Kooperation ist das Fundament

Bochumer Memorandum 2011 bis 2017: Gestaltungs- und Steuerungsstruktur vor Ort

Das Bochumer Memorandum beschreibt die Schaffung einer Gestaltungs- und Steuerungsstruktur als einen von zehn Zielbereichen. Angesprochen sind damit die dezentralen Steuerungsfragen innerhalb des nordrhein-westfälischen Bildungswesens. Die Zwischenbilanz des Memorandums von 2014 konstatiert positive Ansätze: Demnach haben die regionalen Bildungsnetzwerke zum Aufbau von wirksamen und positiv aufgenommenen Gestaltungs- und Steuerungsstrukturen beigetragen. Gleichzeitig mahnt die Zwischenbilanz an, Programme und Maßnahmen besser miteinander zu vernetzen: Für eine verbesserte Wirksamkeit sind Koordination und Kooperation gefragt.

Gerade in Nordrhein-Westfalen sind seit nunmehr 20 Jahren zahlreiche Initiativen, Projekte und Vorhaben gestartet und durchgeführt worden, die sich den Aufbau neuer Steuerungs-
mo-delle im Bildungsbereich vorgenommen hatten und haben. Die Bildungskommission NRW hat in ihrer 1995 erschienenen Denkschrift „Zukunft der Bildung – Schule der Zukunft“ die in gemeinsamer Verantwortung zu gestaltenden Bildungsregionen als Beitrag zur Verbesserung der Bildungschancen der Bürger*innen empfohlen. Damit sollte der Anspruch auf Gleichwertigkeit der Lern- und Lebensverhältnisse ebenso erfüllt wie die lokale und regionale Eigengestaltung anerkannt werden.
So wurden die Begriffe „Bildungsregion“ und „Regionale beziehungsweise Kommunale Bildungslandschaft“ in die bildungspolitische Debatte eingeführt, die bis heute – in NRW seit 2008 auch als „Regionale Bildungsnetzwerke“ – mit teilweise sehr unterschiedlichem Bedeutungsinhalt verwendet werden. Gerade die schillernde Metapher der Landschaft wird allzu gerne aufgegriffen, um unterschiedlichste Sachverhalte zu umschreiben: Gärten, in denen viele bunte Blumen blühen, exotische Schlossparks oder eher genormte Schrebergärten werden gleichermaßen mit diesem Begriff belegt. Für die Koordination der „Regionalen Bildungsnetzwerke“ wurden Geschäftsstellen oder Bildungsbüros eingerichtet, in denen kommunales und Landespersonal zusammenarbeiten.

Bildungsakteur*innen: Vielfalt auf kommunaler Ebene

Beim Aufbau und der Gestaltung von kommunalen Bildungslandschaften sind die verfassungsrechtlichen Regelungen und einschlägigen Bundes- und Landesgesetze zu berücksichtigen, die die Zuständigkeit für das Bildungswesen unterschiedlichen Akteur*innen zuweisen. Die Fragmentierung der Zuständigkeiten im Bildungsbereich führt jedoch dazu, dass auch auf kommunaler Ebene mehrere zuständige Akteur*innen das örtliche Bildungswesen aus eigenem Interesse und mit eigenem gesetzlichen Auftrag beeinflussen (können). Kristallisationspunkt ist der erweiterte Bildungsbegriff, der gleichermaßen das Lernen im formalen, nonformalen und informellen Bereich umfasst. Damit sind zugleich sehr unterschiedliche institutionelle Bildungsakteur*innen auf kommunaler Ebene angesprochen: Staatliche, kommunale, nichtstaatliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen sind im Rahmen eines örtlichen Bildungswesens mit unterschiedlichen Interessenlagen und Aufträgen sowie mit ihren jeweils eigenen hierarchischen Strukturen beteiligt.
Auch wenn die Zuständigkeiten für Bildung fragmentiert sind, kann die Gestaltung einer kommunalen Bildungslandschaft nur in gemeinsamer Verantwortung aller relevanten Bildungsakteur*innen erfolgen, das heißt: Alle Beteiligten müssen sich auf eine systematische Kooperation verständigen. Dies ist nur zu erreichen, wenn die Zusammenarbeit von allen gewollt ist, weil sie auf mögliche Vorteile der Kooperation hoffen können.

