Gemeinsame Herausforderung für Politik und Einrichtungen

Weiterbildungsbeteiligung

Die Frage nach der Teilnahme an den Weiterbildungsangeboten in NRW wirbelt seit vielen Jahren immer wieder eine Menge Staub auf. Und obwohl sich viele gute Projekte schon lange und erfolgreich darum bemühen, auch die Zielgruppen zu erreichen, die bislang in der Weiterbildung eher unterrepräsentiert sind, bleibt viel zu tun, um echte Teilhabe für alle BürgerInnen zu ermöglichen.

Das Weiterbildungsgesetz (WbG) in NRW garantiert den Einrichtungen für ihr Programm die völlige Lehrplanfreiheit und geht von  der freiwilligen Teilnahme aller Lernenden an den offen zugänglichen Veranstaltungen aus. Es verlangt ferner für die Förderung von  Bildungsveranstaltungen im Durchschnitt lediglich zehn TeilnehmerInnen. Ein zentraler Reibungspunkt: Der Anteil der Landesmittel an der Finanzierung der anerkannten Einrichtungen hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich verringert, bei den kommunalen  Einrichtungen auf circa 20 Prozent, bei anderen Einrichtungen auf circa 25 Prozent. Im Vergleich der Bundesländer nimmt NRW bei den  Ausgaben pro BürgerIn seit Jahren nur noch einen mittleren Platz ein. Aber in absoluten Zahlen liegen die Aufwendungen des Landes NRW weit an der Spitze des nationalen Rankings, in 2016 zum Beispiel mit fast 130 Millionen Euro.

Weiterbildung messbar machen

Diese (absolute) Sonderstellung der Weiterbildung in NRW motiviert die politischen Kräfte, die Einrichtungen nach transparenten Berichten über die erreichten Ergebnisse zu fragen und sich dabei vordringlich für die quantitative und qualitative Beteiligung an der Weiterbildung zu interessieren. Im Übrigen werden sich  die Einrichtungen im neuen Berichtswesen Mitte 2017 mit den Daten aus dem Programmjahr 2016 der politischen Erwartung nach einer Leistungsbilanz umfassend und differenziert stellen. Die Einrichtungen rechnen allerdings auch damit, dass sie dann auf dieser Basis die Forderung nach verbesserter Ausstattung – mit anderen Worten: besserer finanzieller Förderung – für die bestehende und die notwendige Programmarbeit und ihren infrastrukturellen Voraussetzungen untermauern können.
Die Frage nach der Weiterbildungsbeteiligung ist nie eine rein quantitative gewesen, denn es geht nicht einfach darum, unter den BürgerInnen eine hohe Teilnahmequote zu erreichen. Vielmehr sollen vor allem diejenigen erreicht werden, die aufgrund sozialstruktureller Merkmale und Lebenslagen – zum Beispiel Geschlecht, Alter, Zuwanderungshintergrund, schulische und berufliche Qualifikation, Erwerbsstatus oder berufliche Stellung – systematisch bildungsbenachteiligt sind und bisher deutlich unterrepräsentiert am Weiterbildungsangebot teilhaben.
Von 1979 bis 2007 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung alle drei Jahre statistische Daten über das Weiterbildungsverhalten in Deutschland erhoben und in einem Trendbericht bereitgestellt. Seit 2007 wird das Lernen im Erwachsenenalter, angepasst an europäische Vergleichsstudien, nach den Parametern des „Adult Education Survey“ (AES) erhoben. Die Ergebnisse beider Forschungsstrategien bestätigen der Weiterbildung in der Bundesrepublik eine relativ hohe Weiterbildungsbeteiligung von bis zu 50 Prozent aller BürgerInnen. Nordrhein-Westfalen hat sowohl im Berichtssystem Weiterbildung bis 2007 sowie in den folgenden AES-basierten Berichten im Ländervergleich beständig Spitzenpositionen eingenommen.
Umso größer war in diesem Sommer die Irritation, die die Bertelsmann Stiftung mit ihrem zum  zweiten Mal herausgegebenen „Deutschen Weiterbildungsatlas“ ausgelöst hat. Während der AES der Weiterbildung bundesweit eine durchschnittliche Teilnahmequote von 50 Prozent attestiert, sieht der Weiterbildungsatlas hier nur noch durchschnittlich 12,3 Prozent. Und noch schlimmer: NRW liegt mit einer Quote von 10,4 Prozent im Bundesvergleich ganz weit hinten – zusammen mit anderen Bundesländern, die nur ein Bruchteil dessen aufwänden, was NRW jährlich in die öffentliche Weiterbildungsfinanzierung steckt.
Da der Weiterbildungsatlas auf andere, für NRW ungenaue und unvollständige Datenbestände zurückgreift und auf der Basis des Mikrozensus eine nicht vergleichbare statistische Befragungsstrategie verfolgt, lässt sich ein großer Teil dieser Ergebnisse relativieren. Trotzdem und zu Recht ist es dem „Deutschen Weiterbildungsatlas“ gelungen, die Debatte um die Weiterbildungsbeteiligung in NRW neu zu befeuern.

