U3-Betreuung: Notstand bei den Allerkleinsten
Bedarf und Versorgung klaffen auseinander
In Berlin müssen die Eltern von 113 Kindern binnen vier Wochen neue Kitaplätze suchen. Die private Kita, die ihre Kinder besuchen, wird wegen akuten Fachkräftemangels drastisch verkleinert. Solche Schlagzeilen sind in NRW bislang ausgeblieben, aber auch hier ist die Situation in den Kindertagesstätten angespannt und unbefriedigend. Vor allem die U3-Betreuung wird für viele Eltern zum Problem.
42 Prozent der unter dreijährigen Kinder in NRW brauchen im laufenden Kindergartenjahr einen Betreuungsplatz, so das nordrhein-westfälische Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration. Dem gegenüber steht eine Versorgungsquote von nur 38,1 Prozent. Das statistische Landesamt wies im Februar 2018 sogar nur eine Quote von knapp über 27 Prozent aus. Während sich das Ministerium auf die Anmeldezahlen beruft und beispielsweise Mehrfachanmeldungen mehrfach zählt, meldet das Landesstatistikamt die zum 1. März real versorgten U3-Kinder. Die tatsächliche Lücke zwischen Bedarf und Versorgung ist also deutlich größer als vom Ministerium vermeldet.
Chancengleichheit muss in der U3-Betreuung anfangen!
Für viele Eltern ist es sehr schwierig, einen Platz in der Kita zu bekommen. So gibt es Fälle, in denen auf sieben freie Plätze 100 schriftliche Bewerbungen eingehen und dann in persönlichen Auswahlgesprächen die Plätze vergeben werden. Immer wieder müssen Eltern – in der Regel die Mütter – den Wiedereinstieg in den Beruf verschieben, weil sie keinen Betreuungsplatz für ihr Kind gefunden haben. Machen Eltern den Rechtsanspruch auf einen Platz für ihr Kind geltend, müssen sie nehmen, was ihnen angeboten wird – auch wenn der Weg weit ist oder die Gruppe mit jedem Kind immer größer wird.
Hinzu kommt: Nicht nur die Versorgungsquote, sondern auch die Kitabeiträge sind von Kommune zu Kommune spürbar unterschiedlich. Für die Betreuung eines Kindes unter zwei Jahren werden in NRW in der jeweils höchsten Einkommensstufe im Schnitt monatlich 548,- Euro für einen 45-Stunden-Platz fällig. In Hamm sind es 313,- Euro im Monat, in Bochum 700,- und in Mülheim an der Ruhr 896,-. Düren und Düsseldorf hingegen verzichten komplett auf Gebühren. Auch die Einkommensgrenze, ab der Eltern für die Betreuung ihres Kindes in der Kita bezahlen müssen, variiert: Während einige Kommunen bereits mit einem jährlichen Einkommen von 12.500,- Euro – also nur knapp über 1.000,- Euro im Monat – einen Beitrag verlangen, beteiligen andere die Eltern erst ab einem Jahreseinkommen von 37.000,- Euro an den Kosten. Vergleichbare Bildungschancen kann es nur geben, wenn Kitas beitragsfrei werden. Gleichzeitig sind Investitionen in die Qualität von Kitas und in bessere Arbeitsbedingungen dringend erforderlich. Daher kann eine einheitliche Beitragstabelle ein Schritt in Richtung Beitragsfreiheit sein.
In der Kindertagespflege fehlen Standards
Wenn beide Elternteile wieder arbeiten möchten, aber keinen Kitaplatz für ihre Kinder finden, bleibt ihnen häufig als einzige Option ein Platz in der Kindertagespflege. Dort sind die Gruppen in der Regel kleiner und die Zeiten, in denen die Kinder betreut werden können, manchmal flexibler. Allerdings kann die Verlässlichkeit für berufstätige Eltern ein großes Problem werden, nämlich wenn die Tagespflegepersonen krank werden oder Urlaub haben. Diese Zeiten müssen zum Teil ad hoc anders abgedeckt werden.
