Pflegen und Karriere machen – geht das?

Pflegende Berufstätige

Wer pflegt, muss selbst zurückstecken: weniger Geld, Rente und Karriereoptionen. Dazu kommt eine hohe Mehrbelastung. Deshalb fordert der Sozialverband VdK Nordrhein-Westfalen mehr Unterstützung für pflegende Angehörige. Denn ohne sie würde das Pflegesystem zusammenbrechen.

Fast alle pflegenden Berufstätigen haben damit zu kämpfen, dass Arbeitszeiten und Pflegetätigkeit miteinander kollidieren. Ursache hierfür ist unter anderem, dass die Pflege beziehungsweise der Pflegeverlauf unplanbar sind und sich der Eintritt in die Pflegebedürftigkeit sowie Dauer und Umfang der Pflege selten im Voraus abschätzen lassen. Krankheitsverläufe verschlechtern sich zum Teil innerhalb kürzester Zeit und sind individuell. Häufig gelingt die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf wegen der dauerhaften Mehrfachbelastung sowie den daraus resultierenden Zeitkonflikten nicht und pflegende Angehörige müssen ihre Erwerbstätigkeit aufgeben oder ihre Wochenarbeitszeit reduzieren. Man geht davon aus, dass dies auf rund ein Drittel der pflegenden Angehörigen in Erwerbsarbeit zutrifft.

Passende Angebote für pflegende Arbeitnehmer*innen fehlen

Viele pflegende Beschäftigte würden eigentlich gerne weiterarbeiten, ihnen fehlen aber die passenden Angebote, um Beruf und Pflege besser aufeinander abzustimmen. Bedenkt man, dass in Zeiten von Fachkräftemangel viele Unternehmen auf diese Weise wichtige Arbeitskräfte verlieren, gilt es zu reagieren und Beruf und Pflege besser miteinander vereinbar zu machen. Zwar hat der Gesetzgeber beispielsweise mit der gesetzlichen Pflegezeit sowie der Familienpflegezeit reagiert. Die Inanspruchnahme beider Angebote ist jedoch – Stand heute – eher gering und auch viele Arbeitgeber unternehmen noch zu wenig. Angesichts des prognostizierten konstanten Anstiegs der Zahl der Pflegebedürftigen muss hier dringend Abhilfe geschaffen werden.

Angehörige stemmen den Großteil der Pflege in Deutschland

Nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit erhielten am 31. Dezember 2017 knapp 3.302.000 Pflegebedürftige Leistungen von der Sozialen Pflegeversicherung. Hiervon werden mehr als 76 Prozent, also rund 2,5 Millionen Menschen, ambulant und „nur“ 780.000 Menschen stationär versorgt. Von den Personen, die nicht im Heim untergebracht sind, werden die meisten allein von Angehörigen und ein geringerer Teil aus einem Mix von Angehörigen und ambulanten Diensten beziehungsweise ausschließlich durch Pflegedienste versorgt. Allein diese Verteilung macht deutlich, welche wichtige Rolle pflegende Angehörige in Deutschland spielen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch gerne vom „größten Pflegedienst der Nation“. Ohne dieses Engagement würde das deutsche Pflegesystem innerhalb von Stunden kollabieren, weil es beispielsweise zu wenig Pflegeheimplätze oder Personal gibt.
Zahlen von pflegenden Angehörigen in Erwerbsarbeit gibt es momentan nicht. Eine aktuelle Analyse des Zentrums für Qualität und Pflege (ZQP) zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege legt Daten des Sozioökonomischen Panels zugrunde, das die Anzahl der erwerbstätigen pflegenden Angehörigen in 2012 auf 2,6 Millionen schätzt. Die Interessenvertretung begleitender Angehöriger und Freunde in Deutschland e. V. vermutet, dass 10 bis 15 Prozent der Arbeitnehmer*innen einen Angehörigen pflegen oder einen pflege- oder hilfebedürftigen Menschen in der Familie haben. Betrachtet man ausschließlich erwerbstätige pflegende Angehörige, die täglich mindestens zwei Stunden pflegen, zählt man immer noch mehr als eine halbe Millionen Menschen in Deutschland.
In der Regel pflegen Frauen, meistens Töchter oder Schwiegertöchter, Ehepartnerinnen oder Mütter. Zwar steigt auch der Anteil der Männer sukzessive an. Laut der Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell 2012“ werden Pflegebedürftige aber immer noch zu 64,9 Prozent durch Frauen gepflegt.