Viel Bewegung in der Weiterbildung

Dabei wird die Debatte über die Weiterbildungsbeteiligung in NRW seit vielen Jahren geführt: In Evaluationen wie zuletzt in 2011 das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung, das die Wirksamkeit der Weiterbildungsmittel des WbG NRW ausgewertet und die Ergebnisse unter dem Titel „Lernende fördern – Strukturen stützen“ veröffentlicht hat. In den politischen Diskursen, wie die Landtagsfraktion der GRÜNEN in NRW, die 2014 unter dem Motto „Weiterbildung weiterdenken“ Strategien zur Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung entwickelt hat. In den von den Ministerien angestoßenen Innovationsprojekten wie dem Modellprojekt „Potenziale der Weiterbildung“, das seit 2009 neue Wege zur Gewinnung von sozial benachteiligten Gruppen für Weiterbildungsangebote erschließt.  In den Sonderfinanzierungen für die Einrichtungen, so zum Beispiel seit 2012 in dem landesweiten, gebührenfreien Angebot der Familienbildung „Elternstart“. Auch in den Empfehlungen der Weiterbildungskonferenz aus dem Jahr 2012 wird die stärkere Einbindung besonders förderungswürdiger Zielgruppen angesprochen. Gleichzeitig werden aber die dafür notwendigen finanziellen Ressourcen angemahnt.

Vielfalt engagiert akzeptieren und Zugangsbarrieren abbauen

Der Landesbeirat der gemeinwohlorientierten Weiterbildung NRW, der sich Anfang 2014 auf Empfehlung der Weiterbildungskonferenz konstituiert hat, unterstützt mit seiner übergreifenden Expertise beratend die Landespolitik. Nach der Alphabetisierung und Grundbildung wendet er sich nun in dem jüngst verabschiedeten Papier „Vielfalt gestalten – Weiterbildungsbeteiligung erhöhen“ der Teilnahmeentwicklung zu. Gefordert wird, die  individuellen und institutionellen Zugangsbarrieren abzubauen, die Menschen davon abhalten, ihre Potentiale zu entfalten  und insbesondere am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben gleichberechtigt teilzuhaben. Die Weiterbildung wird aufgefordert, Vielfalt engagiert zu akzeptieren und zur Entwicklung einer Kultur der Wertschätzung beizutragen. In der individuellen Unterstützung der Lernenden werden zielgerichtete Informationsangebote, Beratung und gesonderte Förderung  als notwendig erachtet. Zur Verbesserung der institutionellen Bedingungen wird Organisationsentwicklung auf der Basis von Diversity-Konzepten empfohlen, außerdem die Implementierung  aufsuchender Bildungsberatung und Bildungsarbeit systematische örtliche Kooperationen und Netzwerke  sowie die Weiterentwicklung niedrigschwelliger Lernformate sowie sozialraum- und arbeitsweltorientierte Angebote.

