Nachhaltige Ideen für die Bildungsregion Ruhr

RuhrFutur zieht Zwischenbilanz

Die Bildungsinitiative RuhrFutur steuert auf ihre letzte Förderperiode zu. Viele erfolgreiche Projekte sind in Kitas, Schulen und Hochschulen bereits Realität. Doch die Maßnahmen reichen nicht aus, um das größte Problem des Ruhrgebiets, Kinderarmut, zu bekämpfen und Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Jetzt braucht es einen konkreten Fahrplan für die Schlussphase – und darüber hinaus.

Die Zwischenbilanz der Initiative für mehr Bildungsgerechtigkeit RuhrFutur kann sich sehen lassen: Mit der Online-Plattform „BildungsProjekte Ruhr“ machen der Regionalverband Ruhr, die Kommunen und RuhrFutur erfolgreiche Maßnahmen zugänglich, transparent und übertragbar. Die Dortmunder Idee der „Kinderstuben“ zur Vorbereitung von Flüchtlingskindern auf den Kita-Besuch wird als Brückenprojekt, finanziert vom Land, auf drei weitere Städte übertragen.
Auch im Bildungsbereich Schule sind vorhandene Projekte gewachsen: Mit dem Vorhaben „Systematische Grundschulentwicklung“ werden interessierte Schulen mehrerer Städte zusammengefasst. Sie arbeiten über drei Jahre unter fachkundiger Prozessbegleitung an ihren Fragestellungen und erwerben Steuerungswissen für systematische Schulentwicklung. Weiterführende Schulen arbeiten zweieinhalb Jahre lang an Fragestellungen wie individuelle Förderung, Inklusion, Sprachbildung. Die Netzwerke „Schulen im Team“ kümmern sich unter Federführung der kommunalen Bildungsbüros um die Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie um die Übergänge zwischen den einzelnen Bildungsphasen. „Schulen im Team“ werden von RuhrFutur in Zusammenarbeit mit dem NRW-Schulministerium fachlich und organisatorisch unterstützt.
Erfolge sind auch in der Wissenschaft zu verzeichnen: Gemeinsam mit der Initiative haben die Hochschulen eine Studierendenbefragung auf den Weg gebracht. Im Zusammenspiel mit dem Landesprogramm „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA) stellen sich die RuhrFutur-Hochschulen der Aufgabe, die Studienwahlorientierung neu zu konzipieren. Und zwar so, dass die Diversität zukünftiger Studierender aus der Region eindeutiger eingefangen und die Studienwahlorientierung effizienter gestaltet werden kann.
In der Bildungsinitiative wirken aktuell die Kommunen Dortmund, Essen, Gelsenkirchen, Herten, Mülheim an der Ruhr und der Regionalverband Ruhr (RVR) sowie die Ruhr-Universität Bochum, die Technische Universität Dortmund, die Fachhochschule Dortmund, die Universität Duisburg-Essen, die Westfälische Hochschule mit der Landesregierung und der Stiftung Mercator mit Sitz und Stimme in der Steuerungsgruppe zusammen. Ohne Vollmitgliedschaft kooperieren zum jetzigen Zeitpunkt Duisburg, Bochum und der Kreis Recklinghausen mit konkreten Maßnahmen.

Bildungsbericht als Auslöser für die Gründung der Initiative

Initialzündung für die Gründung von RuhrFutur war der Bildungsbericht Ruhr, der im Januar 2012 vorgestellt wurde. Seitdem verfolgt die Initiative der Mercator-Stiftung ein ehrgeiziges Ziel: mehr Bildungsgerechtigkeit in der Metropole Ruhr – mit Teilerfolgen. Das Konzept: Keine neuen Projekte, sondern „positive Veränderungen im Gesamtsystem Bildung“ sind das Ziel gemeinsamen Handelns. Nach fast fünf Jahren ist RuhrFutur heute ein etablierter und geschätzter Partner in wichtigen Teilbereichen des Bildungsgeschehens an der Ruhr.
Der Verdacht, die Stiftung wolle sich in einen wichtigen Bereich staatlichen und kommunalen Handelns einmischen, ist ausgeräumt. Zum einen hat die Stiftung die Zielfindung und die Maßnahmenplanung in eine Steuerungsgruppe delegiert. Zum anderen agiert die großzügig ausgestattete und kompetent besetzte Geschäftsstelle von RuhrFutur in der praktischen Arbeit weitgehend unabhängig. Insgesamt hat die Stiftung bisher rund 15,3 Millionen Euro investiert. In einem längeren Prozess sind von der Initiative die folgenden Ziele vereinbart worden:

  • individuelle Förderung im Bildungssystem
  • durchgängige Sprachbildung
  • inter- und intrakommunale Kooperation unter Einbeziehung der Hochschulen
  • Zusammenarbeit von Schule und Hochschule
  • Angleichung der Studienerfolgsquote von jungen Menschen
  • Aufbau und Entwicklung von Monitoringinstrumenten

