Sprachhürden überwinden

Sprach- und Bewegungscamp: Ferienprojekt der Uni Duisburg-Essen

Um neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen einen Zugang zu Sprache zu ermöglichen, kann Sport eine wichtige Brücke sein. Deshalb bietet die Universität Duisburg-Essen im Rahmen eines Kooperationsprojekts ein Sprach- und Bewegungscamp für diese besondere Lerngruppe an. In den Ferien ermöglicht es durchgängiges Lernen und verhindert Leerlauf in der Freizeit der Schüler*innen.

In den Osterferien 2016 fand das Sprach- und Bewegungscamp zum ersten Mal statt: Die 60 Teilnehmer*innen waren neu zugewanderte Kinder und Jugendliche im Alter zwischen acht und 18 Jahren mit unterschiedlichen Fluchterfahrungen. Das Angebot ist eine Zusammenarbeit zwischen den am Institut für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache angesiedelten Projekten „Förderunterricht“ und „ProDaZ“ und des Instituts für Sport- und Bewegungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Das Sprach- und Bewegungscamp bietet neu Zugewanderten einen außerschulischen Lernort, bereitet sie in der Ferienzeit gezielt auf schulische Lerninhalte vor und stärkt ihr Selbstbewusstsein durch Bewegung und Sport.

Bewegtes Lernen mit wichtigen Nebeneffekten

Neben Studierenden, die im Vorfeld speziell für die sprachliche Förderung qualifiziert werden, gestalten Sportstudent*innen das Camp von der Konzeption bis zur Umsetzung. Vormittags werden Sprachkurse auf unterschiedlichen Niveaus angeboten. Nachmittags – nach einer gemeinsamen Mittagspause in der Mensa der Universität Duisburg-Essen – nehmen die Kinder und Jugendlichen an unterschiedlichen Sportaktivitäten teil. Sie tanzen, spielen Basketball oder Fußball. Sprachförderung und Sport – beide Elemente nehmen im Rahmen des Projekts wechselseitig Bezug aufeinander: Im Sprachunterricht werden zum Beispiel charakteristische Verben und deren Imperative eingeübt, die dann im jeweiligen Sportangebot angewendet werden können. Das Camp fördert zugleich die kognitive und persönliche Entwicklung der neu zugewanderten Kinder und Jugendlichen. Es stärkt die sozialen und interkulturellen Kompetenzen aller Beteiligten und sorgt für einen wichtigen Ausgleich, denn Bewegung begünstigt den Aufbau neuer Nerven- und Gehirnzellen und den Abbau von Stress. Besonders für Geflüchtete, die auf ihrem Weg nach Deutschland häufig Stress ausgesetzt waren und hier unter Druck stehen, möglichst schnell Deutsch zu lernen, ist ein solches Angebot äußerst relevant.
Die mitwirkenden Studierenden werden in speziellen Seminaren durch das Projekt „ProDaZ“ und das Projekt „Förderunterricht für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund“ der Universität Duisburg-Essen darauf vorbereitet, die Teilnehmer*innen des Sprach- und Bewegungscamps so zu unterstützen und zu fördern, dass eine adäquate sprachliche Förderung in Verbindung mit sportlichen Aktivitäten möglich wird. Neben sprachdidaktischen Fragen stehen dabei vor allem auch didaktische Handlungsstrategien im Mittelpunkt, die das Unterrichten von neu Zugewanderten mit ihren besonderen Bedarfen und Herausforderungen erfordert. So gilt es etwa, einen angemessenen Lebensweltbezug für die Kinder und Jugendlichen herzustellen, der auch emotionale Hintergründe berücksichtigt.

Sprachhürden überwinden

Sprachförderung als fester Bestandteil der Lehrer*innenausbildung    

Das beteiligte Projekt „Förderunterricht für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund“ wird von der Fakultät für Geisteswissenschaften koordiniert. Seit 43 Jahren werden im Rahmen des Projekts Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund und neu Zugewanderte in allen Schulfächern in Kleingruppen gefördert. Der Unterricht findet in den Räumlichkeiten der Universität am Standort Essen statt. Die Ziele des Förderunterrichts sind mehrdimensional: Im Vordergrund steht die Förderung der Chancengleichheit. Wie die PISA-Studie wiederholt verdeutlicht hat, sind die speziellen Probleme der Schüler*innen mit Migrationshintergrund auf ein Strukturmerkmal des deutschen Schulsystems zurückzuführen, nämlich auf seine hochgradige herkunftsbezogene Selektivität. Der Förderunterricht setzt diesem Befund etwas entgegen: Er motiviert Schüler*innen, ihre individuellen Begabungen zu entdecken, und fördert sie in Kleingruppen. Ziel ist es, allen Schüler*innen einen qualifizierten Schulabschluss, eine Ausbildung oder ein Studium zu ermöglichen. Dies wird durch die Fokussierung auf die einzelnen Schüler*innen erreicht.
Die Mitwirkenden des Sprach- und Bewegungscamps erhalten im Vorfeld einen umfassenden Einblick in die speziellen Lernwege und -bedingungen neu zugewanderter Schüler*innen. So profitieren auch die beteiligten Studierenden, die einen wichtigen Aspekt ihrer zukünftigen Tätigkeit als Lehrer*innen nicht nur theoretisch behandeln, sondern auch hautnah in der Praxis erleben. Durch die wissenschaftlichen Erfahrungen aus dem Projekt kann auch die Aus- und Fortbildung von Lehrer*innen an der Universität Duisburg-Essen verbessert werden. Langfristig strebt die Universität Duisburg-Essen eine stärkere Verzahnung von Sprache und Sport an, bei der alle Studierenden beider Fachbereiche beteiligt werden. Geplant ist zugleich eine Verankerung des Sprach- und Bewegungscamps in den Praxisphasen der Lehrer*innenausbildung an der Universität Duisburg-Essen sowie der Transfer an andere Universitäten.