Verlässliche Ressourcen bereitstellen

Alle maßgeblichen Beiträge zur Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung in NRW sehen  einen Zusammenhang mit dem Ressourcenmangel in den Einrichtungen. Die auf der Basis von 1984 eingefrorene Landesförderung hat einerseits zu fortlaufendem Personalabbau, zu prekärer Beschäftigung von Honorarkräften, zur Vernachlässigung der Infrastruktur, zur Aufgabe von wohnortnahen Standorten, zur Einsparung kostenintensiver Kommunikations- und Beratungsstrategien sowie zur Vernachlässigung aufwändiger, niedrigschwelliger Lernformate geführt. Andererseits sind viele Einrichtungen aus finanziellen Gründen parallel marktabhängiger geworden, da die kommunalen und anderen Träger keinesfalls in der Lage waren,  alleine die sozialpolitischen Aufgaben und die ständigen Kostensteigerungen aufzufangen.Eine Weiterbildung, die keine BürgerInnen abhängen will und die die Herausforderungen und Chancen von Diversität aufgreifen will, braucht zur zukunftsfähigen  und dynamischen Entwicklung eine bessere und verlässliche Landesförderung. Mit der Erhöhung der Landesmittel im Haushalt 2016 und im Plan für 2017 sind – motiviert durch den Integrationsplan für NRW – erste, von den Einrichtungen begrüßte Schritte getan. Sie reichen allerdings keinesfalls aus, um alle Bevölkerungsgruppen in NRW flächendeckend nachhaltig zu beteiligen. 


Kurt Koddenberg, Vorsitzender des Landesbeirates der gemeinwohlorientierten Weiterbildung NRW und der Landesarbeitsgemeinschaft Katholische Erwachsenen- und Familienbildung NRW e. V.

Foto: tomertu / shutterstock.com

 

Landesbeirat der gemeinwohlorientierten Weiterbildung NRW

Bewährte Unterstützung beibehalten

Alle Beteiligten sind sich sehr einig: Der Landesbeirat der gemeinwohlorientierten Weiterbildung in NRW, der 2014 auf Empfehlung der Weiterbildungskonferenz durch die Ministerin für Schule und Weiterbildung Sylvia Löhrmann berufen wurde, hat sich bewährt und sollte seine Arbeit langfristig fortsetzen.
Nach fast drei Jahren kann in einem Zwischenergebnis festgestellt werden: Die breite Zusammensetzung aus kommunalen Spitzenverbänden, Wirtschafts- und Sozialpartnern, Wissenschaft, Verbraucherzentrale sowie Landesorganisationen der Weiterbildung bietet die Chance, mit gemeinsamen Positionen die Entwicklung der gemeinwohlorientierten Weiterbildung in der Politik zu unterstützen und in fachlichen Fragen die zuständigen Ministerien „mit einer Stimme“ zu beraten.
In zwei Empfehlungen ist dieses Anliegen in den vergangenen Jahren überzeugend bereits erreicht worden: Die Empfehlungen zu „Alphabetisierung und Grundbildung“ konnten Ministerin Sylvia Löhrmann Anfang 2015 überreicht werden. Die Arbeiten an den Empfehlungen zur Verbesserung der Weiterbildungsbeteiligung auf der Basis diversitätsbewusster Strategien unter dem Titel „Vielfalt gestalten – Weiterbildungsbeteiligung erhöhen“ sind abgeschlossen und stehen kurz vor der Veröffentlichung.
Die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung fokussiert insbesondere Aufgaben der Weiterbildung, die aber personell, curricular, finanziell und organisatorisch nur bedingt dafür ausgestattet ist. Auch deshalb gehört die Beratung der Politik durch den Landesbeirat der gemeinwohlorientierten Weiterbildung in NRW dauerhaft und unabhängig gesichert – so die Forderung des amtierenden Landesbeirates.

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