Raus aus der rechten Szene

Prävention gegen Rechtsextremismus

Wie gelingt der Ausstieg aus der rechten Szene? Dr. Johanna Sigl forscht zu dem Thema an der Leuphana Universität in Lüneburg. Im Interview erklärt sie, wie Rechtsextremismusprävention funktioniert und was ein Ausstieg aus der extremen Rechten für die Betroffenen bedeutet.

nds: Rechte Argumentationslinien sind heute in vielen Kommentarspalten von Sozialen Netzwerken zu finden. Woran liegt es, dass sich immer mehr Menschen trauen, ihre rechte Haltung öffentlich zu machen?

Johanna Sigl: Kommunikation in Sozialen Netzwerken findet zwar online statt, ist dabei aber nicht losgelöst von der Offline-Gesellschaft. Eher lässt sie sich als Brennglas gesellschaftlicher Entwicklungen beschreiben. Die rechtsextremen Haltungen, die in Sozialen Medien geäußert werden, finden sich bei den Personen in ihren politischen Orientierungen wieder, die wiederum nicht zwischen Einstellungen im Internet und im wirklichen Leben unterschieden werden. Mit Sozialen Medien ist in den letzten Jahren ein neuer Resonanzraum entstanden, in dem rechtsextreme Positionierungen geäußert werden können. Ein wichtiges Merkmal dabei ist die Anonymität, die das Internet bietet. Sie setzt die Hemmschwelle für solche Äußerungen herunter, da der Raum zunächst frei von Konsequenzen erscheint. Gleichzeitig weisen erste wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse auf die Wechselwirkungen zwischen rechtsextremer Hetze im Netz sowie Gewalttaten in der realen Welt hin.
Neben der zunehmenden Hate Speech und rechten Hetze, die sich in Social-Media-Kanälen ausbreitet, gibt es aber auch immer mehr Menschen, die sich nicht damit abfinden wollen, dass das Netz ein Ort ist, an dem Menschenverachtung unwidersprochen geäußert werden kann. Mehrere Initiativen sowie Einzelpersonen positionieren sich gegen rechte Hetze und arbeiten der Anonymität und Verrohung entgegen. Zivilcourage in Sozialen Netzwerken ist dringend nötig.

Woran lässt sich Rechtsextremismus eindeutig festmachen?

Provokant gesagt: gar nicht. Die Eindeutigkeit einer Rechtsextremismusdefinition liegt immer in dem eigenen Verständnis des Phänomens begründet. Das, was für die eine eindeutig rechtsextrem ist, wertet der andere als jugendliches Protestverhalten. Innerhalb der Sozialwissenschaften gibt es eine belastbare Begriffdefinition, die sich wiederum inhaltlich von der Definition der Sicherheitsbehörden und damit auch von einem Extremismusbegriff abgrenzt. Die Wissenschaftler Andreas Klärner und Michael Kohlstruck sprechen von Rechtsextremismus als diskursiver Konstruktion und als sozialer beziehungsweise politischer Praxis. Hiermit werden die Einstellungs- sowie die Handlungsmuster einer rechtsextremen Orientierung thematisiert. Rechtsextreme Ideologiefragmente sind beispielsweise Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Sexismus. Momente der diskursiven Begriffsbestimmung werden aktuell immer wieder anhand politischer Debatten um den Umgang mit Flucht und Migration sichtbar. Und ebenso eindrücklich verweisen die Zahlen zu Todesopfern rechtsextremer Gewalttaten auf unterschiedliche Definitionen. So weichen die offiziellen behördlichen Zahlen von den Zahlen, die von antifaschistischen, zivilgesellschaftlichen, journalistischen und wissenschaftlichen Akteur*innen recherchiert wurden, stark nach unten ab. Relevant für pädagogische Kontexte bleibt die Frage nach einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild, denn an ihm bemisst sich die Einschätzung, ob jemand überhaupt noch mit pädagogischen Interventionen erreichbar ist.

Welche Hilfen gibt es für Menschen, die aus der rechten Szene aussteigen wollen? An welcher Stelle setzen Präventionsprojekte an?

