Bildung für alle ermöglichen

Bochumer Memorandum 2011 bis 2017: Weiterbildungsförderung

Während dieser Beitrag entsteht kommt die Pressemitteilung aus dem Ministerium für Schule und Weiterbildung: 6,25 Millionen Euro zusätzlich für die Weiterbildung stehen im zweiten Nachtragshaushalt 2016. Doch nach der ersten Freude stellt sich Skepsis ein: Werden es wieder nur Projektmittel sein? Wie ist es mit der zeitlichen Befristung? Wer bekommt das Geld? Bewegen wir uns tatsächlich einen Schritt in die richtige Richtung?

Ja, ein Blick in den Haushaltsplan zeigt, dass es doch vorangehen kann. Es ist tatsächlich  ein Schritt in die richtige Richtung. Endlich scheint der Trend zu einem immer weiter sinkenden prozentualen Anteil der Mittel für die Erwachsenenbildung gebrochen. Tatsächlich handelt es sich unter anderem um eine mittelfristig – nämlich bis 2019 – angelegte Anhebung der Mittel für die Weiterbildungsförderung nach dem Weiterbildungsgesetz NRW. Ein vor rund zehn Jahren eingebauter Konsolidierungsbeitrag von 15 Prozent ist nun auf 10 Prozent gesenkt.  Die Kürzung der Mittel in der Weiterbildung ist also einen Schritt zurückgenommen.
Vom Ziel, die Mittel für die Weiterbildung nach dem Weiterbildungsgesetz NRW kontinuierlich auf einen Anteil von einem Prozent des Bildungsetats des Landes anzuheben, sind wir dennoch sehr weit entfernt, obwohl das Ziel aktueller ist denn je. Schließlich müsste heute die Forderung schon anders lauten: Ein Prozent plus noch viel mehr, denn neben den schon lange bekannten Aufgaben kommen neue hinzu.

Gesetzliche Finanzierungsgrundlage für den Flickenteppich Weiterbildung

Die Finanzierung der gemeinwohlorientierten Weiterbildung in NRW ist im Weiterbildungsgesetz NRW seit rund 40 Jahren gesetzlich verankert. Hier ist eine anteilige Finanzierung der Einrichtungen durch eine Mischung aus Stellen- und Angebotsförderung definiert. Die genaue Ausgestaltung der Höhe der finanziellen Mittel erfolgt jedoch im Landeshaushalt.
Im Wesentlichen regelt das Weiterbildungsgesetz NRW die Förderung  der Volkshochschulen sowie der Einrichtungen in anderer Trägerschaft – zum Beispiel der kirchlichen Träger, der Erwachsenenbildung, der Einrichtungen der politischen Bildung oder aber auch der freien anerkannten Weiterbildungsträger. Das Spektrum reicht vom Bildungswerk der Erzdiözese Köln über das dialog Bildungswerk in Greven hin zur Volkshochschule Kamen oder der städtischen Familienbildungsstätte in Bochum und nicht zuletzt dem DGB-Bildungswerk NRW in Düsseldorf. Und so finden sich schließlich auch im Haushalt der GEW NRW Mittel aus dem Weiterbildungsgesetz mit einem hohen fünfstelligen Betrag.

Damals wie heute: Unser Auftrag ist unser Selbstverständnis

Der Blick zurück in die Zeit nach der Verabschiedung des Weiterbildungsgesetztes NRW vor rund 40 Jahren erinnert an den gesetzlichen Auftrag und das Selbstverständnis der gemeinwohlorientierten Weiterbildung. Es waren gute und aufregende Zeiten für die Weiterbildung. Die geförderten Einrichtungen waren ein Ort der politischen Diskussion, den viele der heute in der Erwachsenenbildung Aktiven in dieser Form nur aus Erzählungen kennen. Die Weiterbildung stand für „Bildung für alle“ und setzte einen Schwerpunkt in der politischen Bildung, Bildungsferne und Bildungsbenachteiligte rückten als Zielgruppen in den Fokus – und zwar nicht nur in hohlen Phrasen. Es gab Kurse, die man auch in Wechselschicht besuchen konnte, Kurse für Jungarbeiter (und natürlich auch Jungarbeiterinnen) und ein Grundbildungsprogramm in allen Bereichen. Und ja: Auch die Bildung neu ins Land gekommener Menschen war bereits fester Bestandteil des Programms. Eigentlich war es ein Bildungsverständnis, wie es sich Beschäftigte in der Weiterbildung heute auch wieder oder immer noch gerne vorstellen. Auch später, als in den 1980er Jahren die imaginierten Interessen der Marktteilnehmer vielerorts in den Vordergrund rückten und damit auch die Ökonomisierung der Weiterbildung anstand, blieb bei den meisten Einrichtungen die Emanzipation der Einzelnen und die Vorstellung einer gerechten (Bildungs-)Gesellschaft im Fokus.
Und so ist das Selbstverständnis der Weiterbildung auch heute: Sie fördert und entwickelt das politische Bewusstsein und das bürgerschaftliche Engagement der Bevölkerung. Sie unterstützt ihre TeilnehmerInnen beim Erwerb beruflicher Kompetenzen und Qualifikationen. Sie fördert das Zusammenleben in der Familie, im Betrieb, in der Nachbarschaft und auch die Möglichkeit zur internationalen Verständigung. Sie steht für Chancengerechtigkeit. Die Frage ist jedoch: Kann Weiterbildung das mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln?

