Das persönliche Gesundheitsprogramm

Work-Life-Balance für Lehrer*innen

Inklusion, Bildung für Geflüchtete und G 8 – die Aufgaben im Bildungsbereich verdichten sich immer weiter, während die Rahmenbedingungen kaum mitwachsen. Wie kann es Lehrer*innen gelingen, dennoch die ganz persönliche Work-Life-Balance zu wahren?

In Wellenbewegungen, so scheint es, wird das Thema Lehrergesundheit immer wieder in den Fokus der Gesellschaft gerückt. Eben noch als wichtig erachtet, kommen aber schon in den nächsten Tagen neue Herausforderungen auf die Schule zu. Dann richtet sich das Augenmerk der Verantwortlichen auf neue Großprojekte, die gestemmt werden wollen. Während die Umsetzung der Inklusion an den Schulen noch in vollem Gange ist, sind nun durch die politischen Veränderungen die Bildung und die Integration geflüchteter Kinder und Jugendlicher an erste Stelle gerückt, dazu kommen der Umgang mit traumatisierten Familien sowie die Sprachprobleme. Die Schulen werden auch das irgendwie meistern, so wie vieles vorher auch. Doch wer ist „Schule“?

Wichtiger denn je: Selbst-Führ-Sorge

In NRW arbeiteten im Schuljahr 2014 / 2015  in den Schulen 167.142 Lehrkräfte, egal ob verbeamtet oder angestellt, in Voll- oder Teilzeit. Sie alle versuchen seit Langem sich damit zu arrangieren, was Politik beschließt. Für sie bedeutet die zunehmende Arbeitsverdichtung zum Beispiel, dass sie nach Einführung von G 8 sehr lange Schultage mit Unterricht haben, denen anschließend noch die Arbeitsphase am häuslichen Arbeitsplatz folgt. Das wird schon in einer normalen Phase zeitlich eng und verschärft sich enorm, wenn Klausurphasen, Beratungstage, Projekte, Schüleraustausch, Schulinspektion und anderes auf den Plan kommt. Betrachtet man dazu die Rahmenbedingungen – etwa die baulichen Gegebenheiten in Schulen –, wird schnell deutlich, dass Lehrkräfte oft keinen Rückzugsort haben, um irgendwann zur Ruhe kommen zu können. Dem schließen sich immer häufiger noch lange Anfahrtswege an.
Hier wird deutlich, dass sich die Arbeitsbedingungen in allen Bereichen stark verschlechtert haben und die Kolleg*innen gut für sich sorgen müssen, um sich für die gesellschaftliche wichtige Aufgabe, die Lehrer*innen erfüllen, fit zu machen oder zu halten. Die „Selbst-Führ-Sorge“ – also die Kompetenz, sich selbst gut zu führen – ist heute wichtiger denn je. Die erschreckenden Zahlen von zunehmenden, vor allem psychischen Erkrankungen sprechen eine deutliche Sprache. Nur wer sich selbst gut führt, sich langfristig gesund erhält, kann auch Wissen und Werte an eine neue Generation authentisch weitergeben. Statt von Work-Life-Balance sollten wir besser von „Balancing“ sprechen, denn so wird der aktive Part einer und eines jeden deutlich, selbstständig und eigenverantwortlich für die eigene Gesunderhaltung zu sorgen. Das ist unbequem, aber es ist ein erster Schritt. Work-Life-Balancing zielt präventiv darauf ab, sich selbst in den Fokus zu setzen und dann gegenzusteuern, wenn das Arbeits- und Privatleben aus dem Ruder zu laufen scheinen.