In Deutschland existieren mittlerweile ganz unterschiedliche Angebote zur Unterstützung einer Distanzierung von der extremen Rechten. Die Programme und Projekte arbeiten sowohl regional als auch überregional und befinden sich entweder in zivilgesellschaftlicher oder in behördlicher Trägerschaft. In NRW sind die Mitarbeiter*innen von NinA NRW kompetente Ansprechpartner*innen in der professionellen Beratung und Begleitung von Distanzierungsprozessen. Wichtig bei diesem Prozess ist die Reflexion der ehemals vertretenen Handlungs- und Orientierungsmuster. Manchmal erscheint es, als bestünde ein Ausstieg aus der extremen Rechten darin, den Kontakt zu seinen alten Freund*innen abzubrechen, sich durch das Geld eines Ausstiegsprogrammes neue Kleidung kaufen zu können und etwaige Tätowierungen covern zu lassen.
Demgegenüber können Präventionsprojekte, die auf primäre Rechtsextremismusprävention setzen, gar nicht früh genug beginnen, wie zuletzt die durch die Broschüre der Amadeu-Antonio-Stiftung zu Rechtsextremismusprävention in der frühkindlichen Pädagogik unterstrichen wurde. Dabei geht es um die Entwicklung und Stärkung einer demokratiebasierten empathischen Menschenrechtsorientierung. Generell wissen wir: Nicht die moralische Empörung – die richtig und wichtig ist – schafft dabei einen pädagogischen Zugang zu Kindern und Jugendlichen. Stattdessen geht es darum, zu einer eigenen biografischen Auseinandersetzung anzuregen. Was hat Rechtsextremismus mit mir zu tun? Mit meiner Familie und ihrer Geschichte? Welche Rolle spielt es in unserem Stadtteil und welche Vergangenheiten können wir erforschen? Solche biografiebasierten und rekonstruktiven Angebote vertiefen Selbstverstehensprozesse und bieten dadurch eine gute Ausgangslage gegen rechte Orientierungen.
Und nicht zuletzt: Bei allen Angeboten zur Prävention rechtsextremer Orientierungen sollte ein Fokus auf die Stärkung von gegenkulturellen Jugendlichen und ihren Angeboten gelegt werden. Rechtsextreme Orientierungen und Gruppierungen werden an den Orten mehrheitsfähig und damit attraktiv, an denen sie unwidersprochen agieren können. Unterstützung benötigen die Kinder und Jugendlichen, die sich dagegen engagieren.

Wie sollte Extremismusprävention im Bildungsbereich idealerweise aussehen?

Als Rechtsextremismusforscherin kann und möchte ich meinen Fokus auf die Rechtsextremismusprävention richten. Nicht nur begründet mit meiner diesbezüglichen Expertise, sondern auch damit, dass ich dem Ansatz einer Radikalisierungsprävention skeptisch gegenüberstehe, die versucht, verschiedene soziale Phänomene nicht nur zu verbinden, sondern ihre vorhandenen wie konstruierten Gemeinsamkeiten zu betonen.
Gerade in Schulen scheint es schwer zu sein, Rechtsextremismus nachhaltig zu begegnen. Sicher hat das auch viel damit zu tun, dass die inhaltliche, pädagogische sowie die biografische Auseinandersetzung damit in der Ausbildung viel zu wenig Raum bekommt. Eine klare politische Haltung gegen Rechtsextremismus und Menschenverachtung muss nicht nur erarbeitet und immer wieder überprüft werden, sie muss darüber hinaus in pädagogische Handlungskonzepte überführt werden. Gleichzeitig ist der schulische Raum so eng, dass sich Lehrer*innen mit diesen Ansprüchen, die den Rahmen ihres eigentlichen Unterrichts überlagern, häufig überfordert sehen.
Wissenschaftliche Interviews mit Aussteiger*innen zeigen, dass Schule nur in ganz wenigen Fällen als ein Ort erlebt wurde, an dem es zu einer produktiven Verunsicherung und einer anschließenden nachhaltigen Unterstützung im Distanzierungsprozess gekommen ist. Schulische Erlebnisse, in denen rechtsextreme Äußerungen eingesetzt wurden, um Lehrkräfte zu provozieren, und die gleichzeitig dazu führten, dass die rechtsextrem orientierte Person in der Gunst ihrer Mitschüler*innen gestiegen ist, wurden indes häufiger berichtet. Eine pädagogische Haltung, angelehnt an Methoden und Techniken der rekonstruktiven Sozialen Arbeit, kann auch hier ein gutes Angebot formulieren. Darüber hinaus hat sich eine enge und funktionierende Zusammenarbeit zwischen Lehrer*innen, Schulsozialarbeiter*innen und Psycholog*innen als produktiv gezeigt. Dem Argument, dass hierfür häufig die Ressourcen fehlen, muss politisch begegnet werden.


Die Fragen stellte Jessica Küppers.

Fotos: LuchtPomp, prill / photocase.de

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