Im Gespräch mit der NRW-Schulministerin: Ehrgeizige Ziele

Im Gespräch mit NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer

Seit Juni 2017 ist Yvonne Gebauer Ministerin für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen. Wie sehen ihre bildungspolitischen Visionen aus? Die nds hat mit ihr über Inklusion, die Rückkehr zu G9, den derzeitigen Lehrkräftemangel und die Erfassung des Unterrichtsausfalls gesprochen.

nds: NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hat erste Änderungen bei der schulischen Inklusion als eine der vordringlichen Maßnahmen nach der Sommerpause eingeordnet. Ab wann werden sogenannte Schwerpunktschulen gebildet? Wie soll deren konzeptionelle Neuausrichtung aussehen?

Yvonne Gebauer: Die neue Landesregierung ist angetreten, für Eltern Wahlmöglichkeiten zu sichern. Dafür brauchen wir auch ein möglichst flächendeckendes Förderschulangebot. Deshalb habe ich nach meinem Amtsantritt als Schulministerin als eine der ersten Maßnahmen die Mindestgrößenverordnung für die Förderschulen ausgesetzt. Und ich bin froh, dass bereits einige zur Schließung vorgesehene Förderschulstandorte erhalten bleiben. Auch bin ich zuversichtlich, dass in den nächsten Jahren weitere Standorte hinzukommen.
Wir stehen zur Inklusion, müssen aber umsteuern. Nicht die Inklusionsquote, sondern die Qualität muss das Tempo bestimmen. Ich möchte die Inklusion in qualitativere Bahnen lenken und dabei die Schulen bestmöglich einbinden. Gegenwärtig nehmen wir eine Bestandsaufnahme der schulischen Inklusion vor Ort vor. Auf dieser Grundlage wird die Landesregierung dann ein fundiertes Konzept für die weitere Umsetzung vorlegen. Neu gestaltete Schwerpunktschulen werden dabei eine wichtige Rolle spielen. Wir werden die Inklusion stärker bündeln und Ressourcen für mehr Qualität zur Verfügung stellen.

Welche verbindlichen Qualitätsstandards soll es zukünftig für inklusive Lerngruppen geben und wie sollen sie evaluiert werden?

Klar ist, dass es Standards geben wird, um guten inklusiven Unterricht zu ermöglichen. Auch werden wir zusätzliche Ressourcen zur Verfügung stellen müssen. Dies ist angesichts des Mangels an Lehrkräften eine Herausforderung. Wir hoffen, weitere Studienplätze bereitgestellt zu bekommen. Daneben müssen wir aber auch sonderpädagogisch qualifizieren. Um die Lehrkräfte stärker zu unterstützen, werden wir ebenso andere Berufsgruppen in die Gestaltung des Inklusionsprozesses einbeziehen. Es ist unser Ziel, dass multiprofessionelle Unterstützung verstärkt auch tatsächlich in den Schulen ankommt.

Es muss nicht nur verbindliche Qualitätsstandards für die pädagogische Umsetzung der schulischen Inklusion geben, auch die Lehrkräfte im Gemeinsamen Lernen benötigen verbindliche Leitlinien für ihre Arbeit. Diese Leitlinien sind in einem langen Prozess unter Beteiligung von Hauptpersonalräten erarbeitet worden und werden von der GEW NRW mitgetragen. Was passiert nun mit diesen Leitlinien?

Nur gemeinsam mit den Lehrer*innen kann der Inklusionsprozess erfolgreich gestaltet werden. Und deshalb werde ich für berechtigte Anliegen selbstverständlich ein offenes Ohr haben und den inhaltlichen Austausch suchen. Das gilt für die bereits angesprochenen Aspekte ebenso wie für weitere zentrale Fragen – etwa verbesserte Fortbildungen zur bestmöglichen Unterstützung der Lehrkräfte. Und wir müssen zum Beispiel – auch unabhängig von der Inklusion – prüfen, wie wir die Lehrkräfte von bürokratischen Aufgaben wie etwa überbordenden Dokumentationspflichten entlasten können.

Die Diskussion um die Schulzeitverkürzung war eines der zentralen Bildungsthemen im Landtagswahlkampf. Künftig sollen Gymnasien selbst entscheiden, ob sie bei G8 bleiben möchten. Bis wann sollen die Schulen diese Entscheidung treffen? Wird das neue Verfahren Auswirkungen auf andere Schulformen haben?