Mehr Bildungsgerechtigkeit durch Kommunikation und Vernetzung

Das Bildungsmonitoring zur Gewinnung von steuerungsrelevanten Daten ist das erklärte zentrale Tätigkeitsfeld von RuhrFutur und RVR unter Mitwirkung der  Kommunen. Nach langen Anlaufschwierigkeiten soll in nächster Zeit eine Erstausgabe zur Verfügung stehen. Damit steigt die Chance, auf der erarbeiteten Datenbasis den Bildungsbericht Ruhr demnächst fortzuschreiben.
Mit ihrem partizipativen Ansatz fördert und optimiert  RuhrFutur die Bildungsregion. Durch Kommunikation und Vernetzung hat sie Handlungswissen für professionelle Prozessbegleitung als Organisations- und Qualitätsentwicklung auch über Stadtgrenzen hinweg bereitgestellt. Sie hat einen gemeinsamen Verantwortungsraum vorbereitet, dem mittelfristig alle Kommunen beitreten sollten. Das ist ein großer Fortschritt angesichts des bislang beklagten Kirchturmdenkens. Es ist auch gelungen, die Landesebene in die Ziel- und Maßnahmenplanung direkt einzubinden. Ulrich Ernst, Dezernent für Bildung in Mülheim an der Ruhr, engagiert sich in der Steuerungsgruppe der Initiative und urteilt: „RuhrFutur ist ein Paradebeispiel dafür, wie Städte zusammenarbeiten können.“ Und er schätzt RuhrFutur als „ein Konstrukt mit Gewicht und Dynamik“, das sich auch auf das Standing gegenüber Landesministerien auswirke.

Kinderarmut: Strukturelle und finanzielle Veränderungen fehlen

Trotz aller positiven Bemühungen im Bildungsbereich stagnieren die Kinderarmutszahlen in der Metropole Ruhr auf hohem Niveau und steigen tendenziell sogar an. In den Ruhrkommunen liegen sie zwischen 20 und 40 Prozent. Die Armutssegregation ist beträchtlich. Sie untergräbt den gesellschaftlichen Zusammenhalt und benachteiligt zusätzlich armutsgefährdete Kinder und Jugendliche. Bildungsungerechtigkeit droht zum Markenkern des Reviers zu werden. Zu diesem Kern der Misere dringen die Anstrengungen von RuhrFutur nicht durch. Es fehlen entscheidende strukturelle und finanzielle Veränderungen.
Der RVR und seine Kommunen müssen, damit das bisher gemeinsam Erreichte nicht als symbolische Politik kritisiert wird, die Strukturen der Ungleichheit in den Fokus rücken und politisch bekämpfen. Dazu hat die GEW NRW in diesem Jahr eine Studie mit dem Titel „Ungleiches ungleich behandeln“ vorgelegt. Gefordert wird eine Mittelzuweisung, die sich an der sozialen Zusammensetzung der Kinder und Jugendlichen in den jeweiligen Bildungseinrichtungen orientiert, um der Armutssegregation gezielt entgegenzuwirken.
Die alte, nun abgewählte Koalition hat vor der Wahl Bereitschaft gezeigt, das Thema in der jetzigen Wahlperiode auf die Agenda zu setzen. Die neue Landesregierung wird sich in dieser Frage noch positionieren müssen. Es ist unerlässlich, dass sich der Kommunalrat und das Parlament beim RVR mit diesem Anliegen identifizieren. Die Forderung nach Mittelzuweisung auf der Grundlage eines Sozialindexes in Richtung Land sollte bald und mit Nachdruck vertreten werden.
Neben der Realisierung eines Sozialindexes erscheint eine andere Gewichtung der Frühförderung essenziell, weil Kinder aus schwierigen familiären Verhältnissen oft schon bei Schuleintritt eklatante Entwicklungsdefizite zeigen. Bei RuhrFutur ist das derzeit nicht eindeutig erkennbar. Außerdem muss ein weiterer, umfassenderer Aspekt in die Zielfindung und Maßnahmenplanung Eingang finden, nämlich integrierte und fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit in der Kommune mit dem Augenmerk auf integrierte Stadterneuerung, Stadtentwicklungsplanung, Wirtschaftsförderung und Bildungsplanung.

Bildungskonferenz: Konkrete Ziele für die letzte Förderperiode

Obwohl sich RuhrFutur in der Bildungslandschaft der Region zu einer echten Landmarke entwickelt hat, ist die zweite und erklärtermaßen letzte Förderperiode für die Initiative angebrochen, finanziert durch die Stiftung Mercator. Im kommenden Jahr wird RuhrFutur zu einer Bildungskonferenz einladen, auf der die Aktivitäten der Periode bis 2022 vorgestellt und Planungen eingeleitet werden sollen. Damit soll verhindert werden, dass die Bildungsregion nach 2022 dasteht wie ein E-Bike, dessen Batterie abmontiert wurde.
Wenn RuhrFutur endet, kommen fast zwangsläufig neue Koordinierungs- und Unterstützungsaufgaben auf den RVR zu. Vielleicht wird er eine „Bildungsmanagementinstanz“ wie sie sich Manfred Beck, ehemaliger Dezernent in Gelsenkirchen, wünscht.


Karl Keining
ehemals AG Masterplan Bildung Ruhrgebiet der GEW NRW

Dr. Brigitte Schumann
ehemals AG Masterplan Bildung Ruhrgebiet der GEW NRW

Fotos: tobid, suze, trojana1712 / photocase.de

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