Raus aus der Empörungsspirale!
Die AfD zieht verstärkt GeringverdienerInnen und Erwerbslose als WählerInnen an. Offenbar kommen die Botschaften der Gewerkschaften bei dieser wichtigen Zielgruppe nicht an. Zugleich machen auch GewerkschafterInnen zu einem nennenswerten Teil ihr Kreuzchen bei der AfD – trotz Positionen, die mit Solidarität nichts zu tun haben. Höchste Zeit für einen Strategiewechsel bei den Gewerkschaften.
Spätestens seit den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus hat sich die „Alternative für Deutschland“ (AfD) als feste politische Größe etabliert. Dabei ist nicht so sehr das zweistellige Berliner Wahlergebnis von 14,2 Prozent entscheidend. Mit 24,3 Prozent in Sachsen-Anhalt oder 20,8 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern wurde die AfD schon zuvor jeweils aus dem Stand zur zweitstärksten Kraft. In der Bundeshauptstadt wurde nochmals deutlich, dass sich das Milieu der AfD keineswegs auf EurokritikerInnen oder enttäuschte Nationalkonservative beschränkt. In Berlin votierten wieder viele Erwerbslose für die AfD.
Typische gewerkschaftliche Handlungsmuster scheitern im Umgang mit der AfD
Auch bei den Landtagswahlen im „Musterländle“ Baden-Württemberg wurde die AfD zur Partei der GeringverdienerInnen und Arbeitslosen. Und bereits seit 2014 ist bekannt, dass die AfD bei Gewerkschaftsmitgliedern beachtliche Stimmenanteile verbuchen kann. Die Gewerkschaften sind deshalb besonders gefragt: Obwohl sie sich eindeutig gegen rechtspopulistische Parolen ausgesprochen haben, verfängt die Rhetorik des Ressentiments bei einem nicht zu ignorierenden Teil der Mitgliedschaft. Dies ist eine Herausforderung gerade für die gewerkschaftliche Bildung. Hier muss verstärkt der konfrontative Dialog über die Reizthemen der Republik gesucht werden.
Doch vor der Erstellung von Empfehlungen für den politischen Umgang mit dem Rechtspopulismus, ist eine selbstkritische Analyse der Ursachen für den Erfolg der AfD notwendig. Denn die typischen gewerkschaftlichen Handlungsmuster im Umgang mit den RechtspopulistInnen sind gescheitert. Die Partei kann beispielsweise nicht mit dem Verweis auf eine vermeintlich „neoliberale“ Programmlage entzaubert werden. Entlarvend gemeinte Überschriften wie „AfD: Angetreten für Deregulierung“ greifen zu kurz.
Der Strategie der Spaltung etwas entgegensetzen
Der Blick auf unsere europäischen Nachbarländer zeigt, dass der Rechtspopulismus ein Chamäleon ist, das sich, wie die Politikwissenschaftlerin Karin Priester nachgewiesen hat, geschickt den jeweiligen Nationalfarben oder Interessenlagen der WählerInnenmilieus anpassen kann. Die zumindest rhetorische Forderung nach einem Mindestlohn erhebt nun auch die AfD.
Ohnehin haben die Erfolge der RechtspopulisteInnen nicht nur soziale Ursachen. Sie sind Ausdruck einer Spaltung der politischen Kultur. Gegenwärtig erhebt in der AfD der zuvor oftmals nur latente Widerspruch zum offiziellen Jargon der Republik – etwa zu Begriffen wie „Willkommenskultur“ oder „Gender Mainstreaming“ – öffentlich die Stimme. Die Krise der Repräsentation zeigt sich auch an der Popularität des Pegida-Kampfbegriffs „Lügenpresse“.
