Bildungsfinanzierung: Alles ist relativ
Gute Arbeit und Bildungsausgaben
Alle Parteien bekennen sich im Landtagswahlkampf zur Priorität für Bildung. Sie verweisen damit zum einen auf die zentrale landespolitische Bedeutung der Bildungspolitik. Daneben wird stets betont, Bildungsausgaben seien deutlich gestiegen, tausende von Stellen gesichert oder neu geschaffen worden. Die derzeitige Landesregierung etwa spricht von einer Steigerung des Schuletats um 25 Prozent und der Schaffung von 7.000 neuen Lehrer*innenstellen. Und dann wurde 2016 auch noch ein Haushaltsüberschuss erwirtschaftet. Was ist davon zu halten und wer hat die Zeche bezahlt?
Zunächst die schlichten Zahlen der Bildungsausgaben im Vergleich der Landeshaushalte 2010, also dem Beginn der Regierungszeit von SPD und Grünen in NRW, und 2016: Fasst man die Haushalte der drei für Bildung zuständigen Ministerien zusammen, ergibt sich für diesen Zeitraum eine auf den ersten Blick sehr beachtliche Steigerungsrate von 33,54 Prozent.
Zur besseren Einschätzung ist jedoch entscheidend, wie sich der Gesamthaushalt des Landes innerhalb derselben Zeitspanne entwickelt hat. Während der Haushaltsplan des Landes 2010 Ausgaben von 53.111.416.800,- Euro vorsah, waren es 2016 im zweiten Nachtragshaushalt 69.950.081.600,- Euro. Damit betrug die Steigerung 16.838.664.800,- Euro oder 31,7 Prozent. Nimmt man diese Zahlen zur Grundlage, so weist die Landesregierung selbst aus, dass die Bildungsausgaben in der Regierungszeit von SPD und Grünen mit 1,84 Prozentpunkten nur geringfügig stärker gestiegen sind als das Gesamtbudget. Priorität für Bildung?
Personalausgaben prozentual konstant
Für die gesamte Landesverwaltung gilt, dass die Personalausgabenquote seit Jahren konstant ist. So hat der DGB NRW in seiner Stellungnahme zum Landeshaushalt 2015 darauf verwiesen, dass der Anteil der Personalkosten am Gesamtetat 2015 mit 37,9 Prozent exakt auf dem Niveau des Jahres 2008 lag. Daran soll sich nach den Vorstellungen der Landesregierung in den nächs-ten Jahren grundsätzlich auch nichts ändern. In der Finanzplanung bis zum Jahr 2019 geht sie von folgenden Prozentsätzen aus: 37,9 Prozent in 2016, 38,2 Prozent in 2017, 38,4 Prozent in 2018 und 38,7 Prozent in 2019. Personalkosten als Haushaltsrisiko mit Sprengkraft?
Zusätzliche Bedarfe von der Kita bis zur Hochschule
Nimmt man den Schulbereich als Beispiel, dann wird rasch deutlich: Ausgabensteigerungen waren erforderlich und Stellenstreichungen wurden vermieden, weil zusätzliche Bedarfe anerkannt und – nicht selten zu gering – finanziert wurden. Die Liste der Maßnahmen ist lang: Inklusion, Schulkonsens mit der Absenkung von Klassenfrequenzrichtwerten und dem Ausbau integrierter Schulen mit entsprechendem Personalbedarf, Erhöhung der Leitungszeit, islamischer Religionsunterricht, Unterstützung des Ausbildungskonsenses und Investitionen in den Ganztag. In der Liste der Bedarfe, die an-erkannt und finanziert wurden, fehlen: Senkung von Arbeitszeit und Arbeitsbelastung durch Senkung der Pflichtstunden und deutlich mehr Anrechnungsstunden, eine verfassungskonforme Besoldung sowie deutlich kleinere Lerngruppen.
Der nominale Zuwachs im Etat des Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung in den letzten Jahren ist mit 41,67 % beachtlich, muss aber vor dem Hintergrund deutlich gestiegener Studierendenzahlen – seit 2010 hat sich die Zahl der Studierenden an nordrhein-westfälischen Hochschulen um mehr als 40 Prozent erhöht – als dringend geboten und letztlich sogar als unzureichend angesehen werden. Der reale Aufwuchs der Finanzmittel tendierte über Jahre, von 2004 bis 2013, gegen null. Diese Versäumnisse der Vergangenheit wiegen angesichts der aktuellen Lage schwer. Nach wie vor studieren mit Abstand am meisten junge Menschen in NRW, aber bei einem bundesweiten Vergleich der Betreuungsrelationen – wichtiger Indikator für die Studienqualität – liegt das Land auf dem letzten Platz.
Dem quantitativen Ausbau der frühkindlichen Bildung entsprechend wurden die Ausgaben deutlich erhöht. Vorgaben zur Gruppengröße und zum Personalschlüssel gefährden jedoch die Qualität der frühkindlichen Bildung in NRW und verhindern gute Arbeitsbedingungen in den Einrichtungen.
Ist die Quadratur des Kreises gelungen?
Noch einmal im Überblick: Der Anteil der Bildungsausgaben ist bei konstanter Personalausgabenquote nicht überproportional gestiegen. Zusätzliche Bedarfe wurden in Teilen anerkannt und finanziert. Nach Jahren teils erheblicher Neuverschuldung wurde wieder ein Überschuss erzielt und künftig soll Neuverschuldung vermieden werden. Wie passt das zusammen? Ganz einfach: Die Beschäftigten haben die Zeche gezahlt.