Wenn das Privatleben alles fordert

Neben den hohen gesellschaftlichen und schulischen Belastungen kommen auch für Lehrer*innen die besonderen Anforderungen des modernen Privatlebens hinzu. Der Begriff „Rushhour des Lebens“ deutet bereits darauf hin, dass in bestimmten Lebensphasen außerhalb der Schule viel los ist. Karriereaufbau und Familiengründung, Bauphasen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Pflege von Familienangehörigen sorgen für viel Wirbel. Wie kann man das alles unter einen Hut bringen?
Wie in allen Lebensbereichen gibt es auch hier keine Patentrezepte. Jede Lehrkraft erlebt Situationen und Belastung anders, jede hat einen anderen Biorhythmus und viele haben sich bereits kleine Nischen organisiert. Hilfreich für Lehrer*innen sind Reflexionen, um sich Klarheit über die persönliche Situation zu verschaffen: An welcher Stelle im gesamten Leben neigt sich die Waage gerade zu sehr? Wo werden zu viel Kraft und Energie abgezogen, ohne dass es eine Entlastung gibt? Welcher Bereich stört am meisten? Dabei geht es um Entscheidungen, die jeder Mensch in seinem Leben trifft und mit deren Konsequenzen über Jahre gelebt wird. Wie überfrachtet ein Leben sein kann, wie viel Kraft und Zeit in Sammelleidenschaften und selten genutzte Hobbyartikel fließen, ist nur ein Aspekt. Oft lässt sich ein Alltag besser organisieren, wenn der Haushalt überschaubar ist und das Wochenende tatsächlich freie Zeit zur Regeneration übrig lässt.

Misten Sie doch mal aus!

Ballast abzuwerfen ist wichtig und dieser Ballast kann Dinge und Beziehungen ausmachen. Sich von Altlasten zu trennen, loszulassen, ist eine Befreiung. „Simplify your life“ ist eine sehr effektive Art, achtsam das eigene Leben zu beobachten. Durchstöbern Sie mit dieser Methode die Dinge, die Sie umgeben. Oft sind es geschätzte Objekte, die Erinnerungen tragen, die wir festhalten wollen. Ein gutes Beispiel sind Bücher, die uns schon lange begleiten. Fragen Sie sich, wie viel Ihnen diese Titel bedeuten. Werden Sie diese Bücher noch einmal lesen? Ist im Zeitalter von digitalen Lesegeräten noch immer die Bibliothek als Spiegel der Identität ausschlaggebend?
Doch auch metaphorisch gedacht, muss das übervolle Regal erst entrümpelt werden, ehe Neues Platz bekommen kann. Gehen Sie kritisch durch Ihr Arbeitszimmer und checken Sie Ihre Schulmaterialien. Sind sie noch zeitgemäß und einzusetzen? Falls nicht, sorgen Sie für Luft! Gehen Sie wie in diesem Beispiel sorgsam durch Ihre persönlichen Dinge und üben Sie das Loslassen. Es reist sich besser mit leichtem Gepäck. Was ist jetzt wirklich wichtig? 

Mit anderen Augen auf den Job blicken

Wenn klar ist, dass die bildungspolitische Situation nicht so schnell verändert werden kann, muss man sich mit den Vorgaben arrangieren. Da hilft es, die Perspektive zu verändern und die eigene Haltung zu begutachten. Wie viel Positives erfährt man im Job? Wie gut ist die Unterstützung im Kollegium? Was macht Spaß? Wie sieht es mit der Zeiteinteilung aus? Ist der Austausch im Lehrerzimmer in den Pausen nutzbringend und wertvoll, eventuell sogar zeitsparend? Vielleicht gibt es Möglichkeiten Schultraditionen, die nicht mehr zeitgemäß sind, durch weniger personalintensive auszutauschen? Was macht letztendlich gute Lehrer*innen aus? Die Antworten auf diese Frage sind oft überraschend: Es sind die zwischenmenschlichen Dinge wie Humor, Empathie, pädagogisches Talent, Kommunikation, die genannt werden. Überarbeitung und Krankheit gehören nicht dazu.
Hilfreich ist eine effektive Arbeitsweise, die Wesentliches vom Unwesentlichen trennt. Ebenso bietet sich an, achtsam das eigene Verhalten zu beobachten und herauszufinden, wo unnütze Zeit einfach verrinnt. Ablenkungen wie das Internet, in dem man sich doch schnell verlieren kann, weil immer wieder etwas Interessantes auf dem Bildschirm auftaucht, ist einer der Faktoren.
Lehrer*innen tun gut daran, möglichst früh eigenverantwortlich gut für sich zu sorgen und durch bewussten Umgang mit Zeit Prioritäten zu setzen. Rituale helfen dabei, zunächst Abstand zu finden und zum Beispiel bei einer Tasse Tee oder Kaffee den Fokus auf eigene Bedürfnisse zu lenken. Sich professionell abgrenzen zu können ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit der Gesunderhaltung. Die eigene Work-Life-Balance sollte das persönliche Projekt sein, das einen wichtigen Stand im Alltag einnimmt. Regelmäßige Nischen und Ruheoasen zu finden, Bewegung, gute Ernährung und ein intaktes Netz aus Freunden und Familie unterstützen dabei. Ein gutes Schulklima, in dem die Schulleitung ihre Verantwortung für die Kolleg*innen ernst nimmt und Lehrer*innen sich gegenseitig stützen, statt in einem Konfliktsumpf zu verfallen, entlastet alle. Diese Aufgabe nach außen in die Gesellschaft zu tragen, wäre ein Fortschritt.