Im Zentrum der Ideologie und Agitation der AfD steht die Ablehnung einer „bunten Republik“, in der zudem politische Entscheidungen von der „Eurorettung“ bis zur sogenannten Flüchtlingskrise als „alternativlos“ deklariert werden. Von diesem Protest zehrt die AfD. Die sozialen Konflikte der Bundesrepublik werden dabei von einer soziokulturellen Auseinandersetzung zwischen nationalstaatlich orientierten TraditionalistInnen und „politisch korrekten“ KosmopolitInnen überlagert. Durch die „Flüchtlingskrise“, die real eine Krise der europäischen Politik ist, wurde dieser lange schwelende Konflikt überdeutlich. Und die Analyse dieser –
hier überspitzt gezeichneten – Spaltung der Republik in FlüchtlingshelferInnen und „besorgte BürgerInnen“ ist die nötige Voraussetzung für die Überwindung des hilflosen Antipopulismus, der auf Stigmatisierung und Skandalisierung setzte.
Souveräne Zurückweisung statt Schaukampf
Doch der Versuch der Stigmatisierung der AfD ist gescheitert. Gerade die Gewerkschaften müssen lernen,
dass die RechtspopulistInnen auf dem Feld der Sozialpolitik nicht einfach gestellt werden können. Der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke ruft beispielsweise die „neue deutsche soziale Frage des 21. Jahrhunderts“ aus. Seine populistische Pointe ist einfach: Das deutsche „Volksvermögen“ soll gegen die als InvasorInnen dämonisierten Flüchtlinge verteidigt werden. Die Losungen der AfD changieren hier zwischen völkischem „Antikapitalismus“ und Wohlfahrtschauvinismus.
Die AfD-Sprecherin Frauke Petry will derweil den Begriff „völkisch“ positiv umdeuten und spielt so auf der Klaviatur der extremen Rechten. Allerdings bleibt der skandalisierende Nazivorwurf ohne Wirkung. Mehr noch: Die Politik der Skandalisierung hat der AfD eine enorme mediale Resonanz verschafft. Stefan Petzner, der ehemalige Berater des österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider, hat das Muster der Empörungsspiralen prägnant beschrieben: „Während meiner Zeit an Haiders Seite war mir immer bewusst, wie sehr er von seinen Gegnern lebte. Sie taten aus ihrer Sicht immer das Falsche. Sie empörten sich bei jeder Provokation, jedem Tabubruch, dienten damit unseren Interessen und machten in ihren Wahlkämpfen nicht sich, sondern uns zum Thema.“
Verlief die Debatte über die AfD nicht ebenso berechenbar? Wurde nicht mit jeder – auch von den Gewerkschaften unterstützten – Demonstration gegen die Parteitage der AfD deren eigene Opferinszenierung noch bestärkt? Erhält durch jeden Boykott der PolitikerInnen der AfD nicht das Geraune à la „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ neue Nahrung? Die Gewerkschaften dürfen nicht in die Falle der Empörungsspirale treten. Doch aus der Forderung nach einem ebenso kühlen wie kritischen Umgang mit den RechtspopulistInnen folgt nicht der Verzicht auf den öffentlichen Protest. Im Gegenteil: Der gewerkschaftliche Grundwert der Solidarität ist universell und steht im scharfen Gegensatz zur Beschwörung der nationalen Volksgemeinschaft durch Höcke und Co. Wer auf flüchtende Frauen und Kinder schießen lassen will, verhöhnt im Namen der freien Meinungsäußerung die Würde des Menschen. Hier will die AfD die Grenzen des Sagbaren verschieben. Diese inszenierten Tabubrüche erfordern jedoch eine souveräne Zurückweisung, keinen Schaukampf.