Nur wenige Themen haben Schüler*innen, Eltern und Lehrer*innen so bewegt wie die Debatte um G8 und G9. Wir brauchen Ruhe in den Gymnasien und keine zerstrittene Schullandschaft. Deshalb hat die Landesregierung eine Leitentscheidung für  G9 getroffen. Schulen, die bisher gute Erfahrungen gemacht haben, geben wir zugleich die unbürokratische Möglichkeit, bei G8 zu bleiben. Die Umstellung erfolgt mit dem Schuljahr 2019 / 2020 für die Jahrgangsstufen fünf und sechs.
Mir ist es ein wichtiges Anliegen, dass wir uns die Zeit für eine fundierte Vorbereitung nehmen, dass ein sorgfältiges Gesetzgebungsverfahren und ein umfassender Dialog mit den Beteiligten erfolgt. Die Schulen sollen ein durchdachtes Konzept und klare Orientierung erhalten, um den Umstellungsprozess bestmöglich gestalten zu können. Selbstverständlich wollen wir die sich bietenden Chancen auch nutzen, um gesellschaftliche Herausforderungen wie die Digitalisierung verstärkt einzubinden. Eine solche bessere Verankerung gilt natürlich nicht nur für Gymnasien, sondern für alle Schulformen. Alle Schulen sollen bestmögliche Rahmenbedingungen erhalten. Und deshalb ist es für uns auch selbstverständlich, dass die Umstellung auf G9 an Gymnasien mit zusätzlicher Unterstützung einhergeht, aber nicht zulasten anderer Schulformen erfolgt.

Der Lehrkräftemangel in NRW ist eklatant: Nicht nur an Grundschulen laufen ausgeschriebene Stellen aufgrund fehlender Bewerber*innen leer. Welche Maßnahmen möchten Sie ergreifen, um den Lehrkräftemangel und die regionale sehr unterschiedliche Versorgung der Schulen kurzfristig zu beheben?

Im Bereich der Lehrer*innenversorgung ist die Situation, die ich bei Amtsantritt vorgefunden habe, in der Tat besorgniserregend. Das betrifft viele Schulen, gegenwärtig besonders stark Grundschulen.
Daher werden wir im Bereich der Grundschule die weitere Öffnung für den Seiteneinstieg im Fach Englisch und – pädagogisch begleitet – die Einstellung von ausgebildeten Lehrkräften für die Sekundarstufen I und II  ermöglichen. Weitere Maßnahmen wie eine zielgerichtete Werbekampagne für bestimmte Fächerkombinationen und Lehrämter werden folgen. Mit der Werbekampagne wollen wir jedoch auch deutlich machen, dass Lehrer*innen einen Beruf mit großer Verantwortung ausüben und dafür unsere Wertschätzung verdienen.
Insbesondere in manchen Regionen bestehen sehr schwierige Besetzungssituationen. Hier benötigen wir mehr Anreizsysteme und müssen die Möglichkeiten des Sozialindexes erweitern, um auf diese Herausforderungen besser reagieren zu können. Die neue Landesregierung hat sich insgesamt sehr ehrgeizige Ziele gesetzt. Die von der Vorgängerregierung zur Streichung vorgesehenen Lehrer*innenstellen werden wir nicht streichen. Mittelfristig streben wir eine 105-prozentige Lehrer*innenversorgung an. Und wir wollen die Schüler*innen-Lehrer*innen-Relation verbessern und Klassengrößen schrittweise reduzieren.

Dem Koalitionsvertrag entnehmen wir, dass mit Hilfe einer Software eine tagesscharfe Messung des Unterrichtsausfalls erfolgen soll. Warum soll das gründlich erarbeitete Konzept der Bildungskonferenz bezüglich Definition und Messung des Unterrichtsausfalls nur im Schuljahr 2017 / 2018 eingesetzt werden?

Das „Rollierende Verfahren“ bedeutet gegenüber früheren Stichprobenerhebungen bereits eine deutliche Verbesserung. Wir benötigen aber ein Verfahren, das den Unterrichtsausfall flächendeckend und schulscharf erfasst und zudem zusätzliches Planungs- und Steuerungswissen schafft. Transparenz ist wichtig, aber natürlich wollen wir insbesondere mehr Kenntnisse zur schnelleren Unterstützung der Schulen erhalten. Dabei wird selbstverständlich darauf zu achten sein, dass die Erhebungen mit vertretbarem Aufwand für Schule und Schulaufsicht durchführbar sind.


Die Fragen für die nds stellte Frauke Rütter.

Foto: Sascha Menge

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