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Digitalisierung an der Hochschule

Digitalisierung an Hochschulen betrifft komplexe Vorgänge in Lehre, Forschung und Verwaltung. Deutschlandweit stehen Hochschulen vor der Aufgabe, diese so zu bewältigen, dass vor allem das Personal nicht überfordert zurückbleibt. Wir haben mit Hochschulmitarbeiter*innen und Gewerkschafter*innen gesprochen, die in ihrer Arbeits- und Studienumgebung mit unterschiedlichen digitalen Anforderungen zurechtkommen müssen.

Eine große Sorge der Beschäftigten an Hochschulen ist, dass die Digitalisierung als Geld- und Personalsparmodell genutzt wird. Personalräte an Hochschulen sind gefordert, die Digitalisierungsprozesse – sofern sie ihren Vertretungsbereich betreffen – zu begleiten. Wird das gut umgesetzt, werden Ressourcen nicht eingespart, sondern Stellen geschaffen, sagt Birgit Feldmann von der Fernuniversität Hagen, die als Abteilungsleiterin für Digitale Medien Services am Zentrum für Medien & IT und Vorsitzende des Personalrats der wissenschaftlich und künstlerisch Beschäftigten eine wichtige Schnittstellenfunktion innehat.
„Digitalisierung steht und fällt mit der Qualifikation des Lehrpersonals. Daher dürfen wir die mit Lehre und Betreuung ausgelasteten Beschäftigten in technischen und organisatorischen Fragen nicht alleine lassen“, macht sie deutlich. „Mitarbeiter*innen müssten ausreichend qualifiziert sein, um mit technischen Mitteln adäquat umgehen zu können. Um diese Bedarfe aufzufangen, brauchen wir die Unterstützung der Hochschule.“ Eine regelmäßige Finanzierung bildet hierbei das Fundament. An der Fernuniversität Hagen werden fast alle Projekte eigenfinanziert vorangetrieben, teilweise erfolgt auch eine Unterstützung durch Drittmittel. Birgit Feldmann wünscht sich, dass der neue Forschungsschwerpunkt „Lebenslanges Lernen –
Diversität und Digitalisierung“ als wichtiger Prozess wahrgenommen wird, der Dauerstellen braucht. „Idealerweise speisen sich langfristige Projekte aus grundständigen Mitteln, denn die Digitalisierung ist eine Daueraufgabe“, sagt die Personalrätin.

Tabuzone Digitalisierung

Für viele Universitätsmitarbeiter*innen ist das Thema Digitalisierung in seiner Gesamtheit kaum fassbar. „Es hat sich um das Stichwort ‚Hochschuldigitalisierung‘ eine Art Tabuzone gebildet“, meint Dr. Susanne Achterberg, Vorsitzende des Personalrats der wissenschaftlich und künstlerisch Beschäftigten an der Bergischen Universität Wuppertal. Dabei geht es vielen Kolleg*innen nicht darum, sich Neuerungen gegenüber zu verschließen. Sie wollen
vielmehr, dass ihre oft pragmatischen Erfahrungen und Einwände gehört werden. „Ich erlebe eine große Skepsis, aber niemand traut sich wirklich diese Bedenken zu äußern“, macht die Personalrätin deutlich. „Wer will bei all dem Fortschrittsstreben schon als rückwärtsgerichtete Bremse erscheinen?“
Viele wissenschaftliche Mitarbeiter*innen fragen sich, ob sie kompetent genug sind, die Anforderungen der Digitalisierung zu erfüllen. Gleichzeitig ist das Arbeitsvolumen durch die Zahl der Studierenden enorm angestiegen und auch die Anforderungen an das Produzieren von Forschungsergebnissen wachsen stetig. „Im Grunde wird vorausgesetzt, dass Wissenschaftler*innen sich Digitalisierung schon
irgendwie aneignen oder bestenfalls mitbringen. Über Fortbildungsprogramme wird kaum nachgedacht und es gibt wenig Raum, um Ängste und Sorgen zu kommunizieren“, macht Dr. Susanne Achterberg deutlich. „Technikeinsatz allein reicht nicht aus“, meint auch Birgit Feldmann. „Es muss immer auch der Aspekt der Betreuung gegeben sein.“ Der Hagener Personalrat hat sich daher für eine gute technische Infrastruktur stark gemacht, in der Fachdidaktiker*innen zusammen mit Techniker*innen agieren. Inzwischen werden individuelle Weiterbildungsmaßnahmen für Wissenschaftler*innen auch vonseiten der Professor*innen gefördert. Eine eigene Servicestelle bietet Schulungen zum Verhalten vor der Kamera an oder stellt redaktionelle Unterstützung zur Seite.
Und daneben gibt es an den Hochschulen des Landes auch wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, denen eine persönliche Beziehung zu den Studierenden wichtig ist. Sie möchten ihr Wissen nicht nur virtuell vermitteln, sondern gemeinsam um Erkenntnis kämpfen. Das macht für sie gute Lehre aus.