Doppelstrategie mit Widersprüchen
Was aber, wenn in gewerkschaftlichen Seminaren Sätze wie „Für die Flüchtlinge ist Geld da. Wo aber bleiben wir?“ fallen? Hier ist weder die Debattenverweigerung noch der Schaukampf angemessen. Für Gewerkschaften empfiehlt sich deshalb eine Doppelstrategie, die nicht frei von Widersprüchen ist: ParteifunktionärInnen, die politische Foren für die Propagierung einer menschenfeindlichen Ideologie nutzen wollen, müssen ebenso konsequent wie nüchtern zurückgewiesen werden. Für den Umgang mit der rechtspopulistischen Herausforderung in den eigenen Reihen ist dabei die Stärkung der antirassistischen Traditionen der Gewerkschaften zentral – und eine Bildungsarbeit auf der Höhe der Zeit. Das bedeutet, dass gerade in der gewerkschaftlichen Bildung gezielt um jene Klientel gerungen werden muss, die derzeit die AfD wählt. Diese KollegInnen müssen mit neuen Bildungsformaten offensiv angesprochen werden. Die antifaschistische Grundhaltung der Gewerkschaften ist dabei nicht verhandelbar. Aber politische Bildung ist kein Job für ExorzistInnen. Deshalb ist eine Strategie aus Konfrontation und Dialog notwendig.
Richard Gebhardt, ist freier Autor und politischer Bildner
Foto: tancha / shutterstock.com
AfD und Co: Wie wählen GewerkschafterInnen?
Ob Baden-Württemberg oder Mecklenburg-Vorpommern: Auch Gewerkschaftsmitglieder haben AfD gewählt. Im Durchschnitt sogar häufiger als die GesamtwählerInnenschaft. Wie kann das sein?
Die Positionen der DGB-Gewerkschaften und der AfD liegen weit auseinander: Selbstbestimmte und diskriminierungsfreie Teilhabe am Gesellschafts- und Arbeitsleben, Tarifautonomie und Mitbestimmung passen nicht in rechte Konzepte. In der Flüchtlingspolitik haben sich die Gewerkschaften deutlich für eine schnelle Integration in Bildung und Arbeitsmarkt ausgesprochen.
Zunächst gilt: Gewerkschaft ist nicht gleich Gewerkschaft. In die Wahlstatistik fließen auch Beamtenbund und christliche Gewerkschaften ein, deren Mitglieder ein anderes Wahlverhalten zeigen als die der DGB-Gewerkschaften. Aufgrund ihrer geringen Mitgliederzahl können sie aber allenfalls den „Überschuss“ erklären.
Grundsätzlich sind Menschen, die beteiligungsorientiert denken und handeln, weniger anfällig für rechtes Gedankengut. Was GewerkschafterInnen im DGB prägt, ist neben einer solchen solidarischen und beteiligungsorientierten Grundeinstellung ein hohes Maß an kritischer Auseinandersetzung mit der herrschenden Wirtschafts- und Sozialordnung und -politik: Neoliberale Politikkonzepte und die Hartz-IV-Gesetzgebung wurden zum Beispiel massiv kritisiert – jedoch ohne dass sie verhindert werden konnten. Hohe systemkritische Einstellungen bei großer Unzufriedenheit und Ängste vor dem Verlust sozialer Errungenschaften werden durch die partizipative Einstellung nur unzureichend abgewehrt. Deshalb wird ein Teil der Gewerkschaftsmitglieder durch Beteiligung nicht mehr erreicht – auch weil das Vertrauen in Lösungen mit der Politik geschwunden ist.
Gewerkschaften müssen deshalb deutlich machen, dass sie unabhängige Akteurinnen sind. Sie können beispielsweise über die Tarifautonomie auch dann Verbesserungen der wirtschaftlichen und sozialen Lage ihrer Mitglieder erreichen, wenn die Politik ins Gegenteil führt. Zugleich können sie PartnerInnen suchen, um politische Lösungen herbeizuführen. Beides können nur freie Gewerkschaften, die autoritärem rechtem Denken und Staatsverständnis widersprechen. Und nur Gewerkschaften, die mitglieder- und durchsetzungsstark sind.
Nils Kammradt
leitet das Parlamentarische Verbindungsbüro der GEW in Berlin.
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