Bundeswehr rekrutiert Minderjährige: Jugendliche schützen!

Action und Abenteuer? Jugendliche stärker schützen!

Die Zahl der 17-Jährigen, die von der Bundeswehr an der Waffe ausgebildet werden, nimmt seit Jahren zu – 2.128 Minderjährige waren es in 2017. Die Vereinten Nationen, die Kinderkommission des Bundestags, Friedens- und Kinderrechtsorganisationen protestieren. Die Bundesregierung duckt sich weg.

Wer jünger als 18 Jahre ist, hat in Deutschland keine Stimme bei Bundestagswahlen, darf keinen hochprozentigen Alkohol kaufen, nicht rauchen und nicht allein Auto fahren, bekommt keine Karten für bestimmte Kinofilme, und auch viele Shooter-Videospiele sind erst für volljährige Gamer*innen freigegeben. Was für unter 18-Jährige in Deutschland jedoch nicht nur erlaubt ist, sondern sogar staatlich gefördert wird, ist ihre Ausbildung an realen Schusswaffen, um im Ernstfall andere Menschen zu töten. Deutschland ist einer von nur noch 46 Staaten weltweit, deren Militär bereits Jugendliche an der Waffe ausbildet. Und die Zahl der 17-Jährigen in der Bundeswehr nimmt seit Jahren stark zu: Waren es 2011„nur“ 689, verdreifachte sich die Zahl der minderjährigen Soldat*innen bis 2017 auf 2.128 – bisheriger Höchststand. Rund zehn Prozent der jährlichen neuen Rekrut*innen sind noch nicht volljährig. Doch warum bildet die Bundeswehr überhaupt so junge Leute aus?

Bundeswehr will Minderjährige nicht an den zivilen Arbeitsmarkt verlieren

Das erklärte Christian Nachtwey vom Bundesministerium der Verteidigung im Januar 2016 in einer Sitzung der „Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder“ des Bundestags – kurz: Kinderkommission: „Es geht […] darum, den Interessierten am Ende der Schulzeit ein Angebot zu machen, denn eventuell entstehende Überbrückungszeiten sind dazu geeignet, jemanden zu einer anderen Entscheidung kommen zu lassen und einen anderen Arbeitgeber zu wählen, der möglicherweise für ihn günstiger ist, der ihn schneller einstellt, der ihm schneller die Möglichkeit eröffnet, eine Ausbildung zu beginnen und das erste Geld zu verdienen.“ Die Bundeswehr hat eine schlichte Sorge: Wer nach der zehnten Klasse die Schule beendet, aber noch zu jung ist, um einen Ausbildungsvertrag bei der Armee zu unterschreiben, wird eher einen zivilen Arbeitgeber wählen. Damit diese jungen Leute der ohnehin von Personalmangel geplagten Bundeswehr nicht verloren gehen, sind ihr auch minderjährige Berufseinsteiger*innen willkommen – Erlaubnis und Unterschrift ihrer Erziehungsberechtigten vorausgesetzt.
Gleich in drei Sitzungen befasste sich die Kinderkommission, die dem „Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ beigeordnet ist, im Frühjahr 2016 mit Minderjährigen beim Militär. Dabei ging es nicht nur um die Ausbildung junger Menschen an Waffen, sondern auch um die Werbemaßnahmen der Bundeswehr: Seit November 2015 fährt die Armee unter dem Motto „Mach, was wirklich zählt“ eine Werbekampagne, die jährlich mehr als zehn Millionen Euro kostet. Die Zielgruppe für die Werbung, zu der auch verschiedene Serien auf dem Video-portal „YouTube“ gehören, ist dabei sehr jung: „Wir sprechen ja nicht gezielt ausschließlich die 17-Jährigen an, sondern wir sprechen junge Menschen an und differenzieren dabei nicht, ob sie 15 Jahre alt sind“, so Christian Nachtwey vom Verteidigungsministerium vor der Kinderkommission. Es war das erste Mal, dass sich ein Vertreter der Bundesregierung umfassend und öffentlich für die Rekrutierung Minderjähriger und die auf Kinder und Jugendliche abzielende Armeewerbung rechtfertigen musste. Denn der Druck von Friedens- und Kinderrechtsorganisationen, die Rekrutierungspraxis zu ändern, wächst seit Jahren – und die Bundesregierung schweigt, wo sie kann. Sogar bei den Vereinten Nationen (UN) war der Umgang der Bundeswehr mit Kindern und Jugendlichen schon Thema.

UN fordert: Minderjährige stärker vor Avancen der Bundeswehr schützen!

