieht es bei der Rente nicht gerade rosig aus. Reicht mir das? Gehe ich das Risiko ein, im Alter in Armut zu leben?
- die Karriere: Traurig, aber wahr. In Teilzeit ist das Risiko groß, bei der nächsten Beförderung übergangen zu werden. Ist es mir die geringere Stundenzahl wert? Auch hier gilt: Die Gewerkschaften setzen sich vehement dafür ein, die Benachteiligung in Teilzeit ein für allemal abzuschaffen. Bis dies vollständig gelingt ist es wichtig, sich als Frau und als Teilzeitbeschäftigte*r der Risiken bewusst zu sein und sie gegebenenfalls anzusprechen und/oder gemeinsam mit der Gewerkschaft anzugehen!
Viele Frauen arbeiten unbezahlt
Einfach Vollzeit arbeiten! Wenn die Lösung so einfach wäre, würde der Gender Time Gap vermutlich auf einen Schlag schrumpfen. Woran liegt es also, dass Frauen mehr als neun Stunden in der Woche weniger erwerbstätig sind als Männer? Eine Antwort liegt schon in der Formulierung der Frage: Erwerbstätigkeit entspricht nicht der tatsächlichen Arbeitszeit vieler Frauen. Denn unbezahlte Arbeit ist hier nicht inbegriffen und leider arbeiten immer noch viele Frauen unentgeltlich: Dem Gutachten für den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zufolge leisten Frauen täglich 52,4 Prozent mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Dazu gehört die aufgebrachte Zeit für Kinder, Haushalt, Pflege und Ehrenamt. Die Gutachter*innen sprechen hier von unbezahlter Sorgearbeit und entsprechend von der Gender Care Gap – der Sorgearbeitslücke.
In Hinblick auf die Arbeitszeit zeichnet sich also eine klare Tendenz ab: Männer sind vorrangig teilzeitbeschäftigt, weil sie keine Vollzeitstelle finden können oder sich noch in Formen der Aus- und Weiterbildung befinden. Beides Aspekte, die sich meist zeitlich stark begrenzen und sogar Aussicht auf Aufstieg bieten. Frauen hingegen verkürzen ihre Arbeitszeit zum größten Teil familienbedingt. Sorge- und Pflegearbeit werden demnach immer noch vorrangig den Frauen zugeschrieben und somit veraltete Rollenbilder zementiert. Das ElterngeldPlus und eine verbesserte Betreuungs- und Pflegestruktur bieten hier Chancen auf mehr Gleichstellung.
Hanna Wolf
Leiterin des DGB-Projekts „Was verdient die Frau?“
Foto: Andre_Schütt / photocase.de
DGB-Projekt „Was verdient die Frau?“
Wirtschaftliche Unabhängigkeit fördern
Auf die Frage, was ihnen im Leben wichtig ist, antworten 96 Prozent aller jungen Frauen: „Ich möchte finanziell auf eigenen Beinen stehen!“ Sie wollen unabhängig sein vom Einkommen der*s Partner*in, der Familie oder staatlichen Transferleistungen. Doch die Realität sieht oft anders aus.
Die Studien von Irene Pimminger zur existenzsichernden Beschäftigung von 2012 und 2015 zeigen: Ein Drittel aller Frauen kann mit ihrem monatlichen Einkommen nicht einmal ihren unmittelbaren Bedarf decken. Fast die Hälfte aller weiblichen Beschäftigten kann sich und ein Kind nicht kurzfristig finanziell absichern. Und zwei Drittel aller Frauen mit Kind schaffen es nicht mit ihrem Gehalt für die Zukunft vorzusorgen, also für Zeiten wie Rente oder Erwerbslosigkeit.
Wunsch und Realität liegen auch 2017 noch meilenweit auseinander. Das vom DGB initiierte und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanzierte Projekt „Was verdient die Frau? Wirtschaftliche Unabhängigkeit!“ will das ändern. In seiner zweiten Förderphase von 2016 bis 2018 setzt sich das Projekt für eine geschlechtergerechte Entgeltpraxis, partnerschaftliche Vereinbarkeitslösungen und die Stärkung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Frauen ein. Ziel ist es Gewerkschafter*innen, politischen Entscheidungsträger*innen, Interessenvertretungen in Betrieben und Verwaltungen sowie junge Frauen für die eigenständige Existenzsicherung über den gesamten Lebensverlauf hinweg zu sensibilisieren.