Digitalisierung als unsichtbare Arbeit

 

Dass sich klassische Lehre und digitale Formate nicht ausschließen müssen, zeigt ein Beispiel der RWTH Aachen. In den propädeutischen Seminaren der Politikwissenschaftlerin Dr. Maike Weißpflug findet das sogenannte Blended Learning konkrete Anwendung. Hierbei werden herkömmliche Lehrformate um digitale Bausteine erweitert, um Raum für Anwendungsfragen zu gewinnen.
Mit der Unterstützung von studentischen Hilfskräften erstellt die Dozentin kurze Videos zum wissenschaftlichen Arbeiten. Darin werden handwerkliche Themen behandelt, die viel Erklärleistung voraussetzen, aber nicht sonderlich anspruchsvoll sind. Der Vorteil: Die Videos sind jederzeit abrufbar und sie entsprechen dem intuitiven Surfverhalten der Studierenden. Die Lehrenden erhoffen sich qualitativ bessere Hausarbeiten von dem Format. Die Kehrseite: Es ist viel Eigenleistung der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen gefordert, die oft zulasten ihrer eigenen Qualifikation geht. Dr. Maike Weißpflug betont aber auch, dass „in Aachen eine gute Förderstruktur herrscht“. Sowohl auf Hochschul- als auch auf Fakultäts-ebene werden jährlich Töpfe bereitgestellt, aus denen die Institute Gelder für digitale Projekte beantragen können. Doch finanzielle Grund-sicherung allein reicht nicht. „Wir brauchen mehr unbefristete Stellen im akademischen Mittelbau, die solche Projekte über längere Zeit entwickeln und betreuen können“, betont die Dozentin. Genau wie Birgit Feldmann sieht Dr. Maike Weißpflug die Digitalisierung der Hochschulen im Bereich der Daueraufgaben und das müsse sich auch in entsprechenden Stellenprofilen niederschlagen. Ihrer Einschätzung nach wird viel unsichtbare Arbeit nach unten durchgegeben, dort müsse man sich dann mit den Defiziten des Systems herumschlagen.
Stefan Brackertz, Promotionsstudent an der Universität zu Köln und Mitglied im Sprecher*innenteam des Landesauschusses der Studierenden (LASS) der GEW NRW, kritisiert: „Oft haben die Digitalisierungsangebote nur mit Komfortgewinn, aber nichts mit den eigentlichen Problemen, beispielsweise denen der Studienordnung, zu tun. Oder wie passt eine Höchststudiendauer, wie es sie in einigen Studiengängen gibt, mit dem Diversitygedanken oder einem Teilzeitstudium zusammen?“ Bei diesen Fragen helfen Online-Plattformen wenig.

Pragmatismus und Mangelverwaltung ohne Fehlerkultur

Klips 2.0 ist die Plattform zur Verwaltung des Lehr- und Prüfungsangebots der Universität zu Köln. „Eine unerfreuliche Sache, weil sie hauptsächlich dafür da ist, Seminarplatzmangel und die Restriktionen der Prüfungsordnungen zu verwalten“, macht Stefan Brackertz klar. „Die Plattform ist genauso schlecht zu bedienen,  wie ihre Aufgabe es vorgibt.“ Der LASS fordert daher eine Entschulung der Studiengänge, das erspare ebenfalls den dazugehörigen Verwaltungsapparat. Bei einem ausreichenden Angebot an Seminarplätzen entfiele die müßige Platzvergabe und übrig bliebe eine Plattform, die ein übersichtliches Vorlesungsverzeichnis vorhält.
Positiv hebt Stefan Brackertz die Arbeit der Studienbeiräte hervor, in denen Studierende mehr Mitspracherecht haben und sich intensiver mit zentralen Fragen des Studiums, auch denen der Digitalisierung, auseinandersetzen können. Diese Hochschulgremien sind zur Hälfte mit wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und Professor*innen, zur anderen Hälfte mit Studierenden besetzt. Gemeinsam arbeiten sie an der inhaltlichen Entwicklung des Studiums.
Trotzdem vermissen er und seine Gewerk-schaftskolleg*innen eine ausgeprägte Fehler-kultur an den Hochschulen. „Die Debatte darum, was ein gutes Studium ausmacht, ist sehr von einem kuriosen Pragmatismus geprägt“, sagt Stefan Brackertz. Selten werde eine intellektuelle Auseinandersetzung damit gesucht, die kritisch die Vergangenheit und die Entwicklung der letzten Jahre hinterfragt. Diese Fragestellungen seien aber notwendig, um zu konkreten Reformen zu kommen, die nicht an den Problemen vorbeigehen.
„So gut wie nie wird hinterfragt, wie man aus Fehlern lernen kann“, kritisiert der Doktorand. „Das ist wie in der Forschung, in der auch keine Nullergebnisse publiziert werden. Wenn sich dahingehend etwas ändern würde, wäre das ein qualitativer Durchbruch.“ Aber einfach nur Vorgänge online zu stellen, damit man nicht bangen muss, abgehängt zu werden, könne nicht die Lösung sein.

Chancen nutzen, Personal schützen

Wichtig sei, verdeutlicht Dr. Maike Weißpflug, im Hinblick auf die Digitalisierung der Hochschulen, zwischen Verwaltung und Lehre zu unterscheiden. Bei der Digitalisierung der Lehre geht es oft um einzelne kleine Projekte, während die Digitalisierung der Verwaltung sich mit dem Prüfungs- und Lehrveranstaltungsmanagement auseinandersetzt. „Bei uns im Institut ist das sehr positiv gelöst, weil die Verwaltungsauf-gaben vollständig von nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter*innen auf unbefristeten Stellen durchgeführt werden“, sagt sie.
Natürlich gebe es Hürden im Digitalisierungsprozess, fasst die Wissenschaftlerin zusammen. „Andererseits haben wir die Chance, sehr viele neue Tätigkeitsfelder zu schaffen. Dabei muss vor allem die Personalentwicklung Schritt halten, sonst verstärken wir den Effekt, dass wir wissenschaftliches Personal auf befristeten Stellen über die Maßen belasten.“

Roma Hering, freie Journalistin

Fotos: himberry, simonthon.com, view7 / photocase.de

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