Unterrichtsausfall: Schulen nicht unter Druck setzen!
Digitale und schulscharfe Erfassung ist nicht sinnvoll
Seit Beginn des Schuljahres 2018 / 2019 erfasst das NRW-Schulministerium den ausgefallenen Unterricht schulscharf und digital. Die Ergebnisse sollen öffentlich präsentiert werden. Die GEW NRW hält es für falsch, Schulen womöglich medienwirksam an den Pranger zu stellen und unter Druck zu setzen. Vielmehr braucht es eine echte Vertretungsreserve, um den Ausfall zu kompensieren.
Wer an guter schulischer Arbeit interessiert ist, muss Unterrichtsausfall möglichst vermeiden. Das gilt für die Beschäftigten in den Schulen genauso wie für die Schulpolitik. Wer verhindern will, dass Unterricht ausfällt, braucht Steuerungswissen. Die digitale und schulscharfe Erhebung ist ebenso wenig sinnvoll wie die schulscharfe Veröffentlichung der gesammelten Daten. Die Politik hat wieder einmal kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsdefizit.
Anfang Februar hat das zweite Schulhalbjahr begonnen. Ein passender Zeitpunkt, sich mit der digitalen und schulscharfen Erfassung des Unterrichtsausfalls zu befassen, die in NRW seit Beginn dieses Schuljahres praktiziert wird. Erste Daten sollen schon bald vorliegen und in der Folge regelmäßig auf der Internetseite des Ministeriums für Schule und Bildung (MSB) NRW digital und schulscharf veröffentlicht werden. Zudem sollen den einzelnen Schulen ihre Daten aufbereitet zur Verfügung gestellt werden.
GEW NRW lehnt eine Erhebung ab
Die Bildungsgewerkschaft fordert, dass der wöchentliche Unterrichtsausfall nicht länger erfasst wird. Derartige Erhebungen dürfen erst dann durchgeführt werden, wenn alle datenschutz-, personal- und beteiligungsrechtlichen Anforderungen zufriedenstellend geklärt sind und die Landesregierung in der Zusammenarbeit mit den Bezirksregierungen konkrete, schulunterstützende, personelle Maßnahmen ausweist und finanziert. Vergleichende und leicht zugängliche schul- oder regionsbezogene Veröffentlichungen der Ergebnisse sind aus Sicht der GEW NRW inakzeptabel.
Mit der Ankündigung des Schulministeriums, die Daten der breiten Öffentlichkeit bereitzustellen, verdichtet sich der Verdacht, dass hier ausschließlich Druck auf die Schulen – insbesondere auf die Schulleitungen und Kollegien – ausgeübt werden soll. Es ist der Versuch, stark belastende Lösungen zu etablieren, die ohne zusätzliche Ressourcen von außen umgesetzt werden können. Die Kollegien sind aber ohne eine kompensierende, tatsächlich vorhandene und vom Land finanzierte Vertretungsreserve nicht mehr in der Lage, die Defizite des mangelhaft ausgestatteten Systems auszugleichen.
Zwar ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Messung des Unterrichtsausfalls einen detaillierteren Aufschluss über die konkrete Situation in den einzelnen Schulen gibt, aber sie erfasst in keiner Weise die sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen, mit denen sich die einzelnen Schulen vor Ort oder in den Regionen konfrontiert sehen. Es ist kein Geheimnis, dass es Schulen mit einer 107-prozentigen Personalausstattung gibt und andere Schulen kaum noch 50 Prozent ihres benötigten Personals mit grundständig ausgebildeten Lehrer*innen besetzen können. Allein darin zeigt sich die ganze Ungerechtigkeit und Unzumutbarkeit der Datenerhebung.
Bisherige Erfassung des ausgefallenen Unterrichts
Seit dem Jahr 2001 wird der „Ad-hoc-Unterrichtsausfall“ an Grund-, Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien und Gesamtschulen in NRW stichprobenartig erhoben. Der Begriff meint die Abweichung des erteilten Unterrichts von dem im Stundenplan vorgesehenen Unterricht. Der Erhebungsturnus war anfangs zweijährlich, in den Schuljahren 2005 / 2006 bis 2009 / 2010 sogar jährlich.
