Sabbatjahr: Ein Jahr Auszeit

Erfahrungen mit dem Sabbatjahr

Einfach mal raus aus dem Alltag! Das Sabbatjahr lässt die Wunschvorstellung vieler Beschäftiger auch für Lehrkräfte Realität werden. Im Interview mit der nds erzählen die beiden Gesamtschullehrer*innen Anke Böhm und Tino Orlishausen von ihren persönlichen Erfahrungen.

nds: Von einem Sabbatjahr träumen angesichts der steigenden Arbeitsbelastung für Lehrkräfte sicher viele. Doch nur wenige ziehen es am Ende wirklich durch. Haben sich eure Auszeiten gelohnt?

Tino Orlishausen: Das Sabbatjahr war eine der intensivsten Erfahrungen in meinen Leben. Gelohnt hat es sich sowohl beruflich als auch persönlich. Als Philosophie- und Geschichtslehrer konnte ich die Zeit nutzen und mich in vielen Bereichen fortbilden, mit fremden Kulturen in Kontakt treten und mir ein eigenes Bild vor Ort machen. Als Mensch verließ ich meine Komfortzone und bin schließlich an den Aufgaben und Herausforderungen gewachsen. Alte Gewissheiten wurden dabei über Bord geworfen und neue Fragen beziehungsweise Sichtweisen werden mich sicherlich die nächsten Jahre weiter begleiten.
Anke Böhm: Auch für mich hat sich diese Auszeit sehr gelohnt. Ich hatte zu dieser Zeit so ziemlich „den Kaffee auf“ von Schule. Und das Sabbatjahr war dann genau das Richtige für mich. Der absolute Bruch mit dem Gewohnten, mit dem Alltag hat mich sehr erfrischt, mir neue Energie gegeben und auch neue Perspektiven und Sichtweisen eröffnet. Außerhalb der Trampelpfade des Bekannten konnte ich mich ganz neu erleben. Das größte Geschenk in dieser Zeit war für mich: Zeit haben. Ein unglaublicher Luxus!

Wozu habt ihr die freie Zeit genutzt?

Tino Orlishausen: Ich habe zum Ende des letzten Schuljahres meine Wohnung aufgelöst, mein Auto verkauft und meinen gesamten Besitz auf den Prüfstand gestellt. Das meiste habe ich verschenkt, verkauft oder schlicht weggeworfen. Ich nutzte die Zeit hauptsächlich zum Wandern, Meditieren, Lernen und Zuhören. Dabei startete ich mit einem Rucksack und viel Optimismus in Ladakh in Nordindien. Meine Reise begann in einem buddhistischen Kloster, ich besuchte Dharamsala, den Wohnsitz des Dalai Lama, Rishikesh, Varanasi und Bodhgaya. Danach zog es mich für mehrere Monate nach Nepal. Ich wanderte den Annapurna Curcuit im Himalaya und den Drei-Pass-Trek. Den Sonnenaufgang hinter dem Mount Everest sehen zu dürfen, war sicherlich ein Highlight meiner Reise. Im Oktober verbrachte ich mehrere Wochen in Thailand, lernte dort tauchen und auch mal das Leben in seinen vollen Zügen zu genießen. Über die Weihnachtsferien vertiefte ich meine Kenntnisse im Yoga und verbrachte eine intensive Zeit in Ubud in Indonesien. Im zweiten Schulhalbjahr kehrte ich zurück zum Wandern. Ich lief viele berühmte Wege in Neuseeland und den Camino frances, also den Jakobsweg. Im Juni beendete ich meine persönliche Reise in Jerusalem. Insgesamt nutzte ich die Zeit für eine intensive Auseinandersetzung mit mir selbst und meinen Einstellungen, lernte neue Sprachen und viele tolle Menschen kennen.
Anke Böhm: Ich habe meine Zeit zweigeteilt, entsprechend meiner Interessen. Auf keinen Fall wollte ich dieses Jahr zu Hause verbringen. Ich war dann ein halbes Jahr in Peru und habe dort in zwei verschiedenen sozialen Projekten gearbeitet. Eines war an der Küste. Dort habe ich an einer Schule für geistig und körperlich behinderte Kinder und Jugendliche geholfen. Außerdem habe ich Alphabetisierungskurse für Erwachsene und schulische Unterstützung für Kinder an einer konfessionellen Schule angeboten. Und dann war ich noch in einem sozialen Projekt in der Nähe von Cusco auf 3.500 Metern Höhe. Dieses Projekt bietet Frauen Arbeit und soziale Anerkennung. Die Frauen stellen Puppen in Handarbeit und aus Naturmaterialien her. Ich habe dort in der Kindertagesstätte gearbeitet und auch, wenn es nötig war, in den Werkstätten. Zu diesem Projekt habe ich immer noch sehr enge Beziehungen. Ich bin mit den Projektleiter*innen und auch mit einigen der dort arbeitenden Frauen gut befreundet. Auch habe ich zwei Patenkinder, die ich seitdem regelmäßig besuche und unterstütze.
Die andere Hälfte des Sabbatjahres habe ich in Norddeutschland verbracht. Dort war ich als Praktikantin auf einem Reiterhof mit dem Schwerpunkt „Therapeutisches Reiten“. Mein Pferd und mein Hund waren dabei. Ich konnte Reitunterricht nehmen, bei der heilpädagogischen Förderung mit dem Pferd helfen und die freie Zeit für Ausritte in der wunderschönen Landschaft nutzen.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, ein Sabbatjahr zu machen?