Angebote bezahlbar machen – Arbeit fair bezahlen

Die Unterfinanzierung der Einrichtungen führt dazu, dass finanzielle Notwendigkeiten über Inhalte dominieren. Wer kann es sich leisten, nicht den Tabletkurs, sondern den Gesprächskreis für Angehörige psychisch Kranker anzubieten? Die Herangehensweise der Weiterbildung ist eben nicht nur marktorientiert. Sie bietet nicht nur das an, wofür die Nachfrage an die Tür klopft. Sie versucht ebenso diejenigen zu erreichen, für die Bildung keine Selbstverständlichkeit ist, sucht nach versteckten Bildungsbedarfen, entwicket entsprechende Angebote und sucht den Kontakt vor Ort.
Wenn die Weiterbildung ihrem Bildungsauftrag gerecht werden will, braucht sie Entgelte, die es Teilnehmenden auch bei geringem Erwerbseinkommen ermöglichen einen Kurs zu besuchen. Und sie braucht Entgeltordnungen, die es den EmpfängerInnen von Sozialleistungen ebenfalls ermöglichen. Sie braucht gut ausgebildetes und entsprechend bezahltes Personal, das ihren Bildungsauftrag erkennt und vermittelt.
Denn andernfalls gilt, was die PIAAC Studie im Jahr 2013 für die gesamte und vor allem die berufliche Weiterbildung festgestellt hat: Dann entscheidet soziale Herkunft in in besonderer Weise über die Kompetenzen. Dann fehlen im Erwachsenenalter Chancen, vorher nicht erworbene Kompetenzen auszugleichen. Dann wird die Personengruppe, die in der Schule geringe Kompetenzen erworben hat und in der PIAAC-Studie am schlechtesten abschneidet, vergleichsweise wenig an Weiterbildung beteiligt.

Steigende Bildungsbedarfe für eine friedliche Gesellschaft

Rund drei Viertel der in den letzten Jahren zu uns Geflüchteten sind älter als 15 Jahre und fallen damit unter den Förderbereich des Weiterbildungsgesetzes. Doch nur ein Teil von ihnen kann aufgrund gesetzlicher Vorgaben an Integrationskursen oder an durch die Agentur für Arbeit geförderten Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung teilnehmen. Bei einem großen Teil der neu Zugereisten ist aber von einem langen Aufenthalt in Deutschland auszugehen und alle haben ein Recht auf Bildung. Dabei geht es nicht nur um Deutschkurse, sondern um alle Angebotsbereiche – von der politischen Bildung bis zu Angeboten der Familienbildung.
Die steigenden Bildungsbedarfe betreffen jedoch nicht nur die Geflüchteten direkt. Angebote wie Argumentationstrainings gegen rechte Stammtischparolen oder die Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements in der Flüchtlingshilfe tragen nicht nur zur Entlastung der Systeme bei. Sie bieten die Voraussetzung für den gesellschaftlichen Frieden und Zusammenhalt in einer Gesellschaft, die von Pluralität geprägt ist und von Solidarität lebt.

Weiterbildung endlich als Hauptberuf anerkennen

Ein Prozent des Bildungsetats für die Weiterbildung – das heißt nicht nur mehr Geld für zusätzliche Stellen beim festangestellten Personal und die Sicherung eines bezahlbaren und bedarfsgerechten Angebots. Es heißt vor allem auch, die Aussicht auf eine entsprechende Bezahlung der Lehrkräfte. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen man mit Fug und Recht von nebenamtlichen Kursleitenden sprechen konnte. Nicht nur in den Integrationskursen, sondern in allen Bereichen der Erwachsenenbildung, in den Fremdsprachen und der politischen Bildung, im Gesundheitsbereich, in der kulturellen Bildung und in der Umweltbildung haben immer mehr Lehrkräfte ihre Tätigkeit in der Erwachsenenbildung zu ihrem Hauptberuf gemacht. Sie sind professionelle ErwachsenenbildnerInnen – und genauso soll es auch sein.
Dem veränderten Berufsbild trägt die Honorarstruktur jedoch in keinster Weise Rechnung. Nach wie vor orientieren sich die Honorarsätze am Bild der nebenamtlichen Lehrkraft, für die das Honorar ein netter Zusatzverdienst ist. Krankenkassenbeiträge in voller Höhe, Rentenversicherung in voller Höhe oder eine Absicherung für Zeiten der Erwerbslosigkeit sind nicht vorgesehen. Die sollen ja durch die hauptamtliche Tätigkeit in einem anderen Beruf abgedeckt werden.
Wenn die Mittel für die Weiterbildung gleich bleiben, so wirkt sich das direkt auch auf die Honorare aus. Eine Deckelung der Fördersummen heißt in vielen Fällen auch eine Deckelung des Honorars. Eine kontinuierliche Erhöhung des Honorars analog zu den tariflichen Steigerungen im öffentlichen Dienst ist in vielen Einrichtungen unvorstellbar, in anderen Einrichtungen wird sie durch erhöhte Entgelte aufgefangen. Die nun erfolgte Mittelsteigerung ist für diesen Bereich nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Wir dürfen es nicht vergessen: Die Unterfinanzierung der gemeinwohlorientierten Erwachsenenbildung geht zulasten eines bedarfsorientierten und langfristig angelegten nachhaltigen Angebots. Und sie erfolgt im Wesentlichen auf dem Rücken der Honorar-kräfte. Wir brauchen ein Prozent und wir sind weit davon entfernt.

Helle Timmermann
Leitungsteam der Fachgruppe Erwachsenenbildung der GEW NRW

Fotos: Fabian Gehweiler, emoji / photocase.de

 

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