Medienkompetenz als Schlüssel für digitale Bildung
Medienpädagogik in Schule und Unterricht
Die Diskussion um digitale Medien im Schulunterricht erlebt aktuell eine hohe Dynamik. Spätestens
seit Bildungsministerin Prof. Dr. Johanna Wanka im Oktober 2016 bekannt gab, im Rahmen einer „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft“ Schulen bei der Digitalisierung mit dem DigitalPakt#D – also mit fünf Milliarden Euro – zu unterstützen, erfährt das Thema zunehmend Brisanz. Medienkompetenz ist in diesem Zusammenhang einer der Schlüsselbegriffe.
Der Begriff der Medienkompetenz hebt darauf ab, dass neben der medientechnischen Ausstattung von Schulen auch mediale Umgangsweisen und Vermittlungsformen von Nutzer*innen betrachtet werden müssen. Er basiert auf sprach- und kommunikationswissenschaftlichen Grundlagen und ist in den 1990er Jahren theoretisch begründet und konzeptionell ausgearbeitet worden. Hintergrund waren die zunehmend den Alltag beeinflussenden Informations- und Kommunikationstechnologien – damals noch in Form von Videorecordern, PCs und auch erste Anfänge der Internettechnologie.
Vier Dimensionen der Medienkompetenz
Prof. Dr. Dieter Baacke, Begründer des Konzepts, bezeichnet Medienkompetenz als „die Fähigkeit, in die Welt aktiv aneignender Weise auch alle Arten von Medien für das Kommunikations- und Handlungsrepertoire von Menschen einzusetzen“. Zur Operationalisierung schlägt er mit Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung vier Dimensionen vor:
Die Medienkritik betrachtet weniger erworbenes Faktenwissen und praktische Fähigkeiten des Medienumgangs. Vielmehr liegt der Fokus auf dem Metawissen, wie dem Erkennen und Erfassen verschiedener Zusammenhänge und Zielsetzungen bestimmter medialer Vorgänge.
Der Medienkunde unterliegt eine geringere Abstraktion als der Medienkritik. Sie umfasst aktuelle,
aber auch klassische Wissensbestände über Medien. Die Mediennutzung befasst sich konkret mit den verwendeten Medienumgebungen und der Nutzungsqualität. Im Bereich der Mediengestaltung werden die Benutzer*innen als Medienproduzent*innen definiert, damit eine Erfassung des kreativ-gestalterischen Aspekts der Mediennutzung möglich ist.
Digital Natives: Angeborene Bedienkompetenz und fehlende Medienkritik
Medienkompetenz im Sinne von Dieter Baacke fokussiert insofern weder eine rein technische Kompetenz, noch verbleibt sie auf einer theoretischen Ebene. Im Alltagsverständnis wird Medienkompetenz häufig auf die instrumentell-qualifikatorischen Fähigkeiten im Sinne einer Bedienkompetenz reduziert. Sie wird Heranwachsenden zudem a priori zugesprochen, da ihnen als Digital Natives (deutsch: Personen, die
in der digitalen Welt aufgewachsen sind) entsprechende Fähigkeiten vermeintlich angeboren sind.
Diese Sichtweise ist aus medienpädagogischer Perspektive streng zurückzuweisen, da sie zu einem verkürzten Verständnis von Medienkompetenz führt. Empirische Studien belegen darüber hinaus, dass Heranwachsende zwar über Bedienkompetenz verfügen, bei den anderen Medienkompetenzdimensionen – wie etwa Medienkritik – jedoch deutliche Defizite bestehen.
Im Baackschen Modell wird keine der vier Dimensionen vorangestellt oder eine Bewertung vorgenommen. Vielmehr bauen die vier Dimensionen aufeinander auf und ergänzen sich gegenseitig. So wäre eine umsichtige Kritik beziehungsweise Analyse einer Fernsehsendung nicht vollständig möglich ohne beispielsweise Kenntnisse über gewisse Produktionsbedingungen – wie öffentlich-rechtlich versus privat oder Abwägen von Gewinnorientierungen.
Haben Mediennutzer*innen darüber hinaus schon einmal selbst eine Kamera in der Hand gehabt oder einen Film geschnitten, eröffnen sich ihnen Einblicke darüber hinaus, etwa in Bezug auf gestalterische Elemente.
Lehrer*innen müssen auf neue Entwicklungen reagieren
Der Erwerb von Medienkompetenz erfolgt zum einen im Rahmen von (Selbst-)Sozialisationsprozessen, zum anderen ist medienpädagogisches Handeln innerhalb verschiedener Bildungssettings – wie insbesondere in der Schule – erforderlich. Das umfassende Begriffsverständnis verdeutlicht, wie facettenreich eine Medienkompetenzvermittlung erfolgen muss, um alle Dimensionen hinreichend zu berücksichtigen. Zudem steigen die Ansprüche diesbezüglich stetig, da neue Medienentwicklungen, etwa mobile Endgeräte und die darauf abrufbaren, sich laufend verändernden und erweiterten Anwendungen, eine Adaption der Medienkompetenzvermittlung erfordern. Lehrer*innen stehen hier vor der Aufgabe, immer wieder
auf neue Entwicklungen reagieren zu müssen.
Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, ist eine individuelle Medienkompetenz von Lehrer*innen eine notwendige und wesentliche, aber nicht hinreichende Voraussetzung für einen gezielten und sachgerechten Medieneinsatz in der Schule. Zusätzlich bedarf es einer medienpädagogischen Kompetenz der Lehrenden. Sie umfasst neben der individuellen Medienkompetenz der Lehrperson mediendidaktische und medienerzieherische Fähigkeiten sowie eine auf Medien bezogene Schulentwicklungskompetenz.
Von PowerPoint bis Augmented Reality: Lernen mit Medien
Mediendidaktik bezieht sich auf das Lernen mit Medien. Hier kommen digitale Medien als Hilfsmittel zur Unterstützung des Lehrens und Lernens zum Einsatz – unter anderem Tablet-PCs mit entsprechenden Anwendungen. Die Potenziale digitaler Technologien zur Unterstützung des Lernens und des Lehrens sind vielfältig. Beispielsweise lassen sich mit Hilfe von Präsentationssoftware wie PowerPoint, Prezi oder Sway Lerninhalte anschaulicher gestalten und aufbereiten. Durch Foto-, Video- und Simulationssoftware ist die Visualisierung komplexer Lerngegenstände möglich. Im Idealfall ist gar die Simulation von realen Gegebenheiten mittels Simulationssoftware, Datenbrillen oder Augmented-Reality-Anwendungen denkbar.
Lernplattformen fördern die Kommunikation und Kooperation unter Lernenden und Lehrenden. Mind-Mapping-Apps dienen der Systematisierung und Strukturierung von Lerninhalten. Es ist zudem möglich, mithilfe von elektronischen Prüfungsformaten den individuellen Lernstand der Schüler*innen zu ermitteln und Tests durchzuführen. Nicht zuletzt erlauben Instrumente wie ein E-Portfolio die Reflexion von Lerninhalten und können damit zu einer vertiefenden Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand anregen. Basis für die Integration in den Unterricht bilden Grundannahmen und Konzepte aus der allgemeinen Didaktik wie die Integration individueller und kooperativer (schüler*innenzentrierter) Lernformen, die sich mit lehrer*innenzentrierten Unterrichtsphasen abwechseln.
Von Fakenews bis WhatsApp: Lernen über Medien
Medienerzieherische Aspekte wiederum umfassen das Lernen über Medien. Phänomene wie Hate Speech, Shitstorm, Fakenews, Socialbots und Filterblasen bestimmen den gesellschaftlichen Diskurs und fordern pädagogische Fachkräfte zum (medien-)erzieherischen Handeln auf. Darüber hinaus ist es notwendig, dass Schüler*innen auch Hinweise zum sensiblen Umgang mit persönlichen Daten und zur Datensparsamkeit erhalten. Durch die zunehmende Datafizierung und Algorhythmisierung von Datenströmen gewinnt die Thematik verstärkt an Bedeutung.
So nutzen beispielsweise 94 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen den Kommunikationsdienst WhatsApp mehrmals die Woche und geben damit vermutlich unkontrolliert persönliche Daten preis. Solche Aspekte, die der Medienkompetenzdimension Medienkritik zugeordnet werden können, müssen im Schulalltag aufgegriffen werden. Mediennutzung in Schule und Freizeit ist völlig unterschiedlich. Das erschwert die Integration medienpädagogischen Handelns in den Schulunterricht zusätzlich.
Schule muss sich öffnen für neue Lehr- und Lernszenarien
Schule ist gekennzeichnet durch rigide Strukturen bezüglich Räume, Zeiten, Wissenskontrolle und sozialen Praktiken. Währenddessen weisen soziale Netzwerke prinzipiell keine (dinglichen) Räume, keine Synchronität, keine (offensichtlichen) Wissensgatekeeper und weniger hierarchische Strukturen auf. Um eine Verschränkung zwischen formalen (schulischen) und außerschulischen Bildungskontexten zu erzielen und damit an die Lebenswelt von Heranwachsenden besser anzuknüpfen, muss sich Schule öffnen für neue Lehr- und Lernszenarien.
Jun.-Prof‘in Dr. Anna-Maria Kamin
Professur für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Medienpädagogik im Kontext schulischer Inklusion
an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld
Dipl. Päd. Philip Karsch
wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld
Illustration: PureSolution / shutterstock.com; Foto: Fotolia / WavebreakMediaMicro
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