Sprachhürden überwinden

Überzeugende Ergebnisse: Folge-Camps sind in Planung

Die Evaluation des Sprach- und Bewegungscamps zeigt, wie gewinnbringend und lehrreich das Angebot sowohl für die beteiligten Studierenden als auch für die Kinder und Jugendlichen ist. Die Studierenden sammeln durch die vielfältigen Erfahrungen innerhalb des Projekts neue Erkenntnisse über sich selbst, über das Unterrichten sowie über neu Zugewanderte und ihre Integration. Die Kinder und Jugendlichen nehmen das Angebot begeistert an. Sie können neben dem sprachlichen Lernen ihre individuellen Interessen einbringen und sich körperlich betätigen. Für den 17-jährigen Mohammed war die Teilnahme eine ideale Möglichkeit, um einen qualitativen Zugang zur deutschen Sprache zu erhalten und diesen mit Freude an der Bewegung zu verknüpfen. Mohammed stammt aus Syrien und lebt seit neun Monaten in Deutschland.Wie für alle Teilnehmer*innen steht auch für ihn fest: „Ja, ich will gerne noch mal, weil das Camp war super für mich und ich kann noch mehr lernen und Spaß haben.“
Außer Frage steht: Die additive Förderung von neuzugewanderten Kindern und Jugendlichen ist besonders in den Schulferien wichtig, da hier andernfalls über einen langen Zeitraum der Zugang zu umfangreichem, qualitativ hochwertigem sprachlichen Input fehlt. Im außerschulischen Lernen kann die Förderung besonders gut gelingen, da eine Wiederholung und Vertiefung von sprachlichen sowie fachlichen Lerninhalten gewährleistet werden, was in der Schule hingegen häufig nicht zutrifft.
Nach dem Auftakt in den Osterferien 2016 fand das Sprach- und Bewegungscamp auch in den Sommerferien und Herbstferien 2016 statt und die Vorbereitungen für die nächsten Sport- und Bewegungscamps laufen bereits. Derzeit werden weitere interessierte Studierende auf die Arbeit vorbereitet. Auch Schüler*innen aus den vergangenen Sport- und Bewegungscamps werden dabei sein. „Ja, weil mir sehr Spaß macht und füllt mein Freizeit“, meint zum Beispiel Maryam. Sie ist 18 Jahre alt und lebt seit 30 Monaten in Deutschland.

Tülay Altun
Abgeordnete Lehrerin im Projekt „ProDaZ“ der Universität Duisburg-Essen und Mitglied des Ausschusses Migration, Diversity, Antidiskriminierung der GEW NRW

Siham Lakehal
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Förderunterricht für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund“ der Universität Duisburg-Essen

Fotos: joexx, 1st8 / photocase.de, iStock.com / Imgorthand

 

Landesausschuss Migration, Diversity und Antidiskriminierung der GEW NRW

Unsere Themen und Ziele für 2017

Der Landesausschuss Migration, Diversity und Antidiskriminierung (LAMDA) setzt Akzente für die Vielfalt und die Sichtbarmachung von Potenzialen – für eine Schule, die Kinder befähigt, ihren Bildungsweg unabhängig von ihrer sozialen Herkunft zu beschreiten, in dem ihre Talente und besonderen Fähigkeiten wahrgenommen und gefördert werden.
Der LAMDA setzt sich fortlaufend kritisch mit den aktuellen bildungspolitischen Entwicklungen und den Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte auseinander. Er tritt dafür ein, dass die Arbeit der Kolleg*innen mit Zuwanderungsgeschichte angemessen gewürdigt und gleichberechtigt behandelt wird. Hochschulabschlüsse aus dem Ausland müssen als gleichwertig anerkannt und tariflich abgesichert werden. Unser oberstes Ziel ist es, öffentlich auf die gesellschaftspolitische Bedeutung der Mehrsprachigkeit, der interkulturellen und diskriminierungsfreien Päda-gogik hinzuweisen und auf allen Ebenen dafür zu werben, sowie betroffenen Lehrkräften eine Plattform zu bieten, sich auszutauschen, ihre Anliegen zu benennen und politisch nach außen zu tragen.

Unsere Hauptthemen für 2017

  • von der Integration zur Inklusion
  • Beschulung von neu Zugewanderten und herkunftssprachlicher Unterricht
  • religiöser und politischer Antiextremismus
  • interkulturelle Pädagogik / Migrationspädagogik

Unser Leitungsteam

Gabriella Lorusso: gioiel@me.com
Firdevs Sinemillioglu: f.sinemillioglu@gmx.de
Senol Keser: senol.keser@gew-nrw.de

Gabriella Lorusso
Leitungsteam des LAMDA der GEW NRW

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