Kooperation ist das Fundament

Kooperation in alle Richtungen

Vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen Strukturen und Handlungslogiken sind bei allen beteiligten Bildungsakteur*innen zwei Ebenen der Kooperation zu berücksichtigen:
Zum einen ist die Kooperation innerhalb der eigenen Institution gemeint, also das abteilungs-, referats- oder ressortübergreifende Planen und Handeln. Bei einem erweiterten Bildungsverständnis und der Vision eines kohärenten Bildungswesens vor Ort muss davon ausgegangen werden, dass auch andere Ämter und Fachbereiche direkt oder indirekt betroffen sind, in die Gestaltung und damit auch in die Kooperation einbezogen werden müssen. Die interne Kooperationskultur ist bei den verschiedenen institutionellen Bildungsakteur*innen sehr unterschiedlich ausgeprägt, wenngleich sie im Rahmen ihrer eigenen hierarchischen Struktur agieren können. Für alle gilt jedoch gleichermaßen: Eine nur wenig ausgebaute innere Zusammenarbeit erschwert die notwendige Kooperation mit anderen.
Zum anderen ist die Kooperation mit externen Partner*innen und damit eine gemeinsame Bildungssteuerung auf kommunaler Ebene in den Blick zu nehmen. Das Denken und Handeln ausschließlich in den Kategorien eigener Zuständigkeiten muss zugunsten gemeinsam verantworteter Vorgehensweisen überwunden werden. Die Kooperation mit anderen zuständigen Stellen ist nicht trivial. Sie erfordert nicht nur einen gewissen Vertrauensvorschuss auf allen Seiten, sondern auch ein professionelles Herangehen an diese Zusammenarbeit, die nur hierarchiefrei gelingen kann.
Die Kooperation der Kommune mit dem Land ist besonders bedeutsam. Dem Land obliegt nicht nur die Rahmengesetzgebung für viele Bildungsbereiche, sondern auch die unmittelbare Zuständigkeit für die inneren Schulangelegenheiten. Neben der Kommune ist das Land zudem wichtigster Ressourcengeber für das örtliche Bildungswesen. Soll die Verantwortung für die Bildung vor Ort gemeinsam wahrgenommen werden, müssen kommunale Vertreter*innen und die Mitglieder der unteren und oberen staatlichen Schulaufsicht hierarchiefrei zusammenarbeiten können. Die dafür notwendigen Kooperationsmodelle, die häufig in Verbindung mit dem Ansatz einer „Regional Governance“ gesehen werden, sind für beide Seiten nicht selbstverständlich und stecken auch trotz mehrjähriger Erfahrungszeit noch in den Anfängen ihrer Entwicklung.
Auch die Kooperation mit den nichtstaatlichen Bildungsakteur*innen ist nicht widerspruchslos. Ihre Zuständigkeitsbereiche gehen häufig weit über das Einzugsgebiet der Stadt oder des Kreises hinaus und ihre jeweiligen Handlungslogiken sind sehr unterschiedlich. Eine Kooperation mit den Akteur*innen der Zivilgesellschaft erscheint noch problematischer. Sie sind in aller Regel schlecht oder gar nicht organisiert und ihre Handlungsmuster und Zielsetzungen sind oft wenig erkennbar. In diesem Kontext muss auch auf die Stiftungen verwiesen werden, die gut organisiert mit unterschiedlichen Projekten und Förderkonzepten innerhalb der Kommune aktiv sind. Sie leisten mit ihren Bildungsprogrammen und -projekten aktiv oder fördernd einen Innovationsbeitrag oder zeigen Lösungsansätze für bestehende Problemfelder auf.
Eine Alternative zur Kooperation oder besser zum Aufbau einer nachhaltigen Kooperations-kultur aller an Bildung Beteiligten vor Ort gibt es jedoch nicht – abgesehen von einer: Es wird einfach weitergemacht wie bisher.

Die zwei Seiten der Kooperationsmedaille

Während die institutionellen Bildungs-akteur*innen zu einer Steuerung auf kommunaler Ebene, das heißt zu gemeinsamer Abstimmung und Entscheidung finden müssen, stellt eine Beteiligung der Lernenden sowie der im Bildungsprozess tätigen Fachleute die zweite Seite der Kooperationsmedaille dar. Mit ihrer Partizipation auf kommunaler Ebene werden eine Anhörung der Beteiligten sowie eine Beratung durch diese und die Diskussion und Verabschiedung von Empfehlungen zu thematischen und strukturellen Aspekten der Bildungslandschaft angestoßen und organisiert.
Mit dieser Differenzierung wird deutlich, dass zwischen Empfehlungen und Entscheidungen zu unterscheiden ist. Im Sinne angemessener Kooperation muss klargestellt werden: Alle an der Steuerung beteiligten Bildungsakteur*innen nehmen die so verstandene Partizipation sehr ernst, weil sie fachkundige Antworten auf ihre Fragestellungen erhalten wollen, die sie als Empfehlungen ihren Entscheidungsprozessen zugrunde legen.
Die Kooperation mit den relevanten Part-ner*innen vor Ort ist für die beteiligten Bil-dungsakteur*innen keine alltägliche Aufgabe. Die deutlich größere Herausforderung für die Kommune und die staatlichen Akteur*innen ist der Anspruch der gemeinsamen Steuerung. Hier kollidiert das Selbstverständnis von „Regieren“ mit dem Anspruch vom „Kooperieren“. Einerseits ist die staatliche Vorgehensweise durch Gesetze, Erlasse und Verfügungen charakterisiert. Andererseits widerspricht das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung scheinbar dem Anspruch gemeinsamen Steuerns. Obwohl diese Restriktionen zweifelsohne existieren, führt kein anderer Weg zu einer gemeinsamen Gestaltung der kommunalen Bildungslandschaft.
Wenn im Bochumer Memorandum Forderungen und Empfehlungen zur Bildungssteuerung auf kommunaler Ebene formuliert und begründet werden sollen, dann muss die Landesregierung mit allen betroffenen Ressorts und durch alle nachgeordneten Ebenen die Entwicklung der örtlichen Kooperationskultur fördern und unterstützen. Dazu gehört auch, die multiprofessionellen Koordinierungsstellen (Bildungsbüros) dauerhaft mitzufinanzieren.

Wilfried Lohre
Partner im Netzwerk Kommunale Bildung

Fotos: margie, sör alex / photocase.de

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