Um gerade jungen Frauen das Thema wirtschaftliche Unabhängigkeit näher zu bringen, hat das Projekt zum Beispiel das Onlinequiz „Die Generalprobe“ entwickelt. Das Quiz klärt über potenzielle Risiken und Stolpersteine im Erwerbsleben auf und stellt Informationen zum Beispiel zu Steuerklassen, zum ElterngeldPlus und einem gelungenen Wiedereinstieg bereit. In Absprache mit Interessenvertreter*innen besucht das Projektteam auch Betriebe oder Dienststelle und hält Impulsvorträge oder -workshops rund um die Frage, wie gute Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Unabhängigkeit geschaffen werden können.
Hanna Wolf
Equal Pay Day
Gleiche Arbeit – gleiches Geld!
Noch immer klafft eine Einkommenslücke zwischen den Geschlechtern: der Gender Pay Gap. Das liegt nicht allein daran, dass in Deutschland Familie und Beruf verglichen mit anderen europäischen Ländern nur schwer zu vereinbaren sind. Grundsätzlich sind Berufe, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden, schlechter bezahlt– zum Beispiel in der Grundschule.
Im Februar 2017 ist eine OECD-Studie zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschienen, die zeigt, dass in Deutschland 70 Prozent der Mütter erwerbstätig sind – das entspricht dem OECD-Durchschnitt. Gar nicht so schlecht?
Frauen sind selten die Versorgerinnen
In Schweden und Dänemark arbeiten etwa 82 Prozent der Mütter. In Deutschland beträgt die Teilzeitquote unter berufstätigen Frauen mit Kind 39 Prozent mit einer relativ kurzen durchschnittlichen Arbeitszeit von 20 Wochenstunden. Nur in den Niederlanden und Österreich arbeiten noch mehr Mütter in Teilzeit. Dabei würden viele von ihnen gerne mehr arbeiten, immer noch eingeschränkte Möglichkeiten zur Vereinbarung von Familie und Beruf verhindern dies jedoch häufig. Gleichzeitig übernehmen Frauen zu zwei Drittel die Hausarbeit sowie die Betreuung von Kindern und anderen Familienangehörigen. Und so bleibt Deutschland europaweit Schlusslicht, wenn es um den Anteil von Frauen am Familieneinkommen geht: Er beträgt 22,4 Prozent, in Dänemark hingegen sind es 42 Prozent.
Frauenberufe sind schlecht bezahlt
Entwicklungen wie diese sind der Grund dafür, dass der Unterschied in der Bezahlung von Frauen und Männern nach wie vor groß ist. Der Equal Pay Day war 2017 am 18. März. Das heißt: Frauen arbeiten in Deutschland im Vergleich zu Männern immer noch an 77 Tagen des Jahres umsonst. Neben der hohen Teilzeitquote ist die immer noch deutlich schlechtere Bezahlung von Berufen, die überwiegend von Frauen gewählt werden, ein Hauptgrund für den enorm großen Unterschied.
Für den Schulbereich wiesen Prof. Dr. Eva Kocher, Dr. Stefanie Porsche und Dr. Johanna Wenckebach von der Europa-Universität Viadrina in einem Gutachten für die GEW nach, dass die schlechtere Eingruppierung von Grundschullehrkräften eine mittelbare Geschlechterdiskriminierung bedeutet. Schließlich liegt der Frauenanteil an den Grundschulen mit über 90 Prozent signifikant höher als an den Schulformen, deren Eingangsamt A 13z ist. Der DGB fordert einen Rechtsanspruch auf befristete Teilzeit und damit verbunden das Rückkehrrecht aus Teilzeit zur ursprünglichen Arbeitszeit sowie ein wirksames Entgeltgleichheitsgesetz. Für die GEW ist das gleiche Einstiegsamt A 13 Z für alle Lehrer*innnen – egal an welcher Schulform sie arbeiten – ein wichtiger Schritt zum Equal Pay.
Maike Finnern
stellvertretende Vorsitzende der GEW NRW
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