Berufskolleg: Berufsexpert*innen sind ein Gewinn
Pro & Contra: Lehrer*innenversorgung
Die Lehrkräfteversorgung an Berufskollegs in NRW für die duale Erstausbildung macht der Wirtschaft erhebliche Sorgen: Schon seit Jahren gehen deutlich mehr erfahrene Lehrkräfte mit gewerblich-technischen Fächern in Ruhestand als Nachwuchs an den Hochschulen in Sicht ist. Seiteneinsteiger*innen aus der Praxis können das Problem lösen – auch wenn sie keinen akademischen Abschluss mitbringen!
Das Monopol für die Beschäftigung der Lehrkräfte und auch für ihre Ausbildung liegt beim Land NRW. Es ist für beides in der Pflicht, hat die Aufgabe aber in unterschiedlichen Ministerien verankert. Die Landesregierung weiß ganz genau, welche Lehrkraft mit welchen Fächern zu welchem Zeitpunkt in den Ruhestand geht. Für die Ausbildung der Lehrkräfte bedient sich das Land der Hochschulen, die es mit Zielvereinbarungen steuert. Eine Planwirtschaft, die bislang leider nicht funktioniert: Insbesondere in den Fachbereichen Elektrotechnik, Kfz-Technik, Maschinentechnik und Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik fehlen Lehrer*innen.
Die entscheidende Frage ist: Wie erhalten Berufskollegs künftig die notwendige Anzahl von Lehrkräften, um die Auszubildenden adäquat beschulen zu können? Langfristiges und prioritäres Ziel muss es sein, die Lehrer*innenausbildung an den Hochschulen so aufzustellen, dass der tatsächliche Bedarf der Schulen gedeckt werden kann. Die ideale Lehrkraft für die Fachklassen des dualen Systems hat aus Sicht der Wirtschaft selbst eine duale Ausbildung durchlaufen und danach ein Lehramtsstudium abgeschlossen.
Aktuell behelfen sich die Berufskollegs in NRW mit Notmaßnahmen, um den Unterricht gerade in einigen gewerblich-technischen Fachrichtungen sicherstellen zu können. Dazu gehört vor allem die Einstellung von Seiteneinsteiger*innen. Der Westdeutsche Handwerkskammertag setzt sich dafür ein, dass auch Personen ohne akademischen Abschluss dafür herangezogen werden. So unterrichten an Berufskollegs bereits jetzt Meister*innen oder Techniker*innen als Werkstattlehrer*innen, wenn die Not in ihrem Fach an der Schule groß ist. Zudem werden Honorarkräfte für einige Stunden pro Woche verpflichtet, bestimmte Fächer oder Inhalte zu unterrichten.
In der Wirtschaft gibt es viele Personen, die bereits unterrichtet haben – in überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen, in der Höheren Berufsbildung oder in der innerbetrieblichen Weiterbildung. Meister*innen, Techniker*innen und Fachwirt*innen mit Erfahrungen in der Erwachsenenbildung können eine sehr gute Wahl sein, um Unterricht sicherzustellen. Sie kennen ihren Beruf, alle praktischen Anknüpfungspunkte, können häufig Praxis und Theorie viel besser verknüpfen und unterscheiden oft sehr genau zwischen den unterschiedlichen Qualifikationsniveaus in der beruflichen Bildung.
Brauchen Fachkräfte für einen Seiteneinstieg einen akademischen Abschluss? Es wird höchste Zeit, diese formale Unterscheidung zu überwinden. Es dürfte immer besser sein, dass zum Beispiel ein*e Meister*in unterrichtet als dass der Unterricht ausfällt oder eine fachfremde Lehrkraft die Klasse „betreut“.
Der Westdeutsche Handwerkskammertag ist weit weg davon zu behaupten, dass jede*r Praktiker*in vor einer Klasse unterrichten kann. Wir wissen aber, dass es viele Dozent*innen in der beruflichen Bildung gibt, die Auszubildende sehr gut unterrichten könnten. Hier bedarf es künftig differenzierterer Auswahlkriterien, um sicherzustellen, dass potenzielle Seiteneinsteiger*innen in ihrer Kompetenz und Persönlichkeit geeignet sind – unabhängig davon, ob sie einen akademischen Abschluss haben. Vor allem aber muss der Seiteneinstieg – ob in Voll- oder Teilzeit – gut begleitet werden, um in den Beruf mit seinen vielfältigen Herausforderungen hineinzufinden. Denn Seiteneinsteiger*innen, die nach kurzer Zeit die Schule wieder verlassen, sind keine Hilfe für den dualen Partner und das System Schule.
Wenn aber alle Wege des Landes nicht dazu führen, dass ein ausreichendes Angebot an Lehrkräftenachwuchs da ist, müssen sich die Berufskollegs selbst etwas einfallen lassen. Warum sollten sie sich nicht selbst um ihren Nachwuchs kümmern und ihn vom ersten Tag an zusammen mit einer Universität ausbilden? Das machen Ausbildungsbetriebe auch, um ihre Fach- und Führungskräfte zu sichern.
Andreas Oehme
Bildungsexperte und Geschäftsführer des Westdeutschen Handwerkskammertags
Foto: Peruphotoart / photocase.de
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