Wer in der Tagespflege arbeitet, ist freiberuflich tätig und in der Regel selbstständig. Über die Rahmenbedingungen wie die Bezahlung oder die Anrechnung von Verfügungsstunden für die Vor- und Nachbereitung der Betreuung entscheiden die Kommunen – und das meist sehr unterschiedlich. Auch die Regelungen bei Erkrankung oder Urlaub des Tageskindes oder der Tagespflegeperson variieren regional sehr stark: In beiden Fällen gibt es keine Sicherheit, dass das Honorar für die Beschäftigten weitergezahlt wird. Tagespflegepersonen können sich dem Landesverband Kindertagespflege NRW an-schließen, aber eine gewerkschaftliche Interessenvertretung in Betriebs- oder Personalräten fehlt.
Um eine Tagespflege eröffnen zu können, ist keine pädagogische Ausbildung, beispielsweise zur Erzieher*in, notwendig. Voraussetzungen sind der Hauptschulabschluss, gute Deutschkenntnisse und eine Grundlagenqualifizierung mit rund 160 Unterrichtsstunden.
Mehr Plätze, besserer Betreuungsschlüssel und eine Fachkräfteoffensive
Nichtsdestotrotz: Die Kindertagespflege ist derzeit häufig die einzige Möglichkeit für die U3-Betreuung und schließt eine klaffende Lücke, weil die Anzahl der Kitaplätze bei weitem nicht ausreicht. In den Kitas in NRW werden im laufenden Kitajahr 134.173 unter Dreijährige betreut, bei den Tagesmüttern und -vätern sind es noch einmal 57.148. Bei den älteren Kindern wird die Tagespflege nahezu unbedeutend: Lediglich 4.246 über dreijährige Kinder werden in NRW von Tagespflegepersonen betreut, während 489.851 Ü3-Kinder die Kita besuchen. Bundesweit fehlten im vergangenen Jahr 300.000 U3-Plätze, wobei NRW am schlechtesten wegkam. Ein Ausbau der Kitaplätze ist deshalb dringend nötig.
Die GEW NRW fordert einen Betreuungsschlüssel von drei Kindern je Fachkraft im U3-Bereich und von 7,5 Kindern je Fachkraft bei den über Dreijährigen. Legt man diesen Schlüssel zugrunde, fehlten im Jahr 2018 mehr als 15.000 Erzieher*innen. Würde die GEW-Forderung nach zusätzlicher Personalressource für Leitungstätigkeiten im Umfang von 20 Sockelstunden und weiteren 3,5 Wochenstunden pro Kitamitarbeiter*in umgesetzt und würde eine Verfügungszeit von 25 Prozent berücksichtigt, läge die Zahl der fehlenden Fachkräfte noch einmal deutlich höher.
Doch um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, muss viel passieren: Die hohe Abbruchquote während der Ausbildung und in den ersten Berufsjahren spricht Bände. Die Ausbildungskapazitäten müssen deutlich ausgeweitet werden und NRW braucht einen weiteren Studienort für Lehrkräfte an Fachschulen, an denen Erzieher*innen ausgebildet werden – bislang gibt es landesweit nur einen. Zudem muss die Ausbildung endlich vergütet werden! Die Ausweitung der Praxisintegrierten Ausbildung (PiA) ist nur ein erster Schritt. Auch die Arbeitsbedingungen müssen deutlich verbessert werden, um Nachwuchs zu gewinnen und diejenigen zu halten, die den Beruf vorzeitig wieder verlassen. Das hieße, in die Qualität der Arbeit zu investieren. Für die GEW NRW ist das eine vordringliche Forderung.
Maike Finnern
stellvertretende Vorsitzende der GEW NRW
Fotos: David-W- / photocase.de
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