Das Tempo an das Leistbare anpassen

Inklusion und kommunale Verantwortung

Wie zentral die kommunale Ebene für gelingende Inklusion ist, hat die Onlinebefragung der GEW NRW deutlich gezeigt: Bei 50 Prozent der allgemeinen Schulen und 40 Prozent der Förderschulen gibt es keinen inklusiven Schulentwicklungsplan der Kommune. Weit über die Hälfte der allgemeinen Schulen beklagt eine unzureichende Material- und Raumausstattung. Es fehlen Anlaufstellen vor Ort, die Schulen in Inklusionsfragen unterstützen können. Dr. Bernd Jürgen Schneider, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW, im Gespräch über kommunale Verantwortung und Handlungsmöglichkeiten.

nds: Die Schulen in NRW verfügen laut Onlinebefragung nur zum Teil oder gar nicht über eine ausreichende Materialausstattung zum differenzierten Lernen und über geeignete Räume. Hier stehen die Kommunen als Schulträger in der Verantwortung und es besteht großer Handlungsbedarf. Wie unterstützt der Städte- und Gemeindebund NRW seine Kommunen bei der Problemlösung?

Jürgen Schneider: Trotz der Anstrengungen der Kommunen erreichen die Förderstandards der allgemeinen Schulen oft nicht das Niveau der Förderschulen. Weiterhin fehlt es an sächlichen, aber auch an Personalressourcen, insbesondere an SonderpädagogInnen. Der Städte- und Gemeindebund NRW hat von Beginn an immer wieder deutlich gemacht, dass gut gemachte Inklusion viele Ressourcen benötigt. Leider hat es das Land unterlassen, verbindliche Qualitätsstandards zu definieren. Gerade Kommunen im Stärkungspakt oder in der Haushaltssicherung können nicht so viel tun wie es pädagogisch wünschenswert wäre. Dass die Qualität des inklusiven Unterrichts bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen von den unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten der Kommunen abhängt, kann nicht hingenommen werden. Das Projekt Inklusion kann nur gelingen, wenn einerseits der Qualitätsanspruch definiert und andererseits die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Der Städte- und Gemeindebund NRW fordert deshalb ein rasches Nachsteuern bei der schulischen Inklusion durch den Gesetzgeber. 

Das Tempo an das Leistbare anpassen

Mit der Inklusion ändert sich die Schullandschaft in den Städten und Gemeinden: Viele Förderschulen werden geschlossen. 57 Prozent der Förderschulleitungen geben allerdings an, dass ihre Schule nicht angemessen an der Schulentwicklungsplanung beteiligt wurde. Außerdem beklagt ein Großteil der Schulen das Fehlen von (inklusiven) Schulentwicklungsplänen. Wie erklären Sie sich das und was kann künftig dagegen getan werden?

Möglicherweise hängt die geringe Beteiligung damit zusammen, dass die Mitwirkung der Schule bei der Aufstellung von Schulentwicklungsplänen im Schulgesetz etwas versteckt geregelt ist und nicht aus Paragraf 80 selbst hervorgeht. So wünschenswert eine gute Kooperation zwischen Schule und Schulträger ist – die Schulentwicklungsplanung obliegt letztlich aber dem Schulträger.
Die inklusive Schulentwicklungsplanung wird durch das bereits angesprochene Fehlen von festen Standards für die Inklusion erschwert. Zudem sind die Kommunen bei ihrer Schulentwicklungsplanung zunehmend vor immense Herausforderungen gestellt: Die Kumulation von Inklusion, Beschulung von geflüchteten Kindern und demografischem Wandel bringt eine starke Veränderung der Schullandschaft mit sich. Die steigenden Anforderungen an die Schulentwicklungsplanung sind zurzeit für einige Kommunen kaum leistbar. Gerade in kleineren Kommunen muss oftmals auf externen Sachverstand zurückgegriffen werden. Bis ein Orientierungsrahmen für die Inklusion vorliegt, muss das Tempo an das Leistbare angepasst werden. Dazu gehört auch, Förderschulen nicht vorschnell zu schließen. Denn die Erfahrungen haben gezeigt, dass sich nicht wenige Eltern eine Alternative zu einem inklusiven Angebot für ihre Kinder wünschen.

80 Prozent der Schulen wünschen sich eine zentrale Anlaufstelle zur Unterstützung der Inklusion. Die GEW NRW fordert seit langem ein Fachzentrum für inklusive Bildung vor Ort. Gibt es Kommunen, die den Schulen bereits eine solche zentrale Anlaufstelle bieten? Wie könnte eine zentrale Anlaufstelle Ihrer Ansicht nach aussehen? 

Eine zentrale Anlaufstelle für inklusive Bildung dürfte sich vor allem in größeren Kommunen anbieten, die über eine gewisse Anzahl an Inklusionsfällen verfügen. Überlegungen in diese Richtung sind bislang nur vereinzelt aus  kreisfreien Städten oder auf Kreisebene bekannt. Sicherlich hat die Bündelung in einer zentralen Anlaufstelle Vorteile für BürgerInnen, Schulen  und Verwaltungen. Gleichwohl  sind für ihre Einrichtung jedoch auch Sach- und Personalressourcen erforderlich, die in kleineren Verwaltungen nicht ohne Weiteres bereitzustellen sind. Eine Ansiedlung auf Kreisebene könnte eine Alternative darstellen. Sie bringt insbesondere in größeren Landkreisen aber auch den Verlust von Ortsnähe mit sich.

Die Fragen für die nds stellte Frauke Rütter.

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