Pflege und Beruf – eine hohe Doppelbelastung

Erwerbstätige pflegende Angehörige haben vor allem mit der Doppelbelastung zu kämpfen – und in der Folge Angst, ihren Aufgaben nicht mehr gerecht zu werden oder ihren Job zu verlieren. Studien zeigen, dass Vereinbarkeitskonflikte am Arbeitsplatz zu erheblichen Stressoren führen. Viele fühlen sich dauerhaft überlastet, daher leidet dieser Personenkreis häufiger an Depressionen, Angst- und Schlafstörungen sowie psychischen Problemen. Reduzierte Leistungsfähigkeit und hohe Fehlzeit können die Folge sein – das wiederum belastet auch die Arbeitgeber. Letztere tragen jedoch auch zum Problem bei, indem das Thema Demenz in vielen Unternehmen keine Beachtung findet. Die ZQP-Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass 47 Prozent der befragten Unternehmen meinen, dass die Pflege von an Demenz erkrankten Angehörigen bei betriebsinternen Angeboten für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege keine Rolle spiele. Hinzu kommt, dass in 58 Prozent der befragten Unternehmen keine betrieblichen Angebote zur besseren Vereinbarkeit etabliert oder geplant sind.
Weiterhin interessant ist, dass Personen mit einem hohen Sozialstatus weniger Bereitschaft zeigen, einen Angehörigen zu pflegen, als Personen, die sozial schlechter gestellt sind.  Gründe hierfür sind laut Robert Koch-Institut unter anderem Opportunitätskosten, die entstehen, wenn man durch die Pflege von Angehörigen auf berufliche und soziale Handlungsoptionen verzichten muss. Daraus kann man ableiten, dass viele Erwerbstätige mit der Pflege von Angehörigen schlechtere Karrierechancen verbinden.

Neue rechtliche Rahmenbedingungen

In den vergangenen Jahren hat der Gesetzgeber versucht, die Situation von pflegenden Angehörigen durch neue rechtliche Rahmenbedingungen zu verbessern. Hierzu zählen unter anderem:

  • Kurzzeitige Arbeitsverhinderung: Sie räumt Arbeitnehmer*innen eine Freistellung für bis zu zehn Arbeitstage ein, um nahe Angehörige zu pflegen. Als Entgeltausgleich kann man ein Pflegeunterstützungsgeld in Anspruch nehmen.
  • Pflegezeit: Sie ermöglicht die Freistellung oder die Reduzierung der Wochenarbeitszeit für bis zu sechs Monate. Da für diese Zeit kein beziehungsweise ein verringertes Arbeitsentgelt gezahlt wird, besteht die Möglichkeit von Förderungen in Form eines Darlehens für die Hälfte des Lohnausfalls.
  • Familienpflegezeit: Dieses Modell bietet die Möglichkeit, Pflege und Beruf über einen Zeitraum von maximal zwei Jahren zu kombinieren. Dabei wird die Arbeitszeit beispielsweise um 50 Prozent reduziert, die Bezüge jedoch zu 75 Prozent ausbezahlt. Die verringerte Arbeitszeit muss wöchentlich mindestens 15 Stunden betragen. Nach dieser Zeit geht es zurück in die Vollzeit, bei weiterhin 75 Prozent des Arbeitsentgelts. Es handelt sich dabei jedoch um eine freiwillige Leistung von Unternehmen, die mehr als 25 Mitarbeiter*innen haben.

Hinzu kommen die Möglichkeiten der Verhinderungspflege sowie der medizinischen Rehabilitation. Viele dieser Angebote werden aber nur sehr wenig in Anspruch genommen. So wurden 2014 gerade einmal 5,4 Prozent der zur Verfügung gestellten Mittel für Verhinderungspflege genutzt. Das zinslose Darlehen wurde im Jahr 2017 lediglich 181 Mal bewilligt – von einer Entlastung kann man daher kaum sprechen.  
Die Gründe dafür sind sehr verschieden: Zum einen haben die Angehörigen mit komplexen Anträgen zu kämpfen, beispielsweise für Rehabilitationen. Zum anderen fehlt es bundesweit an Einrichtungen, die spezifische Angebote für Pflegebedürftige und deren Angehörige anbieten. 

Pflegende brauchen mehr Unterstützung

Der Sozialverband VdK Nordrhein-Westfalen fordert schon lange Verbesserungen für pflegende Angehörige. Sie sind hoch belastet, geben ihren Beruf auf, verzichten auf Einkommen und müssen mit niedrigen Renten auskommen. Deshalb brauchen sie dringend mehr Unterstützung und Entlastungsangebote, die individuell auf die jeweilige Situation angepasst werden können. Darüber hinaus macht sich der VdK Nordrhein-Westfalen dafür stark, dass Lohnersatzleistungen wie beispielsweise das Elterngeld auch in der Pflege eingeführt werden. Mehrmonatige berufliche Freistellungen sollten dementsprechend aus Steuergeldern finanziert werden. Außerdem brauchen berufstätige pflegende Angehörige eine Rückkehrgarantie in ihren Betrieb.


Martin Franke
Referent für Sozialpolitik des Sozialverbands VdK Nordrhein-Westfalen

Fotos: Elizaveta Galitckaia / shutterstock.com; Fotolia.com / De Visu, Halfpoint

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