Zuletzt fanden die Erhebungen in den Schuljahren 2014 / 2015 und 2015 / 2016 statt. Mit der Erfassung im Schuljahr 2014 / 2015 wurde der Kreis der teilnehmenden allgemeinbildenden Schulen erweitert um PRIMUS-Schulen, Sekundar- und Gemeinschaftsschulen sowie Förderschulen mit den Schwerpunkten Lernen und Emotionale und Soziale Entwicklung. Im Schuljahr 2017 / 2018 ist die Erhebung des Ad-hoc-Unterrichtsausfalls auf das Rollierende Verfahren umgestellt worden. Das bedeutet, alle rund 4.600 öffentlichen Schulen der genannten Schulformen nehmen daran teil. Allerdings ist immer nur eine begrenzte Anzahl von Schulen zeitgleich an der Reihe. Der Erhebungszeitraum ist ganzjährig.
Mit der Einführung des Rollierenden Verfahrens ist das NRW-Schulministerium vor dem Regierungswechsel 2017 einer Empfehlung der Bildungskonferenz gefolgt. Eine Arbeitsgruppe hatte das Thema zunächst breit diskutiert und riet dazu, zukünftige Erfassungen der Unterrichtserteilung und des -ausfalls an Schulen in NRW nach dieser Methode durchzuführen. Für einen zweiwöchigen Berichtszeitraum ergäben sich auf diese Weise circa 20 Berichtszeiträume pro Jahr, sodass jeweils etwa 250 Schulen zeitgleich teilnähmen. Darüber hinaus empfahl die AG zu prüfen, ob es möglich sei, eine verbindliche einheitliche Schulverwaltungssoftware für die Schulen in NRW einzuführen. Dieser Expert*innenrat ist der aktuellen Landesregierung offenbar egal.
Struktureller Unterrichtsausfall nicht erfasst, Vertretungsreserve nötig
Wer Unterrichtsausfall tatsächlich vermeiden will, muss investieren. Bei dem Methodenstreit um die Erfassung der ausgefallenen Unterrichtsstunden geht es allein um den Ad-hoc-Unterrichtsausfall. Unberücksichtigt bleibt der strukturelle Unterrichtsausfall, also die Abweichung des Unterrichtsvolumens der Stundenpläne von den Vorgaben in der Stundentafel. In beiden Fällen ist mehr Personal unbedingt notwendig, um die Situation zu verbessern.
Der Haushaltsentwurf 2019 weist insgesamt 4.000 Stellen gegen Unterrichtsausfall, für Vertretungsaufgaben und für besondere Förderaufgaben aus. Die Stellen werden also nicht allein gegen den Unterrichtsausfall eingesetzt, sondern werden auch für andere Zwecke gebraucht. Die Schulen wissen, wie sie mit den Variablen der Stundenplangestaltung umgehen müssen. Wegen des Personalmangels sind sie aber häufig gezwungen, strukturellen Unterrichtsausfall hinzunehmen. Die Politik muss hier endlich mehr tun! Sie muss so umsteuern, dass es endlich eine greifende Vertretungsreserve gibt, deren Volumen ausreicht, deren Zweckbindung eindeutig ist und die an den Schulen wirklich ankommt.
Praktische Maßnahmen gegen Unterrichtsausfall
Das MSB NRW hat im Schuljahr 2017 / 2018 einen Unterrichtsausfall von 5,1 Prozent festgestellt und angekündigt, in Zukunft genauer hinzusehen und höhere Ansprüche zu stellen. So begründete NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer medienwirksam das neue Verfahren.
Umso erstaunlicher ist, dass die Landesregierung offenbar nicht wissen will, mit welchen Mitteln Schulen in der Praxis Unterrichtsausfall vermeiden. Fragt man nach dem Umfang der Mehrarbeit von Lehrer*innen, verweisen Politik und Verwaltung auf das Landesamt für Besoldung und Versorgung. Beziffert wird der Umfang der bezahlten Mehrarbeit. Die tägliche unbezahlte Mehrarbeit der Lehrer*innen bleibt außen vor.
Schulen helfen sich mit Mehrarbeit
Die GEW NRW hat daher in der Bildungskonferenz zu Protokoll gegeben, dass sie es für erforderlich hält, dass das Schulministerium künftig jährlich durch eine Stichprobe erhebt, mit welchen personellen Maßnahmen ausfallener Unterricht vermieden oder insgesamt verringert wird. Möglichkeiten sind zum Beispiel Mehrarbeit der Lehrer*innen, die sogenannte Flexibilisierung gemäß Paragraf 2 Absatz 4 der Verordnung zu Paragraf 93 Absatz 2 Schulgesetz oder die vorübergehende Aufstockung der Pflichtstundenzahl teilzeitbeschäftigter Lehrkräfte. Ein Vorschlag, der bis heute von der Politik abgelehnt wird. Ganz genau will man es offenbar doch nicht wissen.
Michael Schulte
Geschäftsführer der GEW NRW
Fotos: iStock.com / amlanmathur, rclassen / photocase.de
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