Sparpolitik zulasten der Beschäftigten im Bildungsbereich gibt es seit Langem. Fatal hat sich zuletzt ausgewirkt, dass die Verschuldung der Bundesländer den Druck massiv erhöht hat und die Länder in den letzten Jahren zusätzliche Handlungsmöglichkeiten erhalten haben.
Bis zum Inkrafttreten der Föderalismusreform I im Jahre 2006 war die Bezahlung der Beamt*innen, Richter*innen und Versorgungsempfänger*innen weitgehend bundeseinheitlich geregelt. Lediglich in Teilbereichen bei der Arbeitszeit, bei der Beihilfe oder bei wenigen besoldungsrechtlichen Bestimmungen wie dem Weihnachts- oder Urlaubsgeld sowie der Ministerialzulage konnten die Länder zuvor eigenständige Regelungen treffen. Bedeutende Änderungen bei der Bezahlung der Beschäftigten sind daher in den Jahren bis 2006 beim Bund und bei den Ländern weitgehend einheitlich erfolgt. Dann hielt der Wettbewerbsföderalismus Einzug.
Die neuen Möglichkeiten hat das Land NRW ausgiebig genutzt. Die Landesregierung selbst macht folgende Rechnung auf: „Die Berechnung der finanziellen Auswirkungen von Rechtsänderungen für den Bereich der Beamtenbesoldung und -versorgung ist schwierig, da es eine Vielzahl von Änderungen gibt, die sich unterschiedlich auswirken können. Die finanziellen Auswirkungen von Rechtsänderungen in diesen Bereichen seit dem Jahr 2000 addieren sich für das Jahr 2012 auf insgesamt circa 2,4 Milliarden Euro per annum. Davon entfallen unter anderem auf die Minderung der Sonderzahlung circa 1 Milliarde Euro, Wegfall des Urlaubsgelds circa 63 Millionen Euro, Änderungen bei der Beihilfe circa 125 Millionen Euro, Verlängerung der Arbeitszeit für Beamtinnen und Beamte circa 325 Millionen Euro, Minderung der Anwärterbezüge circa 50 Millionen Euro sowie auf Rechtsänderungen im Versorgungsbereich rund 500 Millionen Euro.“
Diese Rechtsänderungen bei der Beamt*innenbesoldung und -versorgung seien jedoch – darauf weist die Landesregierung hin – keine Schlechterstellung der Beamt*innen gegenüber den Tarifbeschäftigten. „Vielfach entsprechen die Rechtsänderungen denen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beziehungsweise zeichnen Änderungen im Tarifbereich nach.“ Gekürzt wird unabhängig vom Status.
Wird sich diese Politik fortsetzen? Es ist zu befürchten, dass die Schuldenbremse zur Legitimation genutzt werden soll, um die dringend erforderliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung zu verweigern.Aufgrund des Investitionsstaus im Bildungsbereich, des Personalbedarfs und der ungerechten Bezahlung der Lehrkräfte können substanzielle Verbesserungen nur durch eine Stärkung der Einnahmenseite erreicht werden. Dazu ist ein grundsätzlicher Wandel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik notwendig, der eine Stärkung der Einnahmeseite bewirkt. Die GEW hat dazu ein entsprechendes Finanzkonzept vorgelegt, in dem die Eckpfeiler der notwendigen fiskalischen Maßnahmen festgestellt werden.
Michael Schulte
Geschäftsführer der GEW NRW
Illustration: PureSolution / shutterstock.com, Foto: Z2sam / photocase.de
GEW-Studie:
Bildungsfinanzierung. Weiter denken:
Wachstum, Inklusion und Demokratie.
Bessere Bildung braucht mehr Investitionen. Mit Blick auf die Bundestagswahl hat die Bildungsgewerkschaft eine Studie veröffentlicht, in der Tobias Kaphegyi nachzeichnet, wie Wirtschafts- und Steuerpolitik, Bildungsfinanzierung und gesellschaftliche Entwicklung zusammenhängen.
Die neoliberale Politik der vergangenen Jahrzehnte hat zu einem massiven Abbau des Sozialstaats geführt. Von selbst reguliert hat sich seitdem kaum etwas wie von den neoliberalen Vordenker*innen erhofft: Jedes siebte Kind lebt in einem Haushalt, der auf Hartz IV angewiesen ist, prekäre Beschäftigung steht hoch im Kurs und die Ausgaben für Bildung wurden so stark gekürzt, dass aktuelle Herausforderungen wie Inklusion, Digitalisierung oder bauliche Sanierungen nicht zu stemmen sind. Von guten Arbeitsbedingungen oder fairer Bezahlung der Beschäftigten ganz zu schweigen.Politikwissenschaftler Tobias Kaphegyi stellt dieser Entwicklung ein demokratisches Konzept entgegen, das Menschenrechte als Anspruchs- und Teilhaberechte versteht. Der Staat muss demnach die gesellschaftlichen und sozialen Voraussetzungen schaffen, die allen eine freie Entfaltung ermöglichen – das Recht auf gebührenfreie Bildung gehört dazu. Die Studie plädiert deshalb für die Rückkehr zum Sozialstaat und drastische Erhöhung der staatlichen Ausgaben, vor allem im Bildungsbereich. Woher das zusätzliche Geld kommen kann, hat die GEW bereits 2016 in ihrem Steuerkonzept gezeigt: Während Durchschnittsverdiener*innen entlastet werden, werden Topverdiener*innen, Unternehmer*innen und Vermögende stärker in die Verantwortung genommen.
Anja Heifel
nds-Redaktion
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