Susanne Rolf-Dietrich M. A.
Coach für Selbst- und Stressmanagement, Resilienz, Vereinbarkeit von Familie und Beruf / Pflege / Demenz sowie Krisenbewältigung

Foto: marabukappa / photocase.de

 

Sabbatjahr und Co

Auszeit vom Job

Sich intensiv weiterbilden, reisen, Zeit mit der Familie verbringen oder Angehörige pflegen – das Berufsleben lässt dafür kaum Zeit. Verschiedene Freistellungsmöglichkeiten schaffen die notwendige Zeit.
Das Sabbatjahr – oder besser: die Jahresfreistellung – ist eine besondere Teilzeitbeschäftigung, die drei bis sieben Jahre dauern kann. Die Arbeitszeitermäßigung erfolgt zusammenhängend am Ende des Bewilligungszeitraumes als volle Freistellung. Bei dreijähriger Teilzeitbeschäftigung nach diesem Modell werden zum Beispiel durchgängig zwei Drittel der Dienstbezüge gezahlt, wobei jedoch zwei Jahre in Vollzeit gearbeitet werden muss und direkt im Anschluss daran eine einjährige Freistellung erfolgt. Die Jahresfreistellung kann auch wiederholt gewährt werden. Die Teilzeitbeschäftigung nach dem Sabbatjahrmodell beginnt für LehrerInnen jeweils am 1. August und endet am 31. Juli. Anträge sind bis zum 1. Februar für das kommende Schuljahr auf dem Dienstweg der zuständigen Schulaufsichtsbehörde vorzulegen. Die Ablehnung eines Antrags auf Sabbatjahr darf nur mit Zustimmung des Personalrats erfolgen (§ 72 Abs. 1 Nr. 10 LPVG). Die GEW NRW fordert im Rahmen der Dienstrechtsreform eine weitere Flexibilisierung des Sabbatjahres, etwa die Option, ein halbes Sabbatjahr zu nehmen oder angesparte Zeit nicht direkt im Anschluss, sondern später zu nehmen.
Auf Antrag können BeamtInnen und Angestellte  ihre regelmäßige Arbeitszeit bis auf die Hälfte ermäßigen oder Urlaub ohne Dienstbezüge bis zu einer Dauer von zwölf – zukünftig 15 – Jahren in Anspruch nehmen. Voraussetzung: Die AntragstellerInnen müssen mindestens ein Kind unter 18 Jahren oder einen pflegebedürftigen Angehörigen betreuen.
Beamtete Lehrkräfte können auf Grundlage des Paragrafen 74 LBG NRW in Verbindung mit der Freistellungs- und Urlaubsverordnung Sonderurlaub erhalten.
Für Lehrkräfte im Tarifbeschäftigungsverhältnis bietet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder Arbeitsbefreiung (§ 29 TV-L) – zum Beispiel für die Niederkunft der Ehefrau oder der Lebenspartnerin, bei schwerer Erkrankung von Angehörigen oder bei Erkrankung minderjähriger Kinder.

Ute Lorenz
Referentin für Beamtenrecht und Mitbestimmung der GEW NRW

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