Tino Orlishausen: In den Sommerferien vor vier Jahren merkten meine damalige Freundin und ich, dass wir keine Zeit haben, wirklich über unsere persönlichen Ziele im Leben nachzudenken. Die Schule fraß extrem viel Zeit und Ressourcen. Am Ende der Sommerferien fühlten wir uns überhaupt erst dazu in der Lage, darüber zu sprechen. Jedoch begann dann wieder das Schuljahr und das Hamsterrad drehte sich von Neuem. Wir wollten aber nicht die großen und wichtigen Entscheidungen im Leben neben Leis-tungskursklausur und Lehrerkonferenz treffen. Das fühlte sich einfach nicht angemessen an.
Anke Böhm: Ich war an einem Punkt, an dem ich dringend etwas verändern musste: die Schule wechseln, den Beruf wechseln, den Wohnort wechseln oder ein Sabbatjahr machen. Verschiedene Freund*innen hatten schon eines gemacht und mir begeistert davon berichtet.

Hattet ihr Schwierigkeiten? Worauf ist bei der Planung besonders zu achten?

Anke Böhm: Schwierigkeiten? Eigentlich keine. Ich musste meinen Hund und mein Pferd im ersten Halbjahr gut unterbringen. Doch dafür boten sich sehr gute Lösungen an. Alles andere wie Auto, Versicherungen, Schriftverkehr stellt kein wirkliches Problem dar. Für all das ergeben sich gute Lösungen, wenn man danach sucht.
Tino Orlishausen: Ich habe es ehrlicherweise völlig unterschätzt, keine Wohnung und damit keinen Rückzugsort mehr zu haben. Es war doch teilweise eine große Belastung, immer wieder den Rucksack zu packen und, gerade in Asien, das Klima, die Menschen und die Regeln vor Ort zu akzeptieren.
Auch gab es Schwierigkeiten in der Kommunikation mit Verwandten, Freund*innen und Bekannten. Ich verließ mich vollständig auf mein Gefühl, buchte meine Flüge manchmal erst am Vormittag der Abreise und wusste erst dann, wie es weitergeht. Für viele wirkte es chaotisch und planlos, obwohl es einfach nur planfrei war. Es ist eine Herausforderung, sein persönliches soziales Netz nicht zu verlieren und trotzdem ohne Plan reisen zu können. Ich würde wahrscheinlich das nächste Mal eine monatliche Mail oder Bilder schicken. Viele Menschen interessierten sich sehr für mich und meine Reise. Das hatte ich zuvor einfach nicht bedacht.

Welche Tipps würdet ihr Lehrkräften geben, die mit dem Gedanken spielen, ein Sabbatjahr einzulegen?

Tino Orlishausen: Beantragen! Das Modell in NRW ist sehr kolleg*innenfreundlich. Man sollte auf jeden Fall den Erwartungsdruck dämpfen. Man kann nicht alles in einem Jahr machen. Aber der wichtigste Tipp: Wenn man es wirklich machen will, findet man einen Weg. Wenn man es nicht machen will, wird es immer einen Grund dagegen geben. Unser Verstand ist sehr gut im Finden von Gründen. Also einfach mal auf das Bauchgefühl hören!
Anke Böhm: Wenn man ein Sabbatjahr machen will, sollte man es einfach machen. Sich nicht mit Wenns und Abers von dieser Idee abhalten lassen. An meiner Schule hat in den letzten 23 Jahren außer mir kein Mensch ein Sabbatjahr gemacht. Das kann ich gar nicht verstehen. Die finanziellen Einschränkungen, die man natürlich in Kauf nehmen muss, zahlen sich auf anderer Ebene doppelt und dreifach aus.


Die Fragen für die nds stellte Jessica Küppers.

Fotos: white-studio, kemai / photocase.de

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