Schulpolitik NRW: Viele Baustellen für das Schuljahr 2018/2019

Landespressekonferenz der Schulministerin

Bei der Landespressekonferenz des Ministeriums für Schule und Bildung (MSB) NRW zum Beginn des Schuljahres 2018 / 2019 stand ein Thema klar im Mittelpunkt: der eklatante Lehrkräftemangel und der Sechs-Punkte-Plan, mit dem das Ministerium dagegen vorgehen will. Doch die Landesregierung wird sich im neuen Schuljahr noch mehr Aufgaben dringend stellen müssen. Das Statistikpaket zur Pressekonferenz verrät, welche das sind.

Insgesamt steigt die Zahl der Schüler*innen an öffentlichen und privaten Schulen im Schuljahr 2018 / 2019 im Vorjahresvergleich um 0,3 Prozent auf 2.509.014. Steigende Zahlen werden für die Grundschulen, die PRIMUS-Schulen, die Sekundarschulen, die Gymnasien, die Gesamtschulen, die Weiterbildungskollegs und die Freien Waldorfschulen erwartet. Während für die Berufskollegs gleichbleibend rund 562.000 Schüler*innen prognostiziert werden, gehen die Schüler*innenzahlen an Haupt-, Real-, Gemeinschafts- und Förderschulen weiter zurück.Die langfristigen Trends mangelnder Nachfrage insbesondere bei Haupt- und Realschulen sowie steigender Nachfrage bei Gymnasien und den Schulen des längeren gemeinsamen Lernens setzen sich fort.
Die Zahl der Lehrer*innen steigt insgesamt um 1,1 Prozent. Erwartet werden 198.483 Lehrkräfte für das Schuljahr 2018 / 2019. Die Zeiten, in denen Finanzpolitiker*innen auf eine „demografische Rendite“ im Schuletat spekulieren konnten, gehören damit endgültig der Vergangenheit an.

Schulformen in Not: Schulstruktur in NRW weiterentwickeln

Die von Schulministerin Yvonne Gebauer präsentierten Zahlen belegen zudem, dass es dringend geboten ist, sich erneut über die Schulstruktur Gedanken zu machen und Gespräche über eine Weiterentwicklung des Schulkonsenses zu führen. Denn der dramatische Sinkflug bei den Haupt- und Realschulen wird andauern und sich über das Schuljahr 2018 / 2019 hinaus fortsetzen. Derzeit gibt es in NRW nur noch 244 Hauptschulen, also 23,5 Prozent weniger als im Schuljahr 2017 / 2018. Fatal für die Perspektive dieser Schulform ist jedoch, dass von diesen 244 Schulen 82, also ein Drittel, auslaufend sind. Die Zahl der Realschulen ist zum Schuljahr 2018 / 2019 um fast zwölf Prozent zurückgegangen; von den verbleibenden 429 Realschulen sind 60 auslaufend.
Ein Vergleich mit dem Schuljahr 2013 / 2014 zeigt, wie dramatisch die Entwicklung ist: Gab es damals noch insgesamt 1.102 Haupt- und Realschulen, wird es nach der Schließung der bereits jetzt auslaufend gestellten Schulen nur noch 531 Haupt- und Realschulen geben. Das ist weniger als die Hälfte.
Auch bei der Zahl der nicht zu besetzenden Stellen lohnt ein Blick auf die Lage bei den einzelnen Schulformen. Dramatisch ist die Situation vor allem an den Förderschulen, an denen nur 41,8 Prozent der offenen Stellen besetzt werden konnten. In absoluten Zahlen: 523 von 899 Stellen an den 478 Förderschulen in NRW sind weiterhin vakant. An den Grundschulen lag die Besetzungsquote bei 52,9 Prozent, an den Hauptschulen bei 57,9 Prozent und an Realschulen bei 52,7 Prozent.

Jede zehnte Schule ohne Leitung: Bessere Rahmenbedingungen schaffen

Verbessert hat sich im Schuljahr 2018 / 2019 die Besetzung der Stellen für Schulleiter*innen zum Stichtag 31. Juli 2018. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Besetzungsquote von 84,65 Prozent auf 90,73 Prozent gestiegen. So weit, so gut. Aber an jeder zehnten Schule in NRW arbeitet das Kollegium noch immer ohne Leitung. Im Schulformvergleich ohne Berücksichtigung der PRIMUS- und der Gemeinschaftsschulen fallen erneut die Hauptschulen ins Auge: Nur drei von vier Hauptschulen haben eine*n Schulleiter*in und auch die Besetzungsquote bei den stellvertretenden Schulleitungsstellen ist unterirdisch schlecht.
An dieser Stelle wird klar, wie dringend die Arbeitssituation für diese Kolleg*innen an Haupt- und Grundschulen weiterhin verbessert werden muss. Die Besoldungserhöhung für stellvertretende Schulleiter*innen an Grund- und Hauptschulen von Januar 2018 war ein notwendiger Schritt. Wenn jedoch immer noch jeweils ein Viertel der Stellen vakant ist, besteht weiterhin Handlungsdruck.