Als Unterzeichnerin der UN-Kinderrechtskonvention und ihrer Zusatzprotokolle ist die Bundesrepublik dazu verpflichtet, über den Stand der Umsetzung der Kinderrechte Bericht zu erstatten. Allerdings dürfen sich auch Nichtregierungsorganisationen an den zuständigen „UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes“ wenden und ihre Sicht zum Umgang mit Kindern in Deutschland schildern. Dies hat etwa das „Deutsche Bündnis Kindersoldaten“, zu dem unter anderem „terre des hommes“, UNICEF Deutschland und die „Kindernothilfe“ gehören, 2013 getan und den „Schattenbericht im Rahmen des Staatenberichtsverfahrens zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes und zum Fakultativprotokoll betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten“ vorgelegt. Darin kritisiert Autor Dr. Hendrik Cremer vom „Deutschen Institut für Menschenrechte“ Besuche der Bundeswehr an Schulen sowie die Rekrutierung von 17-Jährigen.
Ein Jahr später kommentierte der UN-Ausschuss die Berichte aus Deutschland – und folgte dabei der Kritik und Argumentation der Kinderrechtsorganisationen. Zwar begrüßte der Ausschuss die Bemühungen Deutschlands, die Kinderrechte einzuhalten, zeigte sich aber auch in einigen Punkten besorgt. Und zwar über „die Möglichkeit für Jugendliche ab 17 Jahren, freiwillig die militärische Ausbildung bei den Streitkräften zu beginnen; darüber hinaus laufen sie Gefahr, sich strafbar zu machen, falls sie beschließen sollten, die Streitkräfte nach Ablauf der Probezeit zu verlassen, […] verschiedene Werbekampagnen für die Streitkräfte, die insbesondere auf Kinder abzielen, sowie die Präsenz von Vertretern der Streitkräfte im schulischen Bereich, die mit Schülerinnen und Schülern sprechen und Aktivitäten organisieren“.
In dem im Januar 2014 veröffentlichten Papier empfiehlt der „UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes“ der Bundesrepublik, „das Mindestalter der Rekrutierung für die Streitkräfte auf 18 Jahre“ festzulegen und „alle Formen von Werbekampagnen für die deutschen Streitkräfte, die auf Kinder abzielen“, zu verbieten. Die Bundes-regierung ignoriert die Forderungen bis heute.

Gefährliche Zerrbilder: Kinderkommission stützt UN-Forderungen

Dabei hat die Kinderkommission die UN-Forderungen 2016 sogar nochmals deutlich unterstrichen: Neben Christian Nachtwey klärten Expert*innen von „terre des hommes“, der Kindernothilfe, der GEW, der militärkritischen „Informationsstelle Militarisierung“ sowie Psycholog*innen und Medienwissenschaftler*innen die Bundestagsabgeordneten auf. Eine Schülerin schilderte zudem, wie sie Bundeswehrwerbung an ihrer Schule erlebt hatte – sie berichtete auch vom Druck, der an Schulen auf junge Leute ausgeübt wird, die sich gegen Auftritte von Soldat*innen wehren.
Ralf Willinger vom Kinderhilfswerk „terre des hommes“ und Sprecher des „Deutschen Bündnisses Kindersoldaten“ kritisierte vor der Kinderkommission im Januar 2016 speziell die „Mach, was wirklich zählt“-Kampagne, denn sie betone insbesondere den Aspekt von Abenteuer, Challenge, Fun oder Action. „Viele Soldaten sehen das genauso, weil sie die Realität, die die Jugendlichen oder jungen Erwachsenen nachher in der Bundeswehr vorfinden, überhaupt nicht abbilde“, fügte Ralf Willinger hinzu und erläuterte: „Das kann dazu führen, dass sich Jugendliche mit einem völlig falschen Bild für die Bundeswehr interessieren. Aus unserer Sicht ist das auch aus kinderrechtlichen Aspekten nicht zulässig. Das ist also auch ethisch sehr fragwürdig.“
Die Sitzungen der Kinderkommission mündeten im September 2016 in einer Stellungnahme, die im Konsens von allen (!) Mitgliedern des Ausschusses verabschiedet wurde – also von Abgeordneten aller damaligen Bundestagsfraktionen. Darin fordern die Politiker*innen unter anderem:

  • die Anhebung des Mindestalters für den Dienstbeginn von Soldat*innen auf 18 Jahre,
  • die vollständige Umsetzung der Empfehlungen des „UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes“ an die Bundesrepublik Deutschland sowie
  • ein Verbot von Werbung für die Bundeswehr, die an Minderjährige gerichtet ist.

Starke Bündnisse schaffen – auch mit der Bildungsgewerkschaft!

Sowohl die klaren Forderungen der Kinderkommission als auch die des „UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes“ haben den Druck auf das Verteidigungsministerium massiv erhöht, seine Rekrutierungspraxis zu ändern. Das „Deutsche Bündnis Kindersoldaten“ hat Anfang 2016 gemeinsam mit weiteren Organisationen wie der GEW die Kampagne „unter18nie“ gegründet – für ein Ende der Ausbildung Minderjähriger an der Waffe. Mehr als 30.000 Unterschriften konnte das Bündnis im August 2017 an Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen übergeben.
Die Argumente sind ausgetauscht. Doch auch wenn die SPD-Bundestagsfraktion sich mittlerweile für „unter18nie“ ausspricht, hält die Regierung als Ganzes an minderjährigen Rekrut*innen in der Armee fest. Auch die gezielte Begeisterung von Kindern und Jugendlichen für das Militär soll weitergehen – unter anderem durch Besuche von Jugendoffizier*innen und sogenannten Karriereberater*innen der Armee an Schulen. Im Herbst 2018 wollen sich die Friedens- und Kinderrechtsorganisationen und auch die GEW zu dem Thema neu organisieren und eine neue Kampagne ins Leben rufen, um den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen. Keine leichte Aufgabe. Um Kinder und Jugendliche zu schützen, ist deshalb ein starkes, breites Bündnis gefragt.


Michael Schulze von Glaßer
freier Journalist und politischer Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen

Fotos: iStock.com / zabelin; iStock.com / Zeferli; M. Schulze von Glaßer

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