Kommunaler Investitionsstau: Mittel aus „Gute Schule 2020“ nutzen

Die von Ministerin Yvonne Gebauer präsentierten Zahlen zum Programm „Gute Schule 2020“ bestätigen Presseberichte und den Eindruck der Kolleg*innen vor Ort: Es gibt noch Luft nach oben. Das sinnvolle und über Parteigrenzen hinweg akzeptierte Kreditprogramm, das langfristig kommunale Investitionen in die Sanierung, die Modernisierung und den Ausbau der Schulinfrastruktur vor Ort finanziert, konnte noch nicht die gewünschte Wirkung entfalten.
Die Kommunen als Schulträger fordern mehr Zeit ein, die sie für eine sorgfältige Planung brauchen, bevor sie Mittel aus dem Programm abrufen können. Bleibt zu hoffen, dass aufgeschoben nicht aufgehoben bedeutet. Würden Investitionen in öffentliche Schulinfrastruktur zum Beispiel an unzureichenden Planungskapazitäten scheitern, wäre einmal mehr bewiesen, wer sich den „schlanken Staat“ leisten kann und wer nicht.


Michael Schulte
Geschäftsführer der GEW NRW

Fotos: iStock.com / tomazl, Skarie20

 

Kommentar

PR-Panne oder Provokation?

Same procedure ... Am Ende der Sommerferien lädt das Schulministerium zur Pressekonferenz. Für Yvonne Gebauer war es die zweite. Im letzten Jahr noch innovativ außer Haus, in diesem Jahr in der Landespressekonferenz im Landtag. Neuer Ort und neue Botschaft? Vielleicht gar Hinweise zu der lange überfälligen Attraktivitätssteigerung im Lehrberuf?
Medien, Eltern und die Beschäftigten in den Schulen interessierte im Vorfeld der Pressekonferenz vor allem eins: Welche Vorschläge würde die Ministerin zur Behebung des eklatanten Lehrkräftemangels machen? Wenn von den im Jahr 2018 zu besetzenden 9.623 Stellen nur magere 5.929 besetzt und 3.694 Stellen nicht besetzt werden konnten, sollten die Alarmglocken läuten.
Also sind die folgenden Fragen nicht nur legitim, ihre Beantwortung ist zwingend: Was plant die Landesregierung zur langfristigen Nachwuchssicherung? Gibt es endlich, nach fast einem Jahr, eine Konkretisierung der Ankündigung, für die gleiche Bezahlung gleichwertig ausgebildeter Lehrer*innen sorgen zu wollen? Werden jetzt Initiativen vorbereitet, um die Belastung der Kollegien nachhaltig zu reduzieren? Wie will die Landesregierung Studienabbrüche vermeiden und das Referendariat attraktiver gestalten? Kurzum: Hat das Schulministerium, hat die Landesregierung ein Konzept, um den Lehrberuf und die Ausbildung dafür attraktiver zu gestalten? Fehlanzeige wie im Vorjahr, Fehlanzeige wie in den Vorjahren.
Halt, nicht ganz: In der Pressemitteilung des Schulministeriums taucht der Begriff „Attraktivitätssteigerung“ ja doch auf, wenn auch nur ein einziges Mal! Fast 20.000 Lehrer*innen waren laut schulministerieller Statistik im vergangenen Schuljahr 61 Jahre und älter. Nennen wir sie einfach einmal „rentennah“. Wenn diese Kolleg*innen unter den derzeit schlechten Bedingungen bis zum Ruhestand durchhalten und danach weiterhin ihren (freiwilligen) Beitrag zur Sicherung der Unterrichtsversorgung leisten wollen, dann soll sich das für sie lohnen. Das Ministerium spricht von „Gewinnung von Pensionären für den Schuldienst durch Attraktivitätssteigerung“. Es sei den Kolleg*innen aus vollem Herzen gegönnt.
Wer jedoch aktuell für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der im Dienst befindlichen Kolleg*innen nichts zu bieten hat, sollte sich angesichts zahlreicher Forderungen, den Lehrberuf endlich und dauerhaft attraktiver zu gestalten, sehr genau überlegen, in welchem Kontext er von „Attraktivitätssteigerung“ spricht. Panne oder Provokation?